Die Welt meint

von Hanns Dieter Hüsch

Foto © Frank Becker

Die Welt meint

Die folgende Geschichte
Ist eigentlich eine belanglose Geschichte
Schade um die schöne Zeit werden Sie sagen
Kommt noch hinzu
Daß die Geschichte gar keinen richtigen
Handlungsstrang aufweist
Und auch keine ordentliche Schlußpointe besitzt
Nicht mal eine unordentliche
Insgesamt nicht nur eine vertane sondern auch
Eine charakterlose Geschichte ist
Kommt noch hinzu daß sie von mir in einem
Fahrenden Zug
Aufgeschrieben wurde
Und nicht an einem Schreibtisch wie es sich gehört
Und wenn Sie erst den Inhalt lesen werden Sie
Sofort sagen
So Was Überflüssiges habe ich schon lange nicht
Mehr gelesen
Sie werden regelrecht erbost sein über den Sinn
Und den Inhalt
Meiner Geschichte
Ich sage bewußt »meiner Geschichte« denn es
Ist ja nicht
Ihre Geschichte
Daß das klar ist
Das einzige was ich Ihnen versprechen kann ist
Daß die Geschichte auch Wirklich gleich kommt
Nicht daß Sie meinen diese Vorgeschichte
Das wäre schon die Geschichte
Zugegeben es gibt viele Schreiber die schreiben nur
Vorgeschichten
Und springen dann aus dem Zug
Ich gehöre nicht zu denen
Ich schreibe immer eine Vorgeschichte und
Dann kommt
Die Geschichte
Also:
Übrigens haben oder halten Sie einen Hund oder
Eine Hündin
Wenn nicht können Sie sich die ganze
Geschichte sparen
Dann hat die Geschichte für Sie keinen Sinn
Nur wer einen Hund hat oder mehrere Hunde
Oder Hündinnen hat
Für den hat die Geschichte einen Sinn
Der kann diese Geschichte mit empfinden
Denn diese Geschichte handelt von der Welt
Von der Welt meinem Hund und mir
Ich weiß es hat lange gedauert und ich hätte mir
Die ganze Vorrede sparen und schenken können
Ich hätte gleich sagen können
Die folgende Geschichte heißt:
Die Welt mein Hund und ich
Aber ich habe es nicht gemacht
Weil ich mich ganz langsam an das Thema
Heranschleichen Wollte
Also:
Als ich vor einiger Zeit am Abend das Haus
Für eine halbe Stunde verlassen mußte
Dachte ich oder fragte ich mich
Ob ich wohl für dreißig Minuten meinen Hund allein
Lassen könne
Mein Hund und ich wir sind sonst ziemlich
Unzertrennlich
Aber an diesem Abend
Ich weiß nicht mehr warum
Ging es nicht anders
Jedenfalls zog ich die Tür sehr zögernd hinter mir zu
Und ich hatte sofort merkwürdige Gefühle im Magen
Und um meine Augen herum lag wieder mal diese
Große metaphysische Wärme
Ich ließ an diesem Abend meinen Hund allein
Und führte sofort
Mit der Welt einen Dialog
Denn die Welt meint nämlich
Man könne den Hund auch mal allein lassen
Meint die Welt
Wir seien ja auch groß geworden
Und unsere Eltern hätten uns auch oft allein gelassen
Wenn sie montags zum Beispiel zum
Kirchenchor gemußt
Und es hätte uns nicht geschadet
Meint die Welt
Und dem Hund auch nicht
Die Welt meint weiter
Es wäre völlig falsch verstandene Liebe
Wenn man dem Hund immer nachgäbe
Man müsse auch ab und zu
Meint die Welt
Hart sein vor allen Dingen auch gegen sich selbst
Sonst würden nämlich am Ende alle Hunde
Auf allen Menschennasen
Herumtanzen
Meint die Welt
Wo käme man denn hin wenn man jedem Hund. oder
Jeder Hündin
Andauernd nachgäbe
Das wäre sicher nicht verantwortungsvoll gedacht
Vor allen Dingen einem kleinen Hund gegenüber
Meint die Welt
Und außerdem
Meint die Welt
Wer weiß denn ob so ein Hund nicht mal ganz gern
Ein Stündchen allein ist
Und ganz froh ist wenn er mal ganz für sich sein kann
Und seine Ruhe hat
Meint die Welt
Es geht uns doch allen so
Warum soll nicht auch ein Hund mal ganz für sich
Da sein dürfen
Vielleicht ist er ganz froh wenn man mal weggeht
Meint die Welt
Sie können sich doch nicht ein Leben lang
Zum Sklaven
Ihres Hundes machen
Meint die Welt
Und wenn Sie dann nach Hause kommen
Freut sich der Hund doppelt und dreifach
Vierfach und fünffach
Meint die Welt
Also
Also ich weiß nicht
Zugegeben ich bin ziemlich sentimental
Und unvernünftig
Einverstanden
Das Dumme ist nur:
Mein Hund und ich wir haben die Welt
Ziemlich durchschaut
Und was die Welt meint
War ja auch nicht immer das Wahre.
 
Hanns Dieter Hüsch
 

© Chris Rasche-Hüsch
Veröffentlichung aus "Wir sehen uns wieder" in den Musenblättern mit freundlicher Genehmigung