Eine Frage des Vertrauens

„Ziemlich beste Freunde“ im Wuppertaler TiC-Theater

von Frank Becker

Kauf ichs oder kauf ichs nicht? - Andreas Mucke, Tarik Dafi, Livia Caruso - Foto © Martin Mazur

Eine Frage des Vertrauens
 
„Ziemlich beste Freunde“
für die Bühne eingerichtet von Gunnar Dreßler
 
Regie: Ralf Budde – Ausstattung: Thomas Pfau – Choreographie: Tarik Dafi / Livia Caruso - Fotos: Martin Mazur
Besetzung: Andreas Mucke (Philippe) – Tarik Dafi (Driss) – Livia Caruso (Magalie, Galeristin, Prostituierte, Eleonore) – Dennis Gottschalk (Bewerber, Antoine, Pfleger)
 
Wie geht man entspannt und möglichst unkompliziert mit dem Schicksal eines bis hinauf zum Hals querschnittsgelähmten Menschen um? Wie erträgt er seine grausame Behinderung, wie kann seine Umwelt es ihm erträglich und das gleichzeitig sich selbst zur Aufgabe machen? Der französische Unternehmer Philippe Pozzo die Borgo hat eben dieses Schicksal durch einen Sportunfall erlitten, und als sei das nicht genug, auch noch seine geliebte Frau durch schwere Krankheit und frühen Tod verloren. Dank seines finanziellen Hintergrundes fand er kundige fachliche Hilfe und durch Freunde menschliche Zuwendung – allen voran durch einen, den Pfleger Abdel Jasmin Sellou, mit dem ihn bald eine tiefe Freundschaft verband. Pozzo hat ein Buch über sein Schicksal und diese Freundschaft geschrieben, Eric Toledano und Olivier Nakache haben daraus für das Kino einen der wohl besten Filme jüngerer Zeit gemacht, der zu einem Kassenschlager wurde. Am Freitagabend brachte das Wuppertaler TiC-Theater vor ausverkauftem Haus die Theaterfassung von Gunnar Dreßler in der Regie seines Intendanten Ralf Budde auf die Bühne. So viel schon hier: ein voller Erfolg.
 
Mit sicherem Griff besetzte Budde die vier tragenden Rollen aus dem großen Ensemble der semiprofessionellen Laienbühne und fand in Thomas Pfau einen gewitzten Ausstatter, der aus den räumlichen Möglichkeiten ein Optimum für die Handlung machte. Zwangsläufig muß sich das Geschehen für den im Rollstuhl sitzenden oder im Bett liegenden Philippe auf engstem Raum abspielen, was die Konzentration auf die Personen und Dialoge lenkt. Budde hat das in kurzen Szenen so fesselnd und präzise inszeniert, daß die zwei Stunden, in denen auf der Bühne ein Underdog zum verantwortungsbewußten und –bereiten Mann wird und ein an ein Schicksal ohne Zukunft Verlorener neuen Lebensmut schöpft, wie im Fluge vergehen. Das ist ihm mit einem perfekten Ensemble, tiefem Einfühlungsvermögen, sensiblem Humor und durchaus auch mit einem Schuß Sakasmus in feinsten Nuancen ohne Schenkelklopfer (vom Publikum leider nicht immer verstanden) vom leisen Lächeln bis zum markerschütternden Schrei der Verzeiflung hervorragend gelungen. Driss steckt Philippe mit den Fingern Schokolade in den Mund, teilt einen Joint oder ein Glas Wasser mit ihm, wo ein anderer Pfleger versucht, Philippe mit Lätzchen und Einweghandschuhen wie ein Kleinkind zu füttern. Es ist die Menschlichkeit, die mit Driss in Philippes Haus einzieht.
 
Andreas Mucke zeigt als Philippe ein weiteres Mal, welch enormes Potential als Charakterdarsteller in ihm steckt. Unvergessen u.a. sein „Parasit“, übrigens auch von Ralf Budde inszeniert. Zwei Stunden lang in völliger körperlicher Bewegungslosigkeit, nur mit Mimik und Sprache arbeitend, bringt er den vom höchsten Gipfel des Erfolgs und Glücks in den Orkus der Verzweiflung gestürzten Mann anrührend nahe, ohne falsches Mitleid aufkommen zu lassen. Die Möglichkeiten in dem eigentlich arbeitsunwilligen Kleinkriminellen Driss aus den Pariser Banlieus erkennend, bringt der vermögende Philippe diesen zum Umdenken, gibt ihm die Chance, die ihm das Leben bis dahin verweigert hat. Tarik Dafi schlüpft mit Mutterwitz so selbstverständlich und natürlich in die Haut dieses Gegenübers aus einer völlig anderen sozialen Welt, daß man ganz bei ihm ist. Gemeinsam geben die beiden ein faszinierendes Paar ab, dessen Gemeinsamkeiten größer sind als die Unterschiede in Herkunft und Bildung. Driss gibt, was Philippe braucht: Respekt ohne Mitleid, Hilfe ohne professionelle Distanz. Mucke und Dafi schaffen es, die Zeit völlig vergessen zu lassen, weil man hungrig nach jedem weiteren Dialog, jeder Auseinandersetzung, jeder Frechheit ist, bis sich schließlich die Freundschaft der Männer manifestiert. Ein großes Kompliment für beide.
 
Mit Livia Caruso als Sekretärin Magalie, zuletzt sahen wir sie als Linda in „Spiels noch mal, Sam“, hat Ralf Budde ebenfalls eine Idealbesetzung gefunden. Mit viel Wärme und Understatement ist sie bei aller scheinbaren Sachlichkeit und Kühle die lenkende Kraft im Dialog der beiden Männer, erotisch reizvoll, doch distanziert, liebenswert und doch unnahbar. Mit Eleganz und feiner Ironie läßt sie die Annäherungsversuche Driss´ abperlen. Ein Glanzlicht des Abends ist eine von ihr und Tarik Dafi erarbeitete und choreographierte Szene, in der die beiden miteinander und für Philippe zu September von Earth, Wind & Fire tanzen – nach ersten zögerlichen Schritten und Bewegungen wird die reservierte Hausdame neben dem naturbegabten Driss zur hinreißend feurigen Disco-Queen. Chapeau!
Livia Caruso füllt im Kontext des Stückes - ebenso wie Dennis Gottschalk, der mehrere kleine Auftritte in verschiedenen Rollen hat - weitere Charaktere aus: als versponnene Galeristin, vergnügte Prostituierte und schließlich als geheimnisvolle Eleonore.
„Ziemlich beste Freunde“ im TiC-Theater sollte man nicht verpassen – ein gelungener Theaterabend für feinsinnige Besucher.
 

Ziemlich beste Freunde - Foto © Martin Mazur

Weitere Informationen:  www.tic-theater.de