Der Teebeutel

von Hanns Dieter Hüsch

© Jürgen Pankarz

Der Teebeutel

Also ich kann mich ja manchmal
Aufregen
Wo andere nur ein kleines Lächeln produzieren
Und umgekehrt
Wenn andere sich aufregen
Brech ich oft in schallendes Gelächter aus
Da heißt es doch immer
Vor Gott sind alle Menschen gleich
Aber nicht vor einem Kamm
Der kümmert sich nämlich einen Teufel drum
Also:
Sie kennen wahrscheinlich die Situation nicht
Daß Sie mit einem ausgelaugten Teebeutel
Am ausgestreckten Arm
Durch die Straßen laufen
Und mit der Frage leben müssen:
Wohin mit dem Teebeutel?
Denn nicht jeder Tea-Room und nicht jedes Café
Ist so gepflegt
Daß Sie auf dem Tischchen ein Abfalleimerchen
Oder ein adäquates Glasbehälterchen finden
Und dann stehen Sie da
Vielmehr Sie sitzen
Und möchten am liebsten das ausgelaugte
Teebeutelchen
An feiner Schnur in die Schürzentasche der
Kellnerin stecken
Nicht aus Schürzenjägerei
Dann würde ich ja das ausgelaugte Teebeutelchen
Über meinem Kopf
Wie ein Lasso herumwirbeln
Um es bei günstiger Konstellation loszulassen
Um die Frau Kellnerin durch die Berufstracht
Hindurch
Etwa an einer erogenen Stelle zu treffen
Aber eine solche Exhibition ist gar nicht in
Meinem Sinne
Ich will nur den Teebeutel aus meinen
Augen verlieren
Ich meine
Die Sache mit der Zitronenquetsche ist ja
Wohl einigermaßen o.k.
Manchmal ist die Zitronenscheibe wesentlich größer
Als die Quetsche
Oder die Quetsche müßte mal geölt werden
Aber das geht wieder nicht wegen der Zitrone
Aber das ist nicht so wichtig und mittlerweile
Bekommt man ja auch
Selbst in den führenden Cafés des Kontinents
Zum Tee
Zitronensaft aus einer Minitüte auf der steht
Hier einreißen
Auch so eine typische Bequemlichkeitsschlamperei
Gegen Ende des Abendlands im 20. Jahrhundert
Ich meine
Ich könnte ja den Teebeutel auch einfach
In den Aschenbecher drücken
Aber ein Aschenbecher ist schließlich keine
Teebeuteldeponie
Und eine Untertasse ist eine Untertasse
Und zwar keine fliegende
Denn da steht ja meine Teetasse drauf
Und die möchte ich nun auch nicht gerade
Auf meinen ausgelaugten Teebeutel stellen
Also so kommen wir nicht weiter
Und ich kann mir schon denken was Sie
Inzwischen denken
Daß ich zu empfindlich bin und daß ich mich
Lieber mal
Um das Schicksal der Kurden kümmern
Oder mit der Bevölkerungsexplosion
Beschäftigen solle
Als ewig diese lächerliche Frage zu stellen:
Wohin mit dem Teebeutel?
Sie haben natürlich recht
Aber ich sagte Ihnen ja schon
Mich regt das über alle Maßen auf
Und wenn es dann manchmal auch nur
Ein Stück Zucker
Dazu gibt
Wo der Zucker sowieso nachgelassen hat
Siehe unter Kuba
Dann weiß ich oft nicht wo ich bin
Als wenn ich nicht das Geld hätte mir noch
Ein zweites Stück Zucker dazuzukaufen
Aber ich sage Ihnen
Wenn Sie demnächst mal einen auf der Straße sehen
Der am ausgestreckten Arm so einen ausgelaugten
Teebeutel
Am Bändel hat
Dann bin ich das.


Hanns Dieter Hüsch
 


© Chris Rasche-Hüsch
Veröffentlichung aus "Wir sehen uns wieder" in den Musenblättern mit freundlicher Genehmigung
Die Illustration stellte freundlicherweise Jürgen Pankarz zur Verfügung