Männer brauchen Grenzen

Der gesunde Mann

von Tina Teubner

© Tina Teubner
Der gesunde Mann
 
Dem gesunden Mann geht seine Gesundheit über alles. Für sie verplempert er sogar das Erbe seiner Kinder. Rücksichtslos haut er es in Form von Nahrungsergänzungsmitteln auf die Kacke. Geht er auf Reisen, ist sein Koffer ein einziger Klapperatismus aus Pillen, Algen und Tupperdosen mit selbst eingeweichtem Himalayasalz. Wenn seine Kinder und seine Frau ihn brauchen, sitzt er auf der Suche nach sich selbst in dubiosen bioenergetischen Selbstfindungskursen mit Schwerpunkt auf antiallergenen Sojatrophäen.
Der gesunde Mann hat schon als Zweijähriger Zahnseide verwendet und im Eurythmieunterricht ein mit Agavendicksaft gesüßtes Vollkornhörnchen getanzt. In Zeiten, in denen seine Mitschüler die „Bravo“ oder wenigstens Herrmann Hesse entdecken, vertieft er sich typischerweise in die „Apothekenrundschau“ oder die atemberaubend spannende „Reformhaus aktuell“.
Ich übertreibe. Das gebe ich ehrlich zu. Ich übertreibe sogar sehr. Ich lüge regelrecht. Aber manchmal packt mich die Wut, wenn ich diese biovernagelten Heinis sehe, die so tun, als wären die komplexen Probleme der Welt dadurch zu lösen, daß man Tag für Tag an seinen Chakra-Blockaden rumfummelt. Als könnte man der Vergänglichkeit Paroli bieten, indem man sich schon morgens Kurmolke in die Ohren gießt. Ich werde zum Rebellen, wenn ich auf diese Dogmatiker treffe, die es tatsächlich wagen, den wirklich Kranken ausnahmslos die  Schuld für ihre Krankheit in die Schuhe zu schieben. Und sich siegessicher durch die Reformhäuser unserer Republik wälzen.
Schwer auszuhalten. Nach der Begegnung mit solch dubiosen Gesundheitsaposteln stopfe ich meist umgehend drei Pfund Protestpommes in mich hinein. Oder Protestrotwein. Ich gebe ja zu, mich manchmal ungesund zu ernähren. Nicht zuletzt aus reinem Selbsterhaltungstrieb.
Neulich habe ich mehr oder weniger aus Zufall nach langer, langer Zeit wieder mal ein Reformhaus betreten. Ich hatte völlig vergessen, wie ausgemergelt, krank, bleich und verlangsamt diese Reformhausverkäuferinnen ihr Dasein fristen. Vor allem die männlichen Reformhausverkäuferinnen. Da beschleicht mich doch der Verdacht, daß ich mir einen Besuch im Reformhaus schon aus gesundheitlichen Gründen gar nicht erlauben darf. (Hinterher sehe ich noch genauso aus.) Im Übrigen auch aus zeitlichen nicht.
Ich habe keine Zeit, mir für jedes bescheuerte Brot einen Nachmittag frei zu nehmen, nur weil sie dort zehn Minuten brauchen, bis sie die gewünschte Ware entdeckt haben, zwanzig Minuten, bis sie sie in eine ökologisch wertvolle, moralisch vertretbare, garantiert nicht reißfeste Papiertüte gefummelt haben, eine halbe Stunde, bis sie wissen, was das kostet, und zweieinhalb Stunden, bis sie in der Lage sind, mir das Wechselgeld rauszugeben.
Ich habe keine Zeit dazu. Im Übrigen mag ich es auch nicht.
Genau wie diese vorwurfsvollen, verächtlichen Blicke, weil man mir ansieht, daß ich nur gelegentlich hier einkaufe. Meiner Haut, meiner ganzen Verfassung, meiner hektischen Ausstrahlung. Ich möchte aber hektisch sein. Wenn ich euch sehe,  liebe Reformhausverkäuferinnen, möchte ich noch viel hektischer werden.
Ich möchte auch nicht so phlegmatisch vor den spärlich bestückten Regalen stehen wie ihr, liebe Reformhausstammkundinnen, mit eurem grenzdebilen „Heut-tu-ich-mir-was Gutes“-Blick.
„Da mach ich mir einen schönen Hirse-Eintopf, auf den ich mich schon freu“.
„Ach guck mal! Was ist das denn? Ein leckerer Brottrunk. Das hatte ich schon lang nicht mehr. Brottrunk.“
 
BROTTRUNK!
 
BROTTRUNK!
 
Man kann sich doch nicht im Ernst in jemanden verlieben, der BROTTRUNK trinkt. Das kann doch nicht gut riechen, wenn du dir den ganzen Tag Sauerkrautsaft und Kurmolke oben reinfüllst.
 
BROTTRUNK.
 
Da schneide ich mir lieber ein Kilo Marshmellows ins Müsli. Ich kann auch Leute nicht ausstehen, die Hunger haben und dann noch drei Stunden ausharren, bis das Essen fertig ist. Vor allem dann, wenn ich bei denen eingeladen bin.
Ich kriege die Krise, wenn ich diese maßvollen Gesundheitsapostel das letzte bißchen Fett vom Spargel abkratzen sehe, aus Angst, irgend jemand könnte mitkriegen, daß sie zu irgendeiner Zeit gut und üppig gelebt haben. Da ess´ ich doch lieber - um es mit Heiner Müller zu sagen - da ess´ ich  doch lieber ein blutiges Steak zum Frühstück und trinke gierig einen Liter Benzin!
Ich habe mich vergessen. Verzeihen Sie! Aber wie sonst hätte ich Ihnen die Gefahr verdeutlichen können, die vom gesundheitswütigen, bioverwirrten Mann auf uns alle überschwappt?
 
WAS TUN?
 
Schwer zu sagen. Es wäre niveaulos, ihn dazu zu verleiten, sich mit seinen eigenen Waffen zu schlagen. Aber manchmal muß man eben auch niveaulos sein. Davon können die Erfolgreichen dieser Welt ein Liedchen singen. Buchen Sie ihm also ein Selbstfindungsseminar, bei dem er eigenhändig im handgeschnitzten Ruderboot nach Brasilien rudern darf, um dort unter Anleitung eines extrem durchleuchteten Seminarleiters bei Vollmond seltene Giftpflanzen des Regenwaldes zu pflücken und (ganz wichtig!) selber auszuprobieren.
Diese Erfahrung wird für ihn einmalig sein!
 
Und dann Heinz Erhardt nicht vergessen:
Immer wenn ich traurig bin, trink ich einen Korn.
Wenn ich dann noch traurig bin, trink ich noch 'n Korn.
Wenn ich dann noch traurig bin, trink ich noch 'n Korn.
Wenn ich dann noch traurig bin, fang ich an von vorn.  
 
 

© Tina Teubner
Weitere Informationen: www.lappan.de
Redaktion: Frank Becker