Kein Liebeslied

von Hanns Dieter Hüsch

© Jürgen Pankarz
Kein Liebeslied
 
Ich nehme ja an, Sie kennen mich schon ein bißchen von früher. Ich bin ja Komiker, d.h. ich wollte ja eigentlich ganz, ganz früher zur Oper, ich weiß nicht, ob Sie das damals mitgekriegt haben. Aber wie das Schicksal so mit einem umgeht, Sie kennen das Schicksal ja auch, das geht ja immer mit einem um, bin ich dann doch im Laufe der Jahre Komiker geworden. Letztendlich wahrscheinlich, Weil meine Mutter wollte, daß ich Arzt werden sollte, also Chirurg. Weil ich ja diese Pianisten-Flossen habe. Ich hab aber nicht genug geübt, also nicht als Chirurg, sondern in der Klavierstunde als Höherer Sohn, sonst wäre ich heute so was wie der Sauerbruch damals: Ein richtiger Arzt, und könnte abends meiner Frau was von Chopin vorspielen. Ich weiß nicht, ob Sie das wissen, die meisten Ärzte spielen abends ihren Gefährtinnen was von Chopin vor. Das ist gar kein Geheimnis, das können Sie ruhig weitersagen, das ist allgemein bekannt, Sie können mal Ihren Hausarzt fragen, die meisten Ärzte spielen abends ihren Gefährtinnen was von Chopin vor. Manche sagen auch Schoppeng, das ist aber derselbe, das kann ich Ihnen garantieren. Natürlich gibt´s Ausnahmen, aber die meisten Ärzte spielen tatsächlich abends ihren Gefährtinnen was von Chopin vor, der ja auch so unglückselig gestorben ist, ich meine, die meisten Romantiker sterben ja unglückselig, bis dort hinaus. Das ist keine Krankheit, das sagt man so: Bis dort hinaus. Das hab ich als Komiker rausgekriegt, als Chirurg wäre ich vielleicht gar nicht darauf gekommen. Vielleicht noch als Opernregisseur, aber als Komiker kommt man auf die meisten Sachen, die einem im Leben und Sterben so passieren können. Müssen Sie mal drauf achten! Ach, Sie sind ja noch kein Komiker. Vielleicht werden Sie noch einer, das ging bei mir auch nicht von heute auf morgen. Da habe ich über 40 Jahre zu gebraucht. Aber ich bin gar nicht unglücklich deswegen, muß ich Ihnen sagen. Nur eins ist mir aufgefallen, muß ich Ihnen rasch erzählen, ich kann kein Liebeslied singen, da lachen die Leute immer! Also wenn ich ganz ernsthaft ein Liebeslied singe, fangen immer alle an zu lachen, obwohl ich überhaupt kein Gesicht verzieh. Ich mach gar nichts, ich schneide keine Grimasse, gar nichts. Aber die Leute trauen mir das nicht zu. Wenn ich dann aber ein Friedenslied singe, sind sie alle ganz betroffen und nachdenklich, und die Mundwinkel gehen sofort runter, aber wenn ich ein Liebeslied singe, fangen alle an zu lachen. Da könnt ich richtig wütend werden. Wirklich wahr, da könnt ich richtig, also wenn ich vielleicht ein Chirurg wär, und dann ein Liebeslied sänge, man beachte übrigens den Konjunktiv „sänge“. ]a, früher habe ich immer „singen würde“ gesagt, das ist ganz schlechtes Deutsch, das heißt „sänge“ mit „ä“ - ein Liebeslied sänge  mit „ä“, nicht wahr, dann wär ich vielleicht besser dran. Also, wenn ich ein Liebeslied singe, muß ich immer alles furchtbar übertreiben, dann glauben mir das die Leute das kein bißchen. Aber wenn ich ein Friedenslied singe, brauche ich gar nichts zu übertreiben, dann sind sie alle sofort nachdenklich, besinnlich, senken immer den Kopf auf die Brust wie früher die Pferde beim Reit und Springturnier. Ja, ja, jetzt weiß man ja auch warum, es ist ja alles rausgekommen, bei dieser ganzen Schweinerei. Die Tiere, die hatten keine Lust, die armen Dinger, nicht wahr. Aber wenn ich dann singe „Ich bin ein leichter Vogel und fliege durch die Nacht“, sind immer alle ganz erstaunt, obwohl noch gar nichts passiert ist. Das sind ja nur zwei Zeilen, aber wenn ich dann wiederhole „und fliege durch die Nacht“, dann lachen sie wieder alle. So, als wollten sie sagen, der und durch die Nacht fliegen, der soll nach Hause gehen und Friedenslieder singen. Ja, und wenn ich dann noch singe „Und alle meine Flügel,  die hatten mein Lied gemacht“, sind sie alle wieder ganz erstaunt, und wenn ich dann wiederhole „mein Lied gemaaacht“, dann lachen sie alle wieder. Ich will das nicht! Ich will, daß die Leute todernst sind, todernst oder wenigstens richtig gerührt, oder wie heißt das Wort, bestürzt, das ist mein Lieblingswort, bestürzt, nicht wahr, oder bewegt, erschüttert, erschüttert, all diese schönen Worte mit „ü“. Gerührt, bestürzt, erschüttert! Aber sie lachen sich kaputt, sie lachen sich kaputt. Sie trauen es mir nicht zu. Ein Friedenslied schon  aber kein Liebeslied. Das will von mir niemand hören. Und zwar, ich vermute ja folgendes, wenn man als Komiker niemanden hat, und eigentlich ja auch niemanden haben darf, das ist ein ungeschriebenes Gesetz,  sonst ist man kein richtiger Komiker, entweder oder, man kann eben nicht alles haben im Leben, ja oder nein. Das kennen Sie ja, das ist ja gar nix Neues, das kennen Sie ja auch, also man kann nicht alles haben im Leben. Ja oder Nein, entweder oder. Sagt Oberschwester Lene ja auch immer. Nein, sie sagt immer, wenn man´s weiß, ist es ja gut, sagt sie immer, also nicht im Zimmer, sondern auf lm Flur, sonst ist man ja kein Komiker. Einem Arzt wird sofort alles geglaubt, alles, nicht wahr, wenn der in Liebeslied sänge, einem Opernregisseur auch. Aber die dürfen ja auch jemanden haben, nur´n Komiker nicht. Ja oder nein, entweder oder, man kann nicht alles haben! Das kennen Sie doch sicher auch, man kann nicht alles haben im Leben, ja oder nein, entweder oder.
 

 
© Chris Rasche-Hüsch
Veröffentlichung aus "Meine Geschichten" in den Musenblättern mit freundlicher Genehmigung
Die Zeichnungen stellte freundlicherweise Jürgen Pankarz zur Verfügung.
Redaktion: Frank Becker