Die Nichtstuer

von Erwin Grosche

Foto © Frank Becker
Die Nichtstuer
 
Dieses Jahr habe ich mir nichts vorgenommen. Es wird ja immer mehr, was man nicht machen kann. Überall entsteht nichts und ratlos sucht man nach neuen Unterlassungen. Gibt es bald bestimmte Stunden, in denen man nicht lachen darf? Ein Freund von mir sieht keine Verschwörungen mehr und ist vom Freihandelsabkommen nicht wirklich betroffen, weil er arbeitslos ist. Wer die Welt links liegen läßt, ist nicht allein und kann sich dort Freunde suchen, wo man sie nicht braucht. Kann auch mal etwas so sein, wie es ist? Was ist gegen Langeweile zu sagen, wenn nichts los ist? Sicher, es ist normal, daß sich die Welt nicht ändert und daß das für den einen Hektik und für den anderen Nichtstun bedeutet. Aber alles hat drei Seiten. Die Vorderseite, die Rückseite und den Rand, auf dem die Gebrauchsanweisung steht.
Auf dem Paderborner Markt hat das Domcafe seine Türen geschlossen. An seiner Stelle lädt ein Wander- und Trekking-Shop zum Nichtstun-Urlaub (in der richtigen Kleidung) ein. Das alles wirkt sehr abenteuerlich, lenkt aber nur von der Unfähigkeit ab, zu Hause zu bleiben. Das ist das falsche Signal. Hier wird scheinbar das Nichtstun abgestraft. Als wenn das Nichtstun keine Auswirkungen auf die Weltgeschichte hätte. Beim Kuchenessen treffen sich Menschen und führen keinen Krieg miteinander. Sie gehen aufeinander zu und niemanden auf die Eier. Diese gemütlichen Runden sollen in der Versenkung verschwinden? Die Wander- und Trekking-Fans sind doch die eigentlichen Unnütztuer. Sie singen Wanderlieder und stören Einsiedler und Reh. Am ereignislosesten sind die Geländeradfahrer, die wie aufgezogen, jedes Gelände befahren und es in begreifbare Sportanlagen umgestalten. Sie schaffen dort Klarheit, wo Gott ein Geheimnis vorgesehen hat. Stöhnende übernehmen die Orte der Stille und toben sich stur aus. Manche nennen das Poetry Slam.
Mit jeder Schließung eines Cafés verliert der Mensch eine Möglichkeit, unter wahren Nichtstuern einen Kuchen zu essen. Eine überzeugende Tortenauswahl ist die Visitenkarte eines Ortes. Wer seine Gäste willkommen heißen will, muß Torten auffahren. Nun kommen Wanderer nach Paderborn und finden keinen Kuchen vor. Der Geländeradfahrer hat seinen Energydrink dabei, aber was macht die Oma mit dem Mops? Ein Café kann ein Trost sein, eine Oase im Krisengebiet. Ein Wander- und Trekking Shop kann auch an einer unzugänglichen Steigung liegen. Die Welteroberer können doch auch die Welt erobern, wo es nicht so stört. Der Weltraum bietet Möglichkeiten an, in der virtuellen Welt wartet man auf Helden.
Am Domplatz hätte man einen Laden aufmachen können, der im Outdoorbereich Wanderschuhe und Regencapes anbietet und drinnen Kuchen und Kaffee reicht. Das wäre ein Wandel gewesen, der die Alteingesessenen und die Neuankömmlinge in gleicher Weise zufrieden gestellt hätte. Man muß etwas tun, um Gemütlichkeiten zu schaffen. Das Moderne soll kommen, wir sind gelassen. Die Oasen des Schlendrians waren schon immer von Chaos, Geschäftstüchtigkeit und Überschätzung gefährdet. Die Erinnerungen an die schönen Tage ersetzen nicht das wirkliche Genießen. Bewaffnen wir uns mit einer Waffel und kämpfen für die letzten Sitzmöglichkeiten am Dom. Melden wir uns zu Wort und erzählen laut vom Wetter und vom Kirchenglockenläuten. Das Schlendern kann so einlullend sein, daß selbst der Geländeradfahrer innehält, sich einfach nur auf einen Stuhl niederläßt und furzt.


© 2014 Erwin Grosche für die Musenblätter
Redaktion: Frank Becker