Woanders (2)

von Erwin Grosche
Woanders (2)
 
Ich hatte mal in der Zeitung für mich geworben, und dann meldete sich tatsächlich eine Frau, die ganz wild auf mich zu sein schien. Klarer Fall, da tut man so, als wäre man Heiner Lauterbach, und alles läuft völlig normal. Wir wollten uns beim Spanier treffen, auf neutralem Boden. Bei uns hatten wir nur einen Spanier und dort traf man sich immer, klarer Fall, woanders ging es ja nicht. Carlos, unser Spanier hatte ein wunderschönes Wohnzimmer, dort saß man wie zuhause und schaute Fernsehen und was man so macht, wenn man woanders ist. Wir wollten uns dort an einem Freitag treffen, aber am Wochenende ist bei Carlos schon der Bär los. Da war es teilweise so voll, daß die Kinder von Carlos außerhalb schlafen mußten, um nicht zu viel in der Schule zu verpassen. Ich rufe also Carlos an und frage, ob wir am Freitag, morgens um vier kommen könnten, wenn bei ihm nicht so viel los ist. Kein Thema, sagt Carlos, kommt um vier, dann macht euch meine Frau einen Cappuccino.
Warum nicht. Ich rufe also meinen Zeitungskontakt an und sage, das mit Carlos geht klar, ich trage einen schwarzen Anzug und habe in der Hand eine „taz“, damit sie mich überhaupt erkennt. Als Kennwort mache ich aus, ich sage „Hallöchen“ bei der Begrüßung und sie sagt „Hallöchen“ zurück, und lege auf. O.K., das mit den Hallöchens war nicht originell, aber ich dachte das Outen mit der Zeitung ist so ungewöhnlich, da kommt uns niemand in die Quere. Zwei Leute in einem Raum, die „taz“ lesen, das ist mehr als unwahrscheinlich. Ich sitze also wie abgesprochen bei meinem Spanier, Carlos wie immer gut gelaunt und super drauf, macht mir persönlich einen Cappuccino, weil seine Frau gerade den Wagen eines Stammkunden wäscht, um mich herum ist es fast leer, da kommt aus Carlos' Badezimmer ein Mann mit schwarzem Anzug und hat eine „taz“ in der Hand. Ich denke, das bin doch ich, aber ich sitze auf Carlos' Wohnzimmercouch und warte nervös auf meinen Blind Date. Die Verwirrung ist groß. Es kommt, wie es kommen muß. Die Wohnzimmertür geht auf und herein kommt meine Traumfrau, eine Frau, von der ich in meinen kühnsten Träumen nicht zu träumen gewagt hätte, um später mit den normalen Angeboten der Wirklichkeit überhaupt noch klar zukommen. Ich halte mir also die „taz“ vor die Nase und versuche einigermaßen klug auszusehen, da geht sie an mir vorbei, würdigt mich keines Blickes, steuert gleich diesen Typen mit dem ebenfalls schwarzen Anzug und der „taz“ an, und er sagt zu ihr „Hallöchen“, und sie sagt zurück „Das heißt nicht „Hallöchen“, sondern „Guten Morgen“ und „Ich liebe Sie“.
Da war das das Nachbarsmädchen gewesen. Ich ärgere mich noch heute, daß ich es dem Schicksal und meinem Nebenbuhler so leicht gemacht habe, mich zu hintergehen. Mein Zeitungskontakt, das Nachbarsmädchen, gleich Feuer und Flamme, was soll ich sagen, ehe ich meinen Cappuccino ausgetrunken hatte, waren die schon am Küssen, und alles so laut und leidenschaftlich, daß ich kaum hinsehen konnte. Und die gleich schamlos weitergemacht und sind dann kurz darauf in Carlos' Schlafzimmer verschwunden, und ich dachte, das ist wirklich nicht nur einfach Pech, sondern ein Scheißpech, ach, wär ich doch woanders. Was dem Mann da passierte, stand doch eigentlich mir zu, ich war es doch, dem diese Küsse und Schmusereien gelten müßten. Ich hatte ja schließlich auch die Anzeige bezahlt, den Deal mit Carlos klargemacht, und es war doch auch mein Nachbarsmädchen und meine Geschichte gewesen, die ich zu Ende bringen mußte. Da wäre ich lieber woanders gewesen. Das hat mir auch menschlich ziemlich zugesetzt. Ich habe dann aus Groll die gesamte „taz“ durchgelesen und war davon so durcheinander, daß ich sie schließlich abonniert habe.
 
Das Niemandsland zwischen Zuhause und woanders ist der Bahnhof. Hier treffen sich alle, die auf dem Sprung dazwischen sind und noch nicht wissen, wo sie landen werden. Ein Flugzeug fliegt dorthin, wo es schöner ist als hier. Obwohl  gibt es das denn? Gibt es einen Ort, an dem es noch schöner ist als hier? Wir sind doch hier. Wir können es uns hier so schön machen, daß es manchmal kaum zum Aushalten ist.
 
 
© Erwin Grosche
aus „Lob der Provinz“