Der Bücherherbst

von Fritz Eckenga

Foto © Frank Becker
Der Bücherherbst
 
Wir befinden uns im Oktober 2014. Die Frankfurter Buchmesse ist herum und hat wieder einmal, wie schon im Jahr 1998 und allen dazwischen und davot, das Füllhorn der Literatur über das lesende Volk ausgegossen.
Es hat sich seit 1998, dem Jahr aus dem diese Glosse von Friedrich
Fritz" Eckenga stammt, vielleicht bis auf einige Namen – nicht alle, notabene! – nichts geändert. Also erlauben wir uns, Ihnen zu Ihrem und unserem Vergnügen Fritz Eckengas 16 Jahre alte und doch heute so tagesaktuellen Betrachtungen wie damals zu präsentieren.
 
Wolf Biermann: „... und schenk' Dir meine pralle Lust!“ Neue kernige Gedichte, 158 Seiten, 35 farbige Abbildungen, 17 DM, Heinrich Bauer-Verlag.
 
Textauszug:
Mein voller Schoß (Fragment):
 
Ach dachtet ihr denn
In all eurer Torheit
Es hätte kein Platz
Ihr Arsch mehr auf mir?
Jetzt schaut ihre Backen
Wie sie so ganz nacken'
Mein Tier fast zerdrücken
Mit Wollust und Gier.
Ach rück” nur ein Stück
Du hinternes Luder
Dann hat meine Klampfe
Neben dir Platz.
Noch mit blutigen Schwielen
Will ich es spielen
Mein Lied für den Arsch
Mein Lied für den Arsch
Mein Lied für den Arsch
Für den Arsch…
Für den Arsch…
 
(Und jetzt müßte eigentlich noch kommen, daß der geteilte Arsch eine Metapher für das geteilte Deutschland ist und in meinem Schoß durch den heißen Kolben meiner Begierde (Ahh!!) zusammen- gelötet wird, und das druckt dann der Spiegel ...)
 
 
Alfred Biolek: „Die Rezepte der entfernten Verwandten meiner Gäste“, 184 Seiten, zahlreiche farbige Abbildungen, 48,90 DM, Verlag Teuer & Gelddruck.
 
Textauszug:
Eines Tages rief mich mein alter Freund Rudolf Mooshammer aus München an und erzählte in seiner wirklich witzigen Art von seinem alten Freund Gerhard Meir, der ja in München, aber nicht nur da, ein äußerst prominenter Prominentencoiffeur ist, daß der einen Cousin großmütterlicherseits in Oer-Erkenschwick habe, der uuuunglaublich leckere Schlobbjes mit Mazzke machen könne. Ich sagte zu Rudi, „Mensch Rudi, daaaas Rezept mußt du mir besorgen, Schlobbjes mit Mazzke kennt ja heute kein Mensch mehr. Meine Mutter hat mir damals in Böhmen - weißt du, ich bin ja Böhme von Herkunft an ungeraden Tagen, an geraden bin ich Mähre, hähähä, wir machen immer diese köstlichen Witze - also Schlobbjes mit Mazzke, wenn du mir das Rezept besorgst, dann koch´ ich mal einen Abend Schlobbjes mit Mazzke, und dann lade ich dich und den Gerhard dazu ein und sonst keinen“ Und er hat's mir dann besorgt, und es war ein irrsinnig toller Abend. Dazu haben wir einen ganz einfachen Landwein getrunken. Der paßte perfekt. Es muß nicht immer der Teure sein, obwohl man natürlich zu Schlobbjes auch einen Teuren trinken kann.
 
Martha Grimes: „Inspektor Jury liegt unter Frauen“, 212 Seiten, 24,80 DM, rororo.
 
Textauszug:
Jury zückte seinen Dienstausweis. Macalvie schaute erst ihn und dann wieder Constable Betty Coogan an. Schließlich sagte er: „Sie haben doch gewußt, wo ich stecke. Warum zum Teufel haben Sie mich nicht schneller rufen lassen?“
Sie schaute zu Boden. Ja, sie hatte den in diesem District zuständigen Chief Superintendent erst drei Stunden nach der Entdeckung der Leiche verständigt. Stattdessen hatte sie Scotland Yard angerufen und Superintendent Jury gebeten, mit ihr zum Tatort zu fahren. Eine halbe Stunde später hielt Jurys cremefarbener Rover vor der Tür ihres kleinen, pastellfarbenen Reihenhauses in der Wilshire Street.
Über Nacht war Schnee gefallen. Jury liebte Schnee seit seinen Kindertagen. Ein jungenhaftes Lächeln umspielte seine blaßrosa Lippen, als er den zierlichen Türklopfer dreimal an die lindgrüne Holztür schlug. Betty öffnete sofort. Noch bevor Jury den Mund zur Begrüßung öffnen konnte, ahnte er ihre nur mit einem fliederfarbenen Negligé bedeckte, schneefarbene Weiblichkeit. Und obwohl Jury Schnee seit seinen Kindertagen liebte, fragte er brüsk: „Constable, was hat das zu bedeuten?“
Betty verzog den breiten Mund zu einem spöttischen Grinsen: „Ach hören Sie schon auf, Jury. Seit ungefähr 20 Bestsellern stapfen Sie durch zauberhafte Winterlandschaften und sehen gut aus. Auf wenigstens 5.000 Seiten klären Sie mäßig verzwickte Mordfälle auf und machen währenddessen einen guten Eindruck auf das weibliche Romanpersonal. Aber noch nicht ein einziges Mal haben Sie es auch nur versuchsweise mit einer dieser englischen Puderdosen getrieben. Was sind Sie? Ein Eunuch? Also los, stehen Sie nicht so blöd im Schnee rum! Kommen Sie endlich rein und legen Sie mich verdammt nochmal flach! Zum Tatort können wir danach fahren. Die Leiche läuft uns nicht weg.“
Jury riß sich noch im Hineingehen die maßgeschneiderten Langweilerklamotten vom Leib. Wie ein von Ketten befreites Raubtier stürzte er sich auf Constable Betty Coogan und versank in einem blutroten Meer der Leidenschaft.
 
Fritz J. Raddatz: „Mein Jünger“, 399 Seiten, 69,12 DM, ZEIT-Verlag.
 
Textauszug:
War er es, der den Adoleszenten zuerst erschaudern ließ vor den mählich sich auftürmenden Schaumkronen dräuender Mannestortur? Er, der Sprachvergewaltigende? Er, der Sprachgewaltige? Er, der Kriegs-Jünger? War er es, der ihm, dem jungen Fritz, dem süchtig Sinnsuchenden Ekel- und Abscheuwitterung in die Fährte wehte? Der ihn scheuen ließ vor allgegenhaftem Militanzpopanz und rückgratkrümmender Jawollordnung? Und war er es, der den sein Werk Verschlingenden, Verschließenden und Fliehenden desertieren ließ? Unterschlupf und kristallene Zukunft findend bei dem anderen Großen? War er es, der ihn so früh schon und in nie wieder erreichter Klarheit rufen ließ: „Nein, nicht mein Jünger! Mein BRECHT!“? Ja. Er war es. Er.
 
 
Aus: „Ich muß es ja wissen“ – Edition TIAMAT
Redaktion: Frank Becker