Vom guten Essen in guter Gesellschaft (2)
Lukullische Abschweifungen Apicius muß der Biolek der Antike gewesen sein: er hat Rezepte gesammelt und sie niedergeschrieben und zwischendurch erzählt er Anekdötchen. Wenn seine Rezepte auch nicht unbedingt vor Fachkenntnis triefen, gesammelt hat er brav und läßt uns damit in die römische Küche gucken. Garum z.B. ist so ein Fall. Garum war das Maggi des Römers quasi. Apicius verrät uns das Rezept:
„Koche ein Sextarium Sardellen (das sind so viel wie 0,6 l) und drei Sextarien guten Wein (knapp 2 Liter) so lange, bis beides zu einer dicken Masse geworden ist. Diese treibe durch ein Haarsieb und hebe sie in Glasflaschen auf“.
Das hat man zu fast allen Speisen gereicht, wie Maggi in den 50er Jahren oder Ketchup. Ob es geschmeckt hat? Aber er verrät uns auch Tricks und zeigt damit, daß er beim Schreiben auch an die Profis gedacht hat. Einer davon ist:
wie man trüben Wein wieder klärt: indem man Bohnenmehl oder das Weiße von 3 Eiern in das Weinfaß gibt, mit einem Rutenbesen umrührt bis der Wein wieder klar ist. Da freuen sich aber die Weinpanscher, oder?
Überhaupt ist die antike Literatur voll mit putzigen Tips und Plaudereien.
Athenaios von Naukratis hat Ende des 2. Jahrhunderts nach Christus sein Buch „Das Gelehrtenmahl“ geschrieben, eine wundervolle Sammlung von Anekdoten und Geschichten rund ums Essen, eine gescheite Plauderei über Dit un Dat, es geht ja schließlich um alles.
Er schreibt z.B., daß Aristoteles einmal gesagt habe, daß Betrunkene aufs Gesicht fallen, wenn sie Wein getrunken haben, und auf den Rücken, wenn sie Bier getrunken haben. Warum? Weil der Wein den Kopf schwer macht, deshalb fällt man nach vorne, während das Bier betäubt, was natürlich dazu führt, daß man auf den Rücken fällt. Ja und wohin fällt der Alt-Trinker? In sich zusammen, denk ich mal!
Athenaios erzählt, daß es schon bei den alten Griechen Speisekarten gab: die Gäste haben, sobald sie sich zum Essen hingelegt haben, ein Schiefertäfelchen mit der Menufolge bekommen. Schön!
Er erzählt auch, daß die Weichtiere das Verlangen nach Liebe anregen, insbesondere die Polypen, zwei frittierte Calamari-Ringe und du bist geliefert sozusagen, und damit es einem wohlig den Rücken runterschauert, hat er immer wieder kleine Gruselgeschichten eingestreut:
der König der Lyder, Kambles, war ein Feinschmecker der gröberen Sorte. Im Heißhunger habe er nachts seine eigene Gemahlin geschlachtet und gegessen. Dazu hat er wohl etwas zu viel getrunken, denn am Morgen habe ihm - wie bei Max und Moritz die Hühnerschenkel - die Hand seiner Frau noch aus dem Hals geschaut, woraufhin er umgebracht worden sei. So weit die Antike und ihre Schauermärchen.
Kurz noch ein paar Sätze zum „Copertum“, wie der Römer sagte, dem Gedeck.
Und dazu gehörten: diverse Buttermesserchen, Gabeln, Löffel, Saucenlöffel, Marklöffel, Kaffeelöffelchen, Fischmesser, Fleischmesser, Steak-Säge, Käsegabeln, Kuchengabeln, Essig-und Ölsfläschen, Salzmühle und Peffermühlchen, Dessertlöffel und Servietten, Zangen, Pinzetten und Zahnstocher, äh, Verzeihung…
Coperto nennt es der Italiener heutzutage, ‘et Handwerkszeuch’ sagt der Rheinländer dazu. Aber was wäre diese ganze Herrlichkeit, fehlte das Wichtigste: das kleine Körbchen mit dem Brot. Nee, wat es dat schön! Man hat sich gerade hingesetzt, weiß noch nicht so recht, guckt beiläufig in die Karte, ist sich angeregt am unterhalten und schwupp! ist das Körbchen mit Brot auf dem Tisch. Und wie sich alle drauf stürzen! Aber jeder auf seine eigene, persönliche Weise:
Da gibt es die Krümler, die nervös am Brot herumzupfen bis es systematisch über den ganzen Tisch verteilt ist. Ab und zu wischen sie mit der Hand über die Tischdecke, kippen dabei in der Regel ihr Glas um, legen sich mit der Serviette trocken, rufen:
„Salz! Da muß Salz drauf wegen der Flecken!“, falls es Rotwein war, und krümeln weiter.
Dann gibt es die Häufler, die Unmengen von Butter, Knoblauchbutter, Gänseschmalz oder was immer in dem kleinen Töpfchen ist, das dekorativ den Tisch ziert, bevor aufgefahren wird, auf möglichst kleine Abrisse vom Brot streichen. Wie viel auf einer Messerspitze Platz hat! Wie weit sie die Finger spreizen können, weil sie sich nicht bekleckern aber trotzdem das Brotstück noch halten wollen! Wie beinahe alles auf dem Weg zum Mund herunterfallen kann! Wie weit sie den Mund öffnen können! Atemberaubend.
Ganz anders die Stullenschmierer: sie holen sich Scheibchen für Scheibchen auf den Teller, beschmieren sie konzentriert mit Aufstrich, und immer warte ich darauf, daß sie gleich eine Plastikdose aus ihrer Aktentasche holen (der Stullenschmierer hat immer eine Aktentasche dabei), die beschmierten Brötchen sorgfältig in Servietten einpacken und alles zusammen „für nohm Büro“ in der Dose verstauen.
Es gibt die Vorsorger, die sich sofort drei oder vier Brötchen nehmen, weil sie dem Restaurant und seinen Beilagen mißtrauen. Sie sparen die Brötchen bis zum Hauptgang auf um sie dann doch nicht zu essen, weil die Kartöffelchen so lecker waren.
Rar, aber niedlich zu beobachten, sind die Pillendreher. Wie elegant sie mit drei (niemals zwei!) Fingern nach dem Brot langen! Wie geschickt sie aus dem Weichen kleine Pillchen drehen können ohne hinzusehen! Wie beiläufig die Pillchen über den Tisch rollen oder ins Weinglas fallen! Wie hübsch die Pillchen ihre Farbe wechseln: vom unschuldigen Weiß bis zum tiefen Schwarz!
Dann gibt es die Intensiven: sie sind so in das Gespräch vertieft, daß sie gar nicht merken, daß sie ein Brot in der Hand halten. Wild fuchteln sie damit vor den Augen ihrer Tischnachbarn herum und hauen es auf den Tisch, um ihren Argumenten Kraft zu verleihen.
Einer dieser Intensiven legte sich ein Brot auf den Teller und erzählte dabei von seiner Mutter: daß sie jetzt leider im Krankenhaus sei und liebevoller Pflege bedürfe, daß er gerne jeden Tag zweimal hinführe, habe sie sich doch früher immer sehr um ihn gekümmert und jetzt sei eben er dran, daß sie sich so sehr über seine Besuche freue und stundenlang aus seiner Kindheit erzähle, Geschichten, die er bisher noch gar nicht gekannt habe, daß darüber die Zeit im Fluge vergehe und daß er überhaupt über diese Besuche ein so inniges Verhältnis zu seiner Mutter gewonnen habe, wie er es bisher noch nie gehabt habe.
Und während er erzählte, bohrte er mit der Messerspitze im Brötchen herum, schnitt es dann kräftig und entschlossen in drei, vier Teile und hackte diese systematisch zu Brösel klein.
Man muß weder Psychologe noch Gastrokritiker sein, um zu sehen, daß die Wahrheit öfter auf dem Teller als im Mund liegt. Aber das ist ja das Schöne am Körbchen Brot vor dem ersten Gang: ein Griff und Du weißt, mit wem Du es als Tischnachbar(in) zu tun hast! Und wenn man es selber macht, haben auch die Geschmacksnerven was davon.
In diesem Sinne
Ihr
Konrad Beikircher
© 2014 Konrad Beikircher für die Musenblätter
Redaktion: Frank Becker |