Es beklagt sich einer

Ein Lamento

von Frank Becker

Frank Becker - Foto © S-B-A
Am 21. Dezember 1935 starb Kurt Tucholsky im schwedischen Exil an den Folgen seines gebrochenen Herzens. Seine Wendriner- und Lottchen-Geschichten gehören zu den humorvollsten Texten der deutschen Literatur.
Einer seiner besten Interpreten war der Berliner Schulmeister und Filmemacher Hans-Lutz Becker, der heute, am 1. August Geburtstag gehabt hätte. Zu Tucholskys und Hans-Lutz Beckers Ehren entstand dieser Text im Tonfall der beiden.
 
Es beklagt sich einer

Also - nie erzählt einem jemand was, is ihnen das nich auch schon aufjefallen? Muß ihnen doch schon mal aufjefallen sein! Daß einem nie einer was erzählt, mein ich.
Nehmense nur mal die Sache - wolln wir uns nich setzen? - die Sache mit Teubner & Co., Schmittke is da Prokurist, das heißt, es isses jewesen. Haben nämlich Pleite jemacht vor vier Wochen. Also wenn se mich fragen, das war abzuse­hen, bei der Jeschäftsführung. Da wundert einen nischt. Aber zurück zu Schmittke. Nichts jejen den Mann, fabelhafter Kerl, eijentlich zuverlässich, kenne ihn seit Jahren. Treffe ihn noch kurz vor der Pleite und er läßt sich nichts anmerken - muß der doch jewußt haben, zu dem Zeitpunkt. Sagt aber nichts. Und plötzlich isses soweit, Teubner & Co. kollabiert, man is nich vorbereitet und muß es sich von anderen erzählen lassen. Is doch unanjenehm sowas.
Oder die Affäre Spelmann.  - Wie bitte? Nee danke, habs mir abjewöhnt vor acht Wochen. - Wie man jetzt hört, war das wohl schon lange bekannt. Was bekannt war? Sehnse, sie wußten es auch nicht. Ging mir doch jenauso.

Na, Spelmann hatte doch ein Verhältnis mit seiner Sekretärin. Ja, die Blondine. Eijentlich fad sowas, muß aber doch ne dolle Person jewesen sein. Wär ja auch nich weiter aufjekommen, haben das wohl jeschickt anjestellt die beiden, ahms im Büro und auf Jeschäftsreisen... Soweit, so jut. Also, wie jesagt, ick wußte ja davon noch nichts. Aber dann wird’s pikant. Ja pikant, hähä, hähä: fängt die Spelmann doch was mit seinem Schofför an – son jungscher Kerl – und die zwei laufen im Hotel Eden prompt dem Winterstein übern Weg.
Der hats natürlich sofort seiner Frau erzählt. Die Tratsche kann den Mund nich halten - na und nu war der Weg zu Spelmann kurz. Er, schwer jekränkt, reicht Knall auf Fall die Scheidung ein. Hat Dr. Seyberlich, erstklassiger Anwalt.
Und ich erfahrs mal wieder als letzter. - Herr Ober! Herr Ober!!! Guckt glatt durch einen durch, der Mensch. Na endlich. Bringense mir mal `n Konjak - nehmense auch einen? - also nur einen.
Wo war ich? Ach so. Na und det könntense jetzt belie­big fortsetzen: Firmenfusionen, Skandale, Theaterje­schichten, Pleiten, Ehebrüche, von mir aus Kriege und Wirtschaftskatastrophen. Nie erfährt man was, keiner sacht wat. Immer muß man sich die Informationen hinterher zusammentra­gen oder erfährts aus der Zeitung. Also nee.

Na und nu Becker - kennse doch -, nee nich der Auto­fritze, mehr humanistisch. Jenau, der Becker. Schlage die Morgenpost auf am Dienstag und was les ick? Vierzig Jahre Schuldienst ezetera pp. – Jroße Sache, entsprechend jroßes Fest na­türlich, Empfang, Büffet, Gratulation durch Senator, allet offiziell - na sie wissen schon. Alle waren da, einjeladen oder nich, Kletzig na­türlich, Treppe ooch, sojar Apitz - eben alle. Wem hat wieder keiner was jesagt? Richtig! - Aah, der Konjak, danke. - Is doch rejelrecht peinlich sowas, wie steht man denn da? Und nu nachträglich? Nee, seh ich nich ein.
Aber jetzt sage ich ihnen mal wat im Vertrauen, kommse mal 'n bißchen näher: ersten August wird der Mann sech­zig - aber sagenses nicht weiter!
Wie? Sie müssen...? -  Ja, ebenso - und Empfehlung zu Hause. Sollten uns mal sehen. Also denn – Tach.


© Frank Becker - Erstveröffentlichung in den Musenblättern