Max Liebermann -
Maler und Gourmet Betrachtungen in vier Abteilungen
von Konrad Beikircher
4. Abteilung
Nun war Max Liebermann also Preuße durch und durch, Berliner mit ätzendem Humor und Jude, der was auf sich hielt. Außerdem war er Künstler, das natürlich in erster Linie. Seine Art zu genießen hat damit aber einen klaren historischen Zusammenhang, auf den ich nun ein bißchen eingehen möchte. Keine Angst: keine Jahreszahlen!
Fangen wir mit dem Preußen an:
Gibt es einen preußischeren Dichter als Theodor Fontane? Ich weiß, heutzutage kann man nicht mehr alles voraussetzen, seit ich in einer Bonner Buchhandlung folgendes gehört habe: „Wo haben Sie Fontane stehen? Unter T?“
In seinem Roman „Der Stechlin“ kommt er auf einen Unterschied zu sprechen, der im Berlin der Jahrhundertwende eine große Bedeutung hatte: der zwischen Hummer und Krebsen. Sie haben es vielleicht schon mal gehört: in der Zeit hatte man Dienstboten. Die sollten natürlich nicht gerade ihren Herrschaften die Haare vom Koppe fressen, also wurde vertraglich geregelt, wie das denn mit der Verköstigung etc. zu sein habe, und da hat es tatsächlich eine Lobby der Dienstboten gegeben, die festlegte, daß es den Mädchen nicht zumutbar sei, öfter als dreimal in der Woche Hummer essen zu müssen. Und genau dieses Thema, also Hummer, greift Fontane im Stechlin auf, einem Roman, den Liebermann mit Sicherheit in- und auswendig kannte und sicherlich auch schätzte. In diesem Roman gibt es eine Passage, die mir sehr charakteristisch für die Mentalität im Berlin der Jahrhundertwende zu sein scheint, damit auch für Max Liebermann als Kind dieser Zeit, die ich Ihnen deshalb nicht vorenthalten möchte.
Es geht um ein feines Essen. Der Hauptmann von Czako wird gefragt, was er denn zu essen vorziehe: Krammetsvögelbrüste, die es am Vortage schon beim Baron Stechlin gegeben habe oder Rebhuhnflügel. Der Hauptmann läuft ob dieser Frage zur Hochform auf – so ganz à la table d’hôte jener Zeit, wo das geistige Brillieren mindestens so wichtig war wie das Essen selbst – und reagiert:
„In Brust und Flügel schlummert, wie mir scheinen will, ein großartiger Gegensatz von hüben und drüben; es gibt nichts Diesseitigeres als Brust, und es gibt nichts Jenseitigeres als Flügel. Der Flügel trägt uns, erhebt uns. Und deshalb, trotz aller nach der anderen Seite hin liegenden Verlockung (schaut dabei auf die Büste seiner Tischdame!), möchte ich alles, was Flügel heißt, doch höher stellen.“
Und dann läuft Fontane zur Hochform auf, wenn er den Hauptmann folgendes sagen läßt:
„Ein eigen Ding, daß man aus Fragen der Art nie herauswächst, sie wechseln bloß ab im Leben. Ist man jung, so heißt es ‚hübsch oder häßlich’, ‚brünett oder blond’, und liegt dergleichen hinter einem, so steht man vor der vielleicht wichtigeren Frage ‚Hummer oder Krebse’.“
Jedermann, philosophiert von Czako weiter, sei auf den ersten Blick für Hummer, gibt aber daraufhin zu bedenken: „Natürlich, wenn solch ein Hummer aufgeschnitten vor einem liegt und der wundervolle rote Rogen, ein Bild des Segens und der Fruchtbarkeit, einem zu allem anderen auch noch die Gewißheit gibt, ‚es wird immer Hummer geben’, auch nach Äonen noch... werden sich Menschenkinder dieser Himmelsgabe freuen – ja, Freunde, wenn man sich mit diesem Gefühl des Unendlichen durchdringt, so kommt das darin liegende Humanitäre dem Hummer und unserer Stellung zu ihm unzweifelhaft zugute.... Denn jede philanthropische Regung, weshalb man die Philanthropie schon aus Selbstsucht kultivieren sollte, bedeutet die Mehrung eines gesunden und zugleich verfeinerten Appetits. Alles Gute hat seinen Lohn in sich, soviel ist unbestreitbar. Gewiß, dem Krebse fehlt dies und das, er hat sozusagen nicht das ‚Maß’, was in einem Militärstaat wie Preußen immerhin etwas bedeutet, aber demohnerachtet, auch er darf sagen: ich habe nicht umsonst gelebt. Und wenn er dann, er, der Krebs, in Petersilienbutter geschwenkt, im allerappetitlichsten Reize vor uns hintritt, so hat er Momente wirklicher Überlegenheit, vor allem auch darin, daß sein Bestes nicht eigentlich gegessen, sondern geschlürft, gesogen wird. Und daß gerade das, in der Welt des Genusses, seine besonderen Meriten hat, wer wollte das bestreiten? Es ist, sozusagen, das natürlich Gegebene. Wir haben da in erster Reihe den Säugling, für den saugen zugleich leben heißt. Aber auch in den höheren Semestern...“
Und bricht ab, nicht ohne einen ganz dicken Rittberger noch zu vollführen:
„Es ist wunderbar, in wie nahen Beziehungen Menschenglück und Putenbraten zueinander stehen und welche Püffe das Herz verträgt, wenn man jeden Schlag mit einer Flasche Marcobrunner parieren kann.“
Naja, es kann auch ein Weißer von der Ahr sein, oder...?!
Also: Humor bei Tisch, da wollte ich hin, und welche Vorläufer gab es denn da in der deutschen Gourmet-Geschichte? Und da möchte ich auf drei große Vertreter kommen, die ich Ihnen ins Gedächtnis rufen möchte, drei Dichter, die das deutsche Lebensgefühl prägten wie kaum andere und das alles ohne Johann Wolfgang von Goethe!
Dazu darf man schon sagen, daß wir Deutsche nicht wirklich durch Gaumenfreuden und Humor in der Welt glänzen. Bei uns fristen die Sinnenfreude und der Humor ein eher verstecktes Dasein – ich meine: Sinnenfreude und Humor. Weil: Exzesse und Häme, davon haben wir ze basch! Wir sind keine kontrollierten Spiegeltrinker wie der Franzose, der für einen Romanée Conti bereit ist, seine Familie zu verkaufen um an eine zweite Flasche dran zu kommen, wir schlagen direkt zu, Hauptsache es haut rein und zeigt Wirkung. Ich meine: wir haben das Koma-Trinken erfunden und das nicht etwa in den letzten Jahren sondern schon im 19. Jahrhundert in Kreisen der schlagenden Verbindungen! Es gibt aber dennoch auch bei uns dieses zarte Pflänzchen der Sinnenfreude und des Humors und sie wächst, da gebe ich die Hoffnung nicht auf, trotz aller Stefan Raabs, Ingo Appelts oder Oliver Kalkofes.
Der Max Liebermann war ja auch so einer, manchmal ein bißchen drastisch, aber nie bösartig und immer geschmackvoll.
Also: Da hätten wir Johann Heinrich Voß. Er hat 1778 ein – damals jedem bekanntes – Idyll geschrieben, „Der Abendschmaus“, in dem er heiter beschreibt, wie es aussieht, wenn die Deutschen ein Picknick im Walde abhalten, und das geht (im Auszug) so – 1778 wohlgemerkt: „Sechs Gerichte standen an jeglichem Ende der Tafel
Zierlich gestellt, die kalt, und jene brätelnd auf heißen Silbergefaßten Scheiben von Marmor; neben dem Aufsatz Standen französische Frücht' und Salate, Trabanten des Bratens. Schweigend atmeten wir; da neigte Madam sich, und sagte: »Meine Herren und Damen, Sie sehn hier alles mit einmal.
Nehmen Sie gütig vorlieb mit meiner geringen Bewirtung.« Sprach's, und zerschnitt den Fasan, mit indischen Vogelnestern,
Wie man erzählte, gewürzt und Azia [Fußnote]. Hurtig verteilte Diesen ein bunter Lakai rangmäßig den Damen und Herren. Und ein anderer fragte, wer Pontak, sechziger Rheinwein, Oder Burgunder beföhle, und brachte jedem sein Fläschchen. Jetzo gab ein Lakai uns reine Teller, und reichte Junge Kalkuten herum, mit scharfem batavischem Soja [Fußnote] . Hierauf reichte dieser die weingesottenen Schmerlen; Jener den Kabliau, mit Austerbrühe bereitet. Aber eine Mamsell, die keuchend den Fächer bewegte, Traf dem Lakai mit der Feder des babilonischen Haarturms Grad in das Aug, und ach! die Austern umschwammen ihr seidnes Feuerfarbenes Kleid. Da entstand ein gewaltiger Aufruhr! Doch bald stillte diesen ein fett Spanferkel in Gallert. Froher beäugelt selbst kein Naturaliensammler Durch die Brille den Wurm im künstlichgeschliffenen Bernstein, Als wir Gäste das Ferkel im helldurchsichtigen Gallert. Drauf hob ächzend der Diener ein rundes Gebäude vor Dolling,
Hohl wie ein Kirchturmknopf, es hieß Rebhühnerpastete. Dolling versicherte hoch, sie sei vom berühmtesten Koche Aus Bordeaux, und gestern mit Schiffer Markus gekommen. Lüstern umschnüffelten oft die Matrosen des Schiffers Kajüte, Aßen dann traurig ihr Pökelfleisch. Der schlafende Junge Träumte von Ceilons Gerüchen, und schrie, als säß er im Mastkorb: Land! Auch rochen Delphine mit offenem Maul aus dem Wasser, Und der getäuschte Pilot [Fußnote] weissagte von nahen Gewittern. Solch ein balsamischer Duft durchdrang die bräunliche Rinde! Dolling löste behende den Deckel, schöpfte das Fett ab, Und verteilte lächelnd die köstlichen Eingeweide. Gierig besah sie der Arzt in dicker Wolkenperücke,
Der sich hinter dem Tuch zahnstocherte, schmeckte mit Anstand, Und nun mummelt' er dumpf aus vollen käuenden Backen: »Meine Herren und Damen, das nenn ich vortreffliche Mischung!
Welch ein Geschmack in dem Fleische, den Nägelein, Schwämmen und Trüffeln, Pfeffer, Oliven, Muskat, Pistazien, Morcheln und Knoblauch! Freilich erhitzt das Gewürz die jungen Weiber ein wenig; Aber der Herr Gemahl geb ihnen Salpeter und Weinstein.« Also sprach er, da scholl ein überlautes Gelächter.
Hierauf kam das Gemüs: als Bohnen, junge Karotten, Erbsen und Blumenkohl mit Artischocken und Krebsen; Frische Heringe, Lachs und Hummer begleiteten diese. Hierauf gingen die Rund' ein braun und ein weißes Gemengsel: Rüssel und Ohren vom Schwein, Hahnkämme, Zungen von Lämmern, Kälberbrissel [Fußnote] und Ochsengaum, mit Pingeln und Kappern. Hierauf kam der Rücken des Rehbocks, welchen ein Förster Vom Blocksberge gesandt. Ein erzgebürgischer Berghahn Ging dann herum, als Führer des Ortolanengeschwaders [Fußnote] ; Sein rotkammiger Kopf lag abgeschnitten am Rande. Auch die Trabanten rückten heran: Tolläpfel, Oliven, Weißlicher Kopfsalat, Endivien, Beete [Fußnote] , Sardellen, Überzuckertes Obst, und Gurken mit barschem Orego. Jetzo verschob der Arzt die hitzende Wolkenperücke,
Trocknete Finger und Maul, und tiefaufatmend begann er: »Wahrlich! man kann doch viel der Gottesgaben genießen,
Wenn man sich Zeit läßt! Phh! Ich muß die Weste mir lösen! Nun es lebe der Herr Wohltäter und seine Gemahlin!« Also sprach er, da klangen die vollen Gläser zusammen.
Aber höre, da kommen die Kühe schon von der Weide. Drum verspar ich dir die Beschreibung vom prächtigen Nachtisch: Von den Torten, Makronen, von Quittenschnee [Fußnote] und Meringeln; Und von dem Himbeereise, woran mir Stümper die Zunge Fast verfror; von den Pfirschen und Aprikosen aus Potsdam; Von den Granaten, Melonen, des Ananas beißender Süße, Und den levantischen Mandeln und zyprischen Traubenrosinen; Auch von vergoldeten Gläsern mit alten bärtigen Köpfen; Und von rotem Champagner, auf Sillerys Gute gekeltert, Kaiserlichem Tokaier, und überköstlichem Kapwein; Auch wie zuletzt die beiden Lakain an der Türe das Trinkgeld Bettelten. Aber ich muß im Hof ein wenig herumgehn. Singe den Kleinen in Schlaf, und dann laß Ilsabe wiegen, Und bestelle für uns das Abendbrot in die Laube.“ Und natürlich der Größte: Heinrich Heine!
Und der weiseste Deutsche des 19. Jahrhunderts: Wilhelm Busch, den nicht nur Liebermann schätzte!
Freuen Sie sich also auf die Lektüre dieser beiden und ihrer kulinarischen Ausflüge, die Sie gewiß zu Hause in Ihrem Bücherschrank haben.
In diesem Sinne!
Ihr
Konrad Beikircher
Redaktion: Frank Becker
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