Kein Fluß für Träumer - Die Loire

Eine Testfahrt mit Hindernissen (2)

von Gereon Lepper

Morgenstimmung mit AKW - Foto © Gereon Lepper

Kein Fluß für Träumer - Die Loire
 
Eine Testfahrt mit Hindernissen (2)


Neues Spiel neues Glück.
 
Mit nun hoffentlich Loire tüchtigem Boot und stark reduzierter Ladung (nur noch ca.70 kg) konnte es endlich losgehen. Am zweiten Tag kam es dann zu den anfangs beschriebenen Unannehmlichkeiten. Am dritten Tag machte sich der mitgeführte Anglerschirm bezahlt. Im extremen Regen, die Wasser­oberfläche kochte, beobachtete ich im Trockenen und sicher am Ufer fixiert die Besatzung von sechs Kanadiern hastig am gegenüberliegenden Ufer unter einem Tarp Schutz suchen. Aua, das sah ziem­lich naß aus. Seit der Ruderreise nach Hamburg würde ich nie wieder ohne Anglerschirm losfahren.
Am nächsten Tag dann, ein paar Kilometer unterhalb von Diou, die nächste zumindest für mich uner­fahrenen Paddelamateur ziemlich heftige Stromschnelle. Lust zum Umtragen hatte ich keine, das war auch wegen des ca. acht Meter hohen Steilufers fast unmöglich. Also genau angeguckt, dabei nicht reingefallen, und dann sauber durchgefahren. Die paar Liter ins offene Mittelmodul geschwappte Wasser waren mit der Plastikdreckschaufel schnell rausgeschaufelt.

Foto © Gereon Lepper
Dann in der Ferne musikalische Klänge und der am rechten Ufer auftauchender Kirchturm von St.-Aubin-sur-Loire.
Das klang nach einem Dorffest. Ich liebe Dorffeste.
Kaum am Ufer angekommen und immer noch wegen des Stromschnellen-Abenteuers vollgepumpt mit Adrenalin, verwickelte mich ein auf mein Boot neugieriger Franzose in ein Gespräch. Wir beschlossen, gemeinsam das Dorffest unsicher zu machen. Wie sich herausstellte, war die Hauptattraktion des Festes das Backen eines ca. zehn Meter langen Kuchens.
Aber Bier gab es auch und nach dem zweiten fragte mich Michel, ob ich eigentlich mein Boot fest­gemacht hätte. Schneller laufen sah man mich nie. Vor lauter Gequatsche hatte ich total verges­sen das Boot zu sichern. Ich hatte es noch nicht einmal das Ufer hinaufgezogen. Ich sah mich schon Daniel, den netten Fluß-Ranger, den ich bei meiner Abfahrt in Pouilly kennengelernt hatte, um einen Hubschrauber bitten. Aber welch ein Wunder, das Boot war noch da und mit ihm meine gesamte Ausrüstung. Der auflan­dige Wind und wahrscheinlich meine verstorbene Mutter hatten es am Ufer festgeklebt. Uff. Das war mein zweiter Fehler, aber lei­der sind ja aller guten Dinge drei.
 
Die nächsten Tage verliefen zunächst friedlich. Ich paddelte oder trieb durch phantastische Flußland­schaften, durch kleine Kuhherden, die mitten im Fluß stehend wie Nilpferde Wasserpflanzen grasten (Abb. 10). Daniel hatte mir erzählt, die Loire sei so kontaminiert, daß man keine Loire-Fische essen sollte. Ob sich diese Kontamina­tion auf quasi in der Loire lebende Kühe und deren Milch auswirkt, hat er mir nicht gesagt.
Ich übernachtete meist im schwimmenden Boot und wachte wegen des ständig fallenden Wasserstandes nicht selten auf dem Trockenen wieder auf.


Foto © Gereon Lepper


Am Wehr von Dezise bewährte sich zum ersten Mal die Modul­bauweise meines Nachens. Der Umtragepfad war über gefühlte 500 Meter derart holprig und san­dig, daß ich mein Fünf-Meter-Geschoß als Ganzes selbst mit Bootswagen nicht durch den Wald gewuchtet bekommen hätte. Also Boot an Land gezogen, in drei Teile zerlegt (die beiden vorderen und hinteren Module ließ ich jeweils zusammen), dann das mittlere Modul auf den Bootswagen geschnallt und zum Gepäckwagen umfunktioniert. Nach der ersten Tour die beiden zurück­gelassenen Modul-Pakete miteinander verschraubt und dann mit dem Bootswagen ebenfalls zur Wiedereinsatzstelle unterhalb des Wehres gerollt. Dann alles wieder zusammen montiert, beladen und weiter ging es in die fast dunkle Nacht mit dem schon aufgegangenen Vollmond.
Das muß so unheimlich romantisch ausgesehen haben, wie ich da durch die Dunkelheit fuhr, daß mich ein Angler fotografierte und noch nicht einmal sauer wurde, als ich seine Angelschnüre touchierte. Vor kurzem hat er mir die Fotos dank zugerufener E-Mail-Adresse sogar geschickt.
 
Anschließend Übernachtung an kleinem Strand ca. 2 km unterhalb des Wehrs. Zum Kochen war ich an dem Abend zu fertig, die Umtrageaktion hatte fast drei Stunden gedauert, und so gab es an dem Abend nur Pum­pernickel mit Ölsardinen.


Foto © Gereon Lepper

Am nächsten Morgen ging es mit Rückenwind und kräftiger Strömung flott weiter, bis bei Imphy mein dritter und letzter Fehler begangen werden wollte. Das Wehr war eigentlich ziemlich harmlos und auch vom Ufer und von einer Brücke aus gut anzusehen. Da vom Boot aus die Durchfahrten oft erst sehr spät zu erkennen sind, versuchte ich mir vom Ufer aus einen markanten Stein rechts von der mittleren Durchfahrt einzuprägen. Das Dumme war nur, daß, als ich mich mit ziemlicher Geschwindigkeit dem Wehr näherte, plötzlich zwei identische Steine auftauchten und ich mich für den falschen entschied. Als ich den erreichte, war es zu spät für irgendwelche Kurs-Korrekturen. Vor mir nur Felsbrocken, durch die sich eng und schnell das Wasser zwängte. Augen zu und durch! Hat etwas gerumpelt und geknirscht und rechts und links für ein paar Kratzer gesorgt, aber immerhin bin ich nicht hängen­geblieben. Das war immer meine größte Sorge, mitten in einer Stromschnelle an Hindernissen hängen zu bleiben, quer zu ziehen und mich dann alleine aus diesem Problem befreien zu müssen. Das ist aber zum Glück nie passiert. Das Wehr bei Imphy war dann auch mein letzter Patzer. Danach hatte ich zwar immer noch vor jedem Wehr eine gesunde Portion Angst, aber die gehört zum Aben­teuer nun mal dazu und macht außerdem vorsichtig. Abenteuer finde ich unheimlich gut, hinterher. Mittendrin sind sie meistens naß, heiß, kalt, stürmisch, irgendwie unbequem und nicht wirklich romantisch.
Dramen gab es ab jetzt keine mehr, nur noch spannende Momente. Zum Beispiel war das Passieren der ca. 50 cm hohe Stufe im Wehr von Nevers für mich ziemlich aufregend (hier konnte ich bei der Vorbesichtigung einem Wohnmobil-Fahrer meine Kamera in die Hand drücken.


Loire-Stromschnellen - Foto: Alain Kesch

Auch die Durchfahrt von Orleans war aufregend. 30 km oberhalb der Stadt hatte ich mir in Chateau-Neuf-Sur-Loire ein Fahrrad geliehen, um in Orleans und in Jargau die besten Durchfahrtsmöglich­keiten zu erkunden. Dabei fiel mir der enorme Kontrast zwischen dem schmalen Streifen fast urzeitli­cher Loire Flußlandschaft und dem meistens vom Wasser aus nicht sichtbaren und eher langweiligen agrardominierten Hinterland auf.
 
Das Wildschwein-Camp war auch nicht schlecht. Ich hatte mir irgendwann angewöhnt, das Boot wenn möglich abends an Land zu ziehen. Das hatte den Vorteil, daß das Errichten und Abbauen der Persenning und auch das Kochen nicht zur Kneippkur aus­artete. Und an Land konnte man das Bug- oder Heckmodul als Tisch benutzen. Jedenfalls hatte ich gerade mit leichter Mühe, in Sichtweite des AKW Dampiere (Abb. 13), das Boot auf einer fla­chen Uferböschung waagerecht ausgerichtet, als ich direkt dahin­ter eine Wildschweinsuhle ent­deckte. Wegen der
vorangegan­gene Mühe hatte ich keine Lust mehr umzuziehen. Als Schutz­maßnahme gegen mögliche Atta­cken wilder Wildschwein-Horden machte ich rechts und links des Bootes ein Feuer und zog außerdem noch einen Urinstreifen um das Lager. Vielleicht eine übertriebene Maßnahme, aber ich fand sie lustig und hatte auch wirklich keine Lust, nachts beschnüffelt zu werden.
Ursprünglich sollte mich meine Reise bis nach Nantes führen, aber durch die Optimierungsmaßnah­men nach der ersten Reise hatte ich schon viel Zeit verbraucht. Irgendwie reichten mir auch die gemachten Erfahrungen, als ich nach drei Wochen und insgesamt 450 Flußkilometern in Vouvrey kurz vor Tours meine Reise beendete.


Naturbelassen - Foto © Gereon Lepper
 
Fazit: Die Loire, der letzte große Wildfluß Europas, hat alle meine Erwartungen übertrof­fen.
Ursprünglich wie vor 10.000 Jah­ren (Abb. 14 und 15), ungezähmt und unberechenbar, sehr span­nend, aber auch anstrengend, denn entspannen konnte ich mich meist nur beim Lagern. Unter­wegs hatte ich immer das Gefühl, auf der Hut sein zu müssen, selbst in harmlos erscheinenden Fluß­abschnitten beobachtete ich immer die Wasserfläche vor dem Boot, um rechtzeitig zu sehen, ob sich das Wasser irgendwo kräuselt. Denn dann wartet knapp unter der Wasseroberfläche garantiert ein Felsbrocken oder Baumstamm darauf gerammt zu werden. Mit einem Tiefgang von knapp 10 cm bei schneller Strömung durch 12 bis 15 cm tiefes Wasser zu schießen machte aber auch Spaß. Die Stromschnellen mit oder ohne Brücke sind auch nicht ohne. Die bei Beaugency ist so schnell, daß laut Loire-Führer selbst erfahrene Kanuten dort lieber umtragen. Ich war dazu zu faul und bin auch dort, allerdings erst nach einer mindestens einstündigen Vorbesichtigung, ohne Probleme durchgerauscht. Für das nette Städtchen hatte ich währenddessen allerdings kein Auge.
 
Mit meinem Eigenbau war ich nach den anfangs beschriebenen Optimierungsmaßnahmen absolut zufrieden:
Im Wasser zeigt das Boot ein sehr gutmütiges Verhalten ohne zu „kippeln“. Man kann sich z.B. wäh­rend der Fahrt problemlos hinstel­len. Außerdem fand ich es spurtreu und trotzdem gut lenkbar. Der sehr geringe Tiefgang war auf der Loire unverzichtbar.
Insgesamt ist das Boot sehr kom­fortabel und vielseitig, ein richtiges schwim­mendes Zuhause. Aller­dings, wegen seiner nicht gerade hydro­dynamischen Rumpfform, nicht unbedingt eine Rakete. Die weni­gen Kanadierfahrer, denen ich unterwegs begegnet bin, waren allerdings auch nicht viel schneller und will man das überhaupt immer sein?
Was mein Boot nicht mag, sind durch Gegenwind aufgebaute etwas höhere Wellen. Die bollerten dann unter den flachen Bug und bremsten ganz schön. Aber das erlebte ich nur an meinem letzen Tag.
Was mich jetzt interessiert: Wie beurteilt ein erfahrener Kanute das Fahrverhalten meines Bootes? Denn wenn dieses im Vergleich zu klassischen Booten nicht allzu schlecht abschneidet, könnte ich mir eine kleine Serienproduktion vorstellen.
Vielleicht hat ja jemand eine Idee. Über Anregungen würde ich mich freuen.
 
© Gereon Lepper