Fifth Avenue

Portrait einer Lebensader (2)

von Johannes Vesper

Washington crossing the Delaware, Emanuel Leutze 1851

Fifth Avenue
 
Portrait einer Lebensader (2)
 
von Johannes Vesper

An der Ecke zur 53. Str. W beginnt mit dem berühmten Museum of Modern Art, trotz Erweiterungsbauten immer wieder zu klein, die Museumsmeile der 5th Ave.. Das Metropolitan Museum, im Kern erbaut 1880 bis 1902, spiegelt mit seiner riesigen Sammlung die amerikanische Kombination aus Geld und Kultur souverän wieder. Reiche und stinkreiche Mäzene haben gekauft und gestiftet, was das Zeug hielt, und für den Eintritt zahlt der Besucher heute das, was ihm der Besuch wert ist. Auf die Frage nach dem wichtigsten Gemälde antwortete der Besucher aus dem Bergischen Land: „Washington crossing the Delaware“ von Emanuel Leutze. Das ist jedenfalls eines der größten Bilder im Museum und amerikanische Historie: George Washington Weihnachten 1776 im Befreiungskampf gegen Hessische Truppen der Engländer, gemalt von Emanuel Leutze, ehemals Direktor der Düsseldorfer Kunstakademie, der 1848 zusammen mit anderen den Düsseldorfer „Malkasten“ gegründet hat.
Es gibt Experten, die verbreiten, daß eigentlich der Rhein bei Kaiserswerth und nicht der Delaware gemalt worden sei. Von Leutze stammen auch monumentale historische Wandmalereien im Washingtoner Capitol. Er war also als Historienmaler sozusagen für die USA das, was Carl Theodor von Piloty mit seiner „Thusnelda im Gefolge des Germanicus“ für Bayern war. Die Sammlung des Museums ist aber auch darüber hinaus gigantisch und beginnt bei altägyptischer Kunst. Liebling und Maskottchen des Museum ist „William“, das stämmige, blaue Fayence-Nilpferdchen aus der Zeit um 1900 vor Christus. Der Höhepunkt des Museumsbesuchs ist nachher der Blick vom Dachterrassencafé (im Winterhalbjahr geschlossen) in den Central Park, der wie ein romantisches Landschaftsgemälde mit Photoshop in die Stadtlandschaft kopiert erscheint. Auf der Freitreppe vor dem Museum tummeln sich an sonnigen Tagen die Besucher und suchen Stärkung vor und nach dem Museumsbesuch bei den zahlreichen Imbißwagen am Straßenrand.


Fifth Avenue, NYC vor dem Metropolitan Museum - Foto © Johannes Vesper
 
Nach dem Überqueren der 5th Ave. erreicht der Spaziergänger schräg gegenüber dem Metropolitan, an der Ecke zur 86. Str. die Neue Galerie (wiedereröffnet 2001) in einer neoklassizistischen Villa von 1914. Der Schwerpunkt dieses kleinen aber feinen Museums mit ebenfalls wunderbarem Café, allerdings ohne Blick, umfaßt deutsche und österreichische Malerei (aber auch Kunsthandwerk) aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Aktuell war das Publikum fasziniert von einer Ausstellung mit den freizügigen Werken Egon Schieles.
Nicht weit davon entfernt kringelt sich die bekannte, weiße Schnecke des Guggenheim-Museums (erbaut 1959), welches dem Besucher die Entwicklung der zeitgenössischen Kunst in steigender Spirale zu immer höheren Sphären suggeriert. Kunst und Kommerz ist auf der 5th Ave. seit Paul Durand-Ruel ein zentrales Thema, der schon 1884 bei drohendem Konkurs mit 300 impressionistischen Gemälden aus Frankreich fliehen mußte und in seiner Galerie viele derselben verkaufen konnte, also den Impressionismus in New York bekannt machte und seinem Malerklientel in Europa zu Brot und Einkommen verhalf.


Guggenheim Museum - Foto © Johannes Vesper

 
5th Avenue Harlem, Feuertreppen - Foto © Johannes Vesper 
 
Auf dem Weg nach Norden entlang der Marmor- und Granitwand der hohen Luxusapartmenthäuser sieht man gegenüber die Jogger wie im Schattenriss hinter dem Zaun des Central Parks laufen. Endlich kommen dann aber Lücken in die Straßenfront und tatsächlich stehen am nördlichen Ende des Central Parks Ende einzelne Hochhäuser, deutlich niedriger als in Midtown. Auf der Parkseite sieht man das Denkmal für Duke Ellington. Hier an der 110. Str. beginnt das ehemals schwarze Harlem. Die Grenze zwischen dem weißen und schwarzen Amerika wird hier in der Architektur sichtbar. Marmor und Granit verschwinden von den Hauswänden, stattdessen bestimmen zunehmend Feuertreppen das Bild. Harlem ist vielleicht immer noch Mahnmal des Rassismus gegenüber den Afroamerikanern, obwohl Little Rock und der Traum Martin Luther Kings sowie auch das amerikanische Bürgerrechtsgesetz bereits viele Jahrzehnte zurück liegen. Aber wie am Beispiel Ferguson zu sehen, bleibt das Problem brennend aktuell!

 
  5th Avenue National Black Theatre
- Foto © Johannes Vesper
 
Der Markus-Grovery-Park einige Blocks weiter nördlich durchschneidet die 5th Ave. zwischen 120. und 124. Str.. Markus Grovery war schwarzer Politiker und Anhänger der Rassentrennung. Er glaubte, daß die Schwarzen aus den USA besser zurück nach Afrika ziehen sollten. Er stammte aus Jamaika, hatte mit Haile Selassie und der Rastafari-Bewegung Kontakte, arbeitete sogar zeitweise mit dem Ku-Klux-Klan zusammen und ernannte sich selbst zum Präsidenten Afrikas. Eine schillernde, aber doch einflußreiche Person, nach der dieser Familien- und Kinderpark in Harlem benannt ist.
Um den Park herum bestimmen die typischen Brownstone-Reihenhäuser mit ihren Treppenaufgängen das Straßenbild. Brownstone ist ein dunkler Sandstein, der als hochwertiges Baumaterial um 1900 sehr beliebt war. Nördlich des M. Grovery Parks ist die 5th Ave. genau so breit wie in ihrem südlichen Teil. Die Wolkenkratzer sind verschwunden. Hier sind Reklame, billige Restaurants und Supermärkte, sowie etliche Kirchen in der Straßenfront und Müll auf den Bürgersteigen vorherrschend. In einem großen Behördengebäude neben dem Harlem Hospital Center, welches den gesamte Block zwischen 5. und 6. Avenue ausfüllt, befindet sich der sozialpsychiatrische Dienst.


5th Avenue  127 Str East Harlem - Foto © Johannes Vesper
 
Am Ende der 5th Ave. schließlich wird man die unauffällige Verkehrsinsel mit niedrigen Bäumen kaum wahrnehmen. Auf ihr steht ein kleiner Obelisk aus dunklem Granit mit goldener Aufschrift. Daneben sitzt ein doppelt oberschenkelamputierter, wegen der Kälte in Decken gehüllter, alter schwarzer Mann im Rollstuhl. Die Aufschrift erinnert an das 369. Infantry Regiment (colored) und die Maas-Argonnen-Offensive 1918. „Das Gedächtnis der Namenlosen zu ehren sei schwerer als das der Berühmten“ meinte Walter Benjamin. Das trifft auf die schwarzen Soldaten dieses Infanterie-Regiments aus Harlem - damals gab es noch Rassentrennung in der amerikanischen Armee - sicher zu. Auf Grund des Mutes und des militärischen Erfolges dieser Einheit nannte sie sich bald Harlem Hellfighters. Ihr Kühnheit und spektakulären Erfolge in Frankreich am Ende des 1. Weltkriegs wurde nur noch übertroffen von den kulturellen Erfolgen ihrer berühmten Regimentskapelle unter James Reese, die nebenbei sozusagen Ragtime und Jazz nach Frankreich bzw. Europa brachten. Die Parade für die US-Kriegsheimkehrer nach Ende des 1. Weltkriegs ging über die gesamte 5th Avenue bis hin zu dem kleinen Obelisken und wurde von James Reese und seiner Kapelle angeführt. Mit diesem kleinen Obelisken wird an ein ganzes Regiment und seine Taten erinnert, während General Sherman, golden und hoch zu Roß, in Begleitung eines Engels über die Plaza (Kreuzung 5th Ave./ 59. Str.) reitet.


5th Avenue Obelisk 369. Infantry Regiment - Foto © Johannes Vesper 
 
Das ist also das Ende der 5. Avenue, der Spange von Süd nach Nord längs durch Manhattan, bzw. symbolisch quer durch die US-amerikanische Gesellschaft - und wer den Mut aufbringt, an ihrem Ende die verkehrsreiche Stadtautobahn entlang des Harlem River zu überqueren, schaut in den grauen Fluß bzw. nur auf die dunkle Eisenbahnstahlbrücke, die Manhattan mit der Bronx verbindet.


NYC, Brücke über den Harlem Rver - Foto © Johannes Vesper 


Redaktion: Frank Becker