Kein Fluß für Träumer - Die Loire

Eine Testfahrt mit Hindernissen (1)

von Gereon Lepper

Das Vorbild: ein historisches Loire-Schiff - Foto © Gereon Lepper

Kein Fluß für Träumer - Die Loire
 
Eine Testfahrt mit Hindernissen (1)
 
Fast hätte es mich erwischt.
 
Zu Beginn meines zweiten Versuchs, die Loire mit einem selbst konstruierten Boot zu befahren, wollte ich zu Fuß die beste Durchfahrtsstelle des Wehrs bei Digion erkunden. Dabei rutschte ich aus und fiel in die Stromschnelle. Unter Wasser wurde ich - unfähig zu reagieren - von einer Kraft, die eindeutig stärker war als ich, mit enormer Wucht mit Rücken und Armen gegen Felsen geschleudert. Mein einziger Gedanke: Fuuuuuck! Sekunden später kam ich hustend und wasserspuckend wieder an die Oberfläche.
Nachdem ich das nahe Ufer schwimmend erreicht hatte, Bestandsaufnahme der Verluste: Ein Hemd (zerrissen), ein Gummi­schuh (verschwunden), meine Lieblingskappe (auch verschwun­den) und mein Leichtsinn (ange­schlagen). Ich hatte unwahr­scheinliches Glück, nicht mit dem Kopf gegen die Felsen geknallt worden zu sein. Meine Rippen fühlten sich noch tagelang gebro­chen an und mein Arm sah auch nicht schlecht aus.
Nach diesem Schreck ging ich, möglichst cool - denn es gab Zuschauer - zu meinem etwas Flußaufwärts liegenden Boot. Mit diesem war anschließend die Passage des Wehrs überhaupt kein Problem. Danach ans rechte Ufer verholt und erst mal eine Dose Bier aufgemacht. An diesem Tag hatte ich genug vom Wassersport. Ich errichtete mein schwimmen­des Camp am Ufer von Digion und feierte mein Glück. Am nächsten Morgen kaufte ich mir dann eine Schwimmweste.
 
Ich bin eigentlich kein Kanute, liebe aber das Reisen auf dem Wasser in jeder möglichen Form. Vor einigen Jahren kam ich während einer
Wanderung zum ersten Mal mit der Loire in Berührung und war sofort begeistert von ihrer ungezähmten Schönheit. Mein damals erster, etwas naiver Gedanke war, mich einmal mit einem Floß den gesamten Fluß hinunter treiben zu lassen.
Später sah ich dann an verschie­denen Stellen Nachbauten histori­scher Loire-Schiffe (Abb. s. oben). Diese schwarz gestrichenen, flachbödigen Chalandes, Futreaus oder Bachots passen sich mit ihrer archaischen Bauform der Loire perfekt an.
Als Metallbildhauer im Umgang mit Blechen nicht ganz unerfahren kam mir eine Idee: Ich könnte mir doch, in formaler Anlehnung an die historischen Loire-Schiffe, selbst ein auf die loirespezifischen Notwendigkeiten sowie meine eigenen Bedürfnisse abgestimmtes Boot bauen. Die Floß-Flause hatte ich schon lange begraben, Kajaks stellte ich mir zu eng vor, Faltboote zu empfindlich und mit einem Kanadier fürchtete ich, immer nur im Kreis zu fahren.
Zu diesem Zeitpunkt waren mir zwei Schwierigkeiten der Loire bekannt: Streckenweise ist der Fluß extrem flach und es gibt mehrere Atomkraftwerke, die mit unbefahrbaren Staustufen den Flußlauf blockieren.
Zunächst auf Bierdeckeln, später dann auf meinem Reißbrett nahm mein Plan immer konkretere Formen an. Als selbst gestellte Vorgaben galten: Das Boot sollte einfach in der Herstellung, robust und trotzdem nicht zu schwer, flachbödig, natürlich unsinkbar und, da ich die Reise nur in Begleitung meines Vier-Kilo-Mini-Dobermanns Leo machen wollte, zum Erleichtern des Umtragens zerlegbar sein. Außerdem war ich daran interessiert, ein Boot zu bauen, in dem ich unabhängig von der jeweiligen Uferbeschaffenheit schwimmend verankert und geschützt durch eine zeltartige Konstruktion (Persenning) übernachten konnte.
So entstand nach mehreren Vorversuchen ein aus gekanteten und geschweißten Aluminiumblechen gefertigter modularer Bootsbausatz.


Käpt´n Leo schlecht gelaunt - Foto © Gereon Lepper
 
Nach erfolgreichen Testfahrten auf der Ruhr, machten Leo und ich uns Anfang Juli auf den Weg nach Frankreich. Zielort war Pouilly sous Charlieu (nicht zu verwech­seln mit Pouilly sur Loire) 15 km nördlich von Roanne. Nach einer etwas mühseligen Anfahrt - mein 19 Jahre alter Passat weigerte sich gelegentlich anzuspringen und benötigte dann immer leichte Hammerschläge auf den Anlasser - kam ich nach 2 Tagen in Pouilly an.
Ein trotz mörderischer Hitze Boule spielender Franzose half mir, die Kurzfassung meines Bootes vom Autodach zu heben und lud mich dann nicht nur dazu ein, abends mit ihm und seiner Familie das Spiel Deutschland-Italien zu sehen, sondern bot mir auch an, meinen Wagen während meiner Flußfahrt bei ihm abzustellen!
Schnell war an Land mein „Fluß-Mobil“ mit allen 5 Modulen und dem Zeltdach montiert. Dem sehr netten Abend bei Familie Bourreliere - während des Spiels entlud sich die Tageshitze in einem extrem heftigen Gewitter - folgte die erste Übernachtung an Bord mit, obwohl alles trocken geblieben war, sehr schlecht gelauntem Leo.
 
Nach morgendlichem Shopping-Marathon Zuwasserlassung an sehr guter Einsatzstelle mit Hilfe des Bootswagens. Bei dem anschließenden Beladen wurde das Boot bedenklich tief in die Loire gedrückt. Aus Sorge, unterwegs nicht genug Versorgungsmöglichkeiten zu haben, hatte ich viel zu viel Aus­rüstung, Bücher und Lebensmittel dabei.
Nach Reduzierung des Gewichts - u.a. wurde die Zahnpasta-Tube genau wie der Salzstreuer und das Spülmittel halb entleert - startete ich bei schwüler Hitze und begleitet von fernem Donnergrollen am frühen Nachmittag. Obwohl in seinem eigenen Modul sehr komfortabel plaziert und eigentlich auch durch eine gemeinsame Ruderfahrt von Prag nach Hamburg als Bootshund erfahren, fand Leo die ganze Aktion irgendwie ungut.
Währenddessen kam trotz schneller Strömung das Donnergrollen immer näher. Leos mulmiges Gefühl übertrug sich auf mich. Als ich dann nach wenigen Kilometern eine geeignete Landestelle sah, zögerte ich nicht lange, zog das Boot an Land und schaffte es gerade noch rechtzeitig das Zeltdach zu errichten.
Ich wollte immer schon einmal golfballgroße Hagelkörner sehen.
 
  Hagel-Whiskey - Foto © Gereon Lepper
 
Jetzt sah ich sie nicht nur, sondern hörte sie auch. Leo fand das überhaupt nicht lustig undverkroch sich zwischen meine Beine. Zum Glück war das extrem stabile Zeltdach aus Stamoid sein Geld wert. Was für ein gutes Gefühl, sicher geschützt darunter zu liegen, nach draußen zu greifen, ein paar Eisbrocken zu sammeln und sich erst einmal im Thermobecher einen Whiskey on the rocks zu machen.
Vielleicht auch der richtige Moment für einen ersten Blick in den Loire-Führer von Martin Schulz?
 
Normalerweise lese ich keine Reiseführer und lasse mich lieber überraschen. Diesen hatte ich mir nur wegen des darin enthaltenen Kartenmaterials gekauft. Nachdem ich aber nun die durch die vergan­genen Gewitter stark angestiegene Loire mit der entsprechenden Fließgeschwindigkeit erlebte, kam mir dieser Fluß entgegen der Beschreibung eines Loire-erfahrener Verwandten („...die Loire ist kein Problem, da bin ich mit meinen Kindern im Faltboot runter gefahren, nur bei den Brücken mußt du ein bißchen aufpassen, da sind manchmal Stangen oder Steine im Wasser...“) nicht mehr ganz so harmlos vor. Irgendwas stimmte hier nicht, und etwas mehr Vorabkenntnis konnte sicher nicht scha­den.
So erfuhr ich von Martin Schulz, daß es im Verlauf der Loire unter anderem an den nicht seltenen mittelalterlichen Brü­cken nicht nur gefähr­liche Hindernisse, sondern auch kurze Wildwasser ähnliche Situationen gibt. Mir wurde klar, daß mein durch Sandwich-Böden zwar unsink­bares, aber ansons­ten völlig offenes Boot absolut ungeeignet war, um damit durch starken Schwall zu fahren. Auch für den wasserscheuen Leo wäre das viel zu ge­fährlich.
Die einzige Konse­quenz: Rückzug!
 
Wieder in Düsseldorf optimierte ich meine beiden Transportmittel.
Der Passat bekam einen neuen Anlasser und die beiden vorderen und hinteren Module eine Sperr­holzabdeckung inklusive wasserdichter Revisions- und Beladeöffnung.


Kenterversuch auf der Ruhr - Foto © Gereon Lepper

Erneut auf der Ruhr erfolgreich getestet (inklusive eines 360 Grad Kenterversuchs) ging es dann Ende Juli, diesmal sicherheitshalber ohne Leo, wieder zum alten Einsatzort zurück. Der Wasser­stand war seit dem letzten Mal um fast einen Meter gefallen, das Wetter war phantastisch und die Loire floß gemächlich vor sich hin.
 
© Gereon Lepper

Lesen Sie morgen hier den zweiten Teil von Gereon Leppers abenteuerlichen Loire-Fahrt.