Kunst und Humor (2)

von Joachim Klinger

© Joachim Klinger
Kunst und Humor (2)
 
Eine ähnlich behutsame Menschlichkeit wie die Sempés ist bei Gerard Hoffnung anzutreffen. Wie Dubout versteht er es freilich, drollige Typen in einem riesigen Verwirrspiel-Tableau zusammenzuballen (Beispiel: Sinfonieorchester!). Aber das genügt ihm nicht. Mit vielen bizarren Einfällen präsentiert er schrullige Einzelgänger, beispielsweise den Alten, der seinen langen Bart als Tischtuch beim Mittagsmahl benutzt, oder den genießerischen Trinker, der die Flasche im Gipsverband am Fuß verbirgt. Unerreichbar seine Bildergeschichte über den Aufklärungsversuch, den ein verlegener (und nicht mehr junger) Vater in Anbetracht drängender Fragen seines Sprößlings unternimmt!
Bei vielen Karikaturen steht das Bemühen um einen zündenden Witz im Mittelpunkt. Dieser ergibt sich häufig aus einem knappen Text, dem die Zeichnung bildnerischen Ausdruck verleiht. Diese „Witzzeichnungen” füllten in den 20er und 30er Jahren zumeist eine ganze Seite in den großen Illustrierten. Zeichner wie Paul Simmel, Ferdinand Barlog, Albert Schaefer-Ast und Hans Kossatz, um nur einige zu nennen, fanden hier weite Anerkennung und ein finanziell ergiebiges Betätigungsfeld. Besonders beliebt waren die „Steppkes”, die rotzfrech reagieren konnten, beispielsweise der rauchende Kleine, der die Beanstandung einer alten Dame mit den Worten quittiert: „Und wie kommen Sie dazu, einen jungen Mann anzusprechen?!”
 
Schwieriger ist es, den Witz aus einer wortlosen Karikatur „sprechen” zu lassen. Hier arbeitet der Karikaturist mit der Situationskomik und Überraschungseffekten. Exemplarisch läßt sich das an den stummem Bilderfolgen verdeutlichen, deren Protagonist ein drolliges Kerlchen mit drei Haaren auf dem kahlen Schädel und einem Nußknackermund ist: Adamson.
Dieser Sohn Adams, ein cholerischer Typ mit dem verhängnisvollen Hang zur raschen Lösung aller ihn belastenden Umweltprobleme, bereitet dem Betrachter mit seinen abenteuerlichen Eskapaden immer wieder neu größtes Vergnügen. Natürlich führt der Reparaturversuch an einer Wasserleitung dazu, daß eine riesige Welle den kleinen Mann aus dem Haus spült. Das Bemühen, einen wackeligen Stuhl durch Kürzung der hölzernen Beine mit einer Säge „in Ordnung zu bringen” scheitert total. Der immer kleiner werdende Stuhl wird schließlich zu einer reinen Sitzfläche auf dem Fußboden reduziert.
Situationskomik und Überraschungseffekt – aber hier kommt noch etwas hinzu, was eine neue Dimension in die „witzige Karikatur” bringt: die schicksalhafte Unzulänglichkeit des Menschen, die sich selbst bei der Bewältigung von Kleingkeiten zeigt. Als Zeugen des Scheiterns, des Versagens mögen wir ein wenig Schadenfreude empfinden, aber wir gewinnen auch die Erkenntnis, daß im Leben so manches schiefgehen kann, weil wir uns tölpelhaft anstellen oder sogar im Grunde ziemliche „Nieten” sind. Auf ein weiteres macht uns der schwedische Karikaturist Oscar Jacobsson, der Erfinder von Adamson, bei seiner Comic-Figur aufmerksam: auf die Sucht, das Laster mit z.T. grotesken Folgen.
Adamson ist notorischer Raucher – ohne seinen Zigarrenstummel ist er kaum vorstellbar; einen fatalen Hang zum Alkohol hat er auch. Aber er möchte beides loswerden: Raucherlust und Alkohol-Konsum. Welche kuriosen Befreiungsversuche er unternimmt, das ist im wahrsten Sinne des Wortes sehenswert. Ich erinnere nur an den Sturmlauf durch das ganze Treppenhaus, um die aus dem Fenster geworfene Zigarre vor dem Haus noch rechtzeitig aufzufangen!
 
Auch der deutsche Zeichner Horst von Möllendorff hat der Welt einen kleinen Mann geschenkt, der in zahlreichen Bildergeschichten Vergnügen bereitet: Fäustchen. Rundlich ist er, mit einer Spirallocke am kahlen Hinterkopf. Er strahlt Freundlichkeit aus – ganz anders als der fast bärbeißige Adamson -, und er ist dem weiblichen Geschlecht keineswegs abhold – im Gegensatz zu Adamson. Kleine Leute müssen sich im Leben gegenüber den Großen und Starken mit List und Pfiffigkeit durchsetzen. Das gilt für Adamson und Fäustchen gleichermaßen. Aber während Adamson dabei recht rabiat vorgehen kann, bleibt Fäustchen liebenswürdig diskret. Charme entfaltet er besonders gegenüber reizvollen Damen. Welcher Mann käme wie Fäustchen auf den Gedanken, neben den hingefallenen Damenschirm seinen Schirm so hinzulegen, daß sich ein Herz daraus bildet? Wen könnte ein Windstoß, der einer entzückenden Frau das Hütchen raubt, veranlassen, einladend die Tür zu einem Hutsalon zu öffnen, während andere Männer dem davonrollenden Hut nachlaufen?
Ja, auch Fäustchen ist komisch, aber er ist durch und durch liebenswert – das spürt der Betrachter. Das Element der Liebe scheint mir ein wichtiger Bestandteil des Humors zu sein. Wir finden es auch in den Bildergeschichten, die Hans Jürgen Press von dem „kleinen Herrn Jakob” ohne Worte erzählt. Dieser schnauzbärtige Wicht mit der schwarzen Melone ist noch eine Spur freundlicher als Fäustchen. Seine Wesensart ist kindlich naiv, und sein Verhältnis zu Tieren darf man als herzlich, ja, innig bezeichnen. So bastelt er seinem Hund ein Hexenhaus aus Hundekuchen als Geschenk und verschafft dem Schneemann eine Pappnase, damit sich die wartenden Häschen an der Möhrennase gütlich tun können.


 
Fäustchen und der kleine Herr Jakob als Sympathieträger kraft ihres liebenswerten Charakters und ihres harmlos-gutmütigen Umgangs mit ihrer Umwelt werden noch übertroffen durch ein unsterblich gewordenes Menschenpaar: Vater und Sohn! Erich Ohser, e.o. plauen, hat als junger Vater der Liebe zwischen Vater und Sohn ein wunderbares Denkmal gesetzt. Die Musenblätter zeigen regelmäßig „Abenteuer und Streiche” der beiden, so daß ich nicht einzelne Geschichten vorstellen muß. Die ganze Spannweite einer Vater-Sohn-Beziehung wird in diesen Comicstrips sichtbar

© Joachim Klinger
gemacht.
Das reicht von herzhafter Komik bis hin zu zartester Empfindung. Beispiele: Die Rache des Sohnes, der den Vater auf seiner Autofahrt nicht begleiten darf, in Gestalt der Bemalung sämtlicher Kugeln auf Mauerpfeilern mit dem grimmigen Portrait des Tyrannen und der heimliche Transport des schlafenden Sohnes aufs Land und das Erwachen in der freien Natur als Überraschungsgeschenk.
Vater und Sohn überstehen alles gemeinsam, auch bedrohliche Situationen, unter Anwendung von List und Schläue und unbeirrbarem Zusammenhalt. Man denke etwa an den Überfall einer Bank und die Überwindung eines schießwütigen Einbrechers mittels einer geschickt plazierten Heftzwecke.
Vater-Sohn-Geschichten sind lustig, witzig und stecken voller komischer Überraschungen. Stärken werden ebenso erkennbar wie menschliche Schwächen. Aber der Zeichner betrachtet sie mit Verständnis, ja, mit gütiger Nachsicht. Eben das macht den großen Humoristen aus, und hier finden sich Jean Jacques Sempé und Erich Ohser Seite an Seite.
 
Wie hatte Anton Henze in seinem bereits zitierten Beitrag mit Blick auf Heinrich Zille geschrieben? „Seine Satire wird aber von einem versöhnlichen Humor und der Einsicht in die Unvollkommenheit aller Menschen gemildert. Sie geht zu Herzen.” Trotz Vermischung der Begriffe ist hier Richtiges gesagt.
Von dem großen Humoristen William Makepeace Thackeray (1811–1863) ist ein Wort überliefert, das nach meiner Erinnerung etwas so lautet: „Humor ist die Einheit von Liebe und Witz”. Das trifft’s!



© 2014 Joachim Klinger
Erstveröffentlichung in den Musenblättern 2015
Redaktion: Frank Becker