Die Tram als Lebenserfahrung

Root Leeb – „Tramfrau“

von Frank Becker

Umschlagzeichnung: Root Leeb
Noch jemand zugestiegen?

Natürlich spielt Root Leeb bei der Wahl des Titels für ihr zauberhaftes Buch ganz bewußt mit dem Wort: Geben Sie „Tramfrau“ mal in Ihre Suchmaschine ein. Ich möchte wetten, daß der Apparat zurückfragt: „Meinten Sie Traumfrau?“ - Nein, wir meinten „Tramfrau“ und die wahren Geschichten von einer, die uns zwischen Stachus und Maximiliansplatz, Hauptbahnhof und Stiglmaierplatz, Giesing und Reichenbachplatz mit ihrer 40 Tonnen schweren Trambahn chauffiert.
 
Root Leeb hat das Mitte der 80er Jahre in München getan und ihre eigenen Erfahrungen ihrer Figur Roberta Laub in den Mund gelegt, die uns als Gast mit auf ihre Schicht nimmt, der mal mit ihren Augen auf die Strecke, die Fahrgäste und den Waggon schauen darf. Es gibt schon längst nicht mehr in allen großen Städten dieses einst unentbehrliche Verkehrsmittel. In den Metropolen wurde eine U-Bahn unter dem Straßenpflaster gebaut, anderswo ersetzten Busse die an Schienen gebundenen schweren Wagen. Verloren gegangen ist eine Kultur, die wir hier noch einmal mit nahezu allen Sinnen genießen können, denn Root Leeb plaudert so intensiv und bildreich, daß man alles wovon sie erzählt zu hören, zu fühlen und zu riechen glaubt. Das Geheimnis ist unser Gedächtnis, denn wer einmal mit der Tram gefahren ist, hat den Klang der Glocke, das Fahrgeräusch, den Rhythmus und den besonderen Geruch verinnerlicht. Und wer sich noch ein wenig weiter zurückerinnern kann, wird vielleicht den Ruf „Noch jemand zugestiegen?“ im Ohr haben - aber den Schaffner, der das rief, gibt es ja auch schon lange nicht mehr.
 
Die Alltagsgeschichten von den Problemen, Nöten und Freuden der Trambahn-Fahrerin, von ihren liebenswürdigen Begegnungen mit netten Fahrgästen und den unangenehmen mit Querulanten und Schmutzfinken, von Verspätungen und wie sie zustande kommen, von ungeschickten Einsatzplänen und feiner Kollegialität sind so schön, daß man (ich habe das Büchlein zwar nicht in der Tram, aber im Bus mitgehabt) sich damit die Fahrzeit auf dem Weg dahin und dorthin wunderbar vertreibt. Dabei habe ich manches der leicht verdaulichen Kapitelchen mehr als einmal gelesen - die über die Müdigkeit, die Tram-Nächte, das Gefangensein im Fahrerstand, Schuld und Tod, über den Ferdl und die Schwarzfahrer gehören dabei zu meinen Favoriten. Wenn Sie viel mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs sind, kaufen Sie sich dieses Buch - es paßt in jede Jacken-, Mantel- oder Handtasche und ist ein wundervoller Begleiter unterwegs. Sie werden die Welt mit etwas anderen Augen betrachten lernen. Ein Musenkuß für Root Leebs „Tramfrau“.
 
Root Leeb – „Tramfrau“
Aufzeichnungen und Abenteuer der Straßenbahnfahrerin Roberta Laub

© 2003 ars vivendi, 120 Seiten, Hardcover, vierfarbig, ISBN 3-89716-383-7
€ 11,50 [D] · sFr  19,90

Weitere Informationen unter:  www.arsvivendi.com