Fifth Avenue

Portrait einer Lebensader (1)

von Johannes Vesper

Fifth Avenue, NYC - Foto © Johannes Vesper

Fifth Avenue
 
Portrait einer Lebensader (1)
 
von Johannes Vesper
 
Die Fifth Avenue, ca. 12 Kilometer lang, ist sozusagen das Rückgrat des seit 1811 angelegten Straßenmusters von Manhattan mit dem Street-Gerippe nach Osten und Westen. Downtown weiter südlich herrscht noch das Straßenchaos aus früheren Jahrhunderten. Die Fifth Avenue beginnt im Süden an der 6. Straße, am geschichtsträchtigen Washington Square, begleitet den Central Park östlich auf ganzer Länge, wird nördlich der 120 Str. vom Marcus Grovery Park unterbrochen und endet am Harlem River an der 138. Str., wobei der Verkehr in umgekehrter Richtung, also von Norden nach Süden fließt. Diese Straße spiegelt die Geschichte und das Leben New Yorks wieder, ist abschnittsweise vielleicht die Luxusmeile der Welt, durchkreuzt aber auch das schwarze Harlem- ehemals gekennzeichnet durch Kriminalität und Drogen- und ist eine Wanderung, die offenen Auges über die gesamte Länge lohnt. An einem sonnigen Tag im November lungern auf dem Washington Park Liebespaare auf den Wiesen, sonnen faltige Alt-New Yorker ungeachtet des UV-Krebsrisikos Brust und Rücken und füttern unzählige Tauben - auch zwischendurch auch die US-ergraute Variante des Eichhörnchens, das hier heimische Grauhörnchen. Im 18. Jahrhundert Armenfriedhof - viele Opfer der Gelbfieberepidemie in den 90er Jahren des 18. Jahrhunderts wurden hier beerdigt, diente der Platz später als Hinrichtungsstätte, wobei es für einen Galgen nicht reichte, aber die humane Form der Todesstrafe von heute - per Injektion - auch noch nicht üblich war. An der Ulme in der Nordwest-Ecke wurden die Gangster aufgeknüpft und die Schuld gesühnt. Seit ca. 1825 diente die Fläche als Exerzier- und Paradeplatz, und es begann die klassizistische Bebauung rund um den Platz. Seit 1893 steht der Washington Arch am Platzrand, sozusagen den Beginn der Fifth Avenue kennzeichnend, ein kleiner Triumphbogen an der Stelle, an der George Washington gegen die Briten um die Unabhängigkeit gekämpft hat. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelte sich um den Platz herum ein Künstlerviertel. Marcel Duchamps, 1915-19 in den USA, rief 1917 die „freie und unabhängige Republik der Kunst Washington Square aus“. Edward Hopper wohnte hier und definierte mit seinen realistischen Bildern Amerika und dessen way of life. Später bis hin zur Gegenwart siedeln sich die Schönen und Reichen New Yorks an, und Candace Bushnel beschreibt das verrückte Leben derer, die in One Fifth Avenue (Titel ihres Romans von 2009) leben. Darin geht es um den „american way of life“: viel Geld, Sex, problematische Beziehungen zwischen Lebenspartnern und den Kunstmarkt.


Washington Square - NYC - Foto © Johannes Vesper
 
Zwischen 23. und 26. Straße erstreckt sich längs der 5. Ave. der Madison Square Park, benannt nach James Madison (1751-1836), dem 4. Präsidenten der Vereinigten Staaten, der zusammen mit Alexander Hamilton und Thomas Jefferson ein wichtige Rolle in der amerikanischen Unabhängigkeitsbewegung gespielt hat. Am Madison Square ragt u.a. das schmale Bügeleisen des Flatiron Building (Baujahr 1902) in die Höhe und tritt in diesen Tagen in einen Dialog mit den im Park aufgestellten Skulpturen Tony Craggs. Spaziergänge des Lebens (Walks of Life) nennt Cragg die kleine Ausstellung. Der berühmte Sportpalast Madison Square Garden befand sich bis 1925 unmittelbar nördlich des den Namen gebenden Parks (jetzt 33. SW/7. Av.).

 
Breakdance auf der 5th Avenue, NYC - Foto © Johannes Vesper
 
Weitere 10 Blocks nördlich (Ecke 34. Str.) sticht das Empire State Building in den Himmel (erbaut 1929, 449 m hoch, 110 Stockwerke, 73 Hochgeschwindigkeitsaufzüge). Die 1500 Stufen bis zum 86. Stock laufen nur Langstreckenläufer beim Empire State Building Run-Up einmal pro Jahr. Die Aussichtsplattformen im 86. bzw. 102 Stock haben Konkurrenz bekommen. Von der Plattform Top-on-the-Rock in rund 260 m Höhe auf dem Rockefeller Center an der 50. SW kann man nämlich das Empire State Building selbst vor der Kulisse des Finanzdistriktes an der Spitze Manhattans sehen, die ganze Stadt zwischen den Flüssen, eine riesige, sehr differenzierte Skulptur, atemberaubend. Dieser Blick ist einer der berühmtesten, die unsere Erde bietet. Nur wenige Blocks nördlich des Empire State Building öffnet sich der Blick auf die prächtige New York Public Library von 1911, die bedeutende Fassade durch doppelständige korinthische Säulen charakterisiert und neben dem Metropolitan Museum eines der wenigen großen Bauwerke in New York, die durch die Horizontale beeindrucken. Die beiden Löwen am Treppenaufgang halten Lärm und Hektik fern von dem Ort der Muße und des Studiums. Sie ist die fünftgrößte Bibliothek der USA mit 90 Filialen im Stadtgebiet von New York.


Die Skyline von Manhattan mit dem Empire State Building, NYC - Foto © Johannes Vesper
 
Im Übrigen tobt zwischen der 42. und 60. Str. der Gott des Konsums, der Konsumenten, New Yorker und Touristen vor sich her treibt und über die Avenue schiebt. Wer nicht weiß, wohin mit seinem Geld, kann dieses Problem hier leicht lösen. Tiffany, Gucci, Rodier, der berühmte Apple Store, der Trump Tower und alle andere Luxusschuppen geben sich ein Stelldichein und mitten auf der Avenue zwischen zwei Ampelphasen tanzt der Akrobat im Kopfstand auf den Händen.


St. Patrick´s Cathedral, NYC - Foto © Johannes Vesper
 
Zwischen all den Wolkenkratzern ist St. Patrick s Cathedral mit ihrer Marmorfassade, erbaut 1879, nur zu entdecken, wenn man unmittelbar vor ihr steht. Die größte katholische Kathedrale der USA, aktuell wegen Renovierungsarbeiten vollständig eingerüstet, ist von oben, also vom Top des Rockefeller Centers, in der Tiefe kaum identifizierbar. Die Wolkenkratzer erdrücken gleichsam diese große Kirche. Ein Bild mit Symbolcharakter.


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Teil 2
von Johannes Vespers urbanem Spaziergang