Warum die Scala ?

von Konrad Beikircher

Foto © Frank Becker
Warum die Scala ?
 
Es gibt schönere Opernhäuser in der Welt als das renovierte Teatro alla Scala (das so heißt, weil es seit 1776 auf dem Platz steht, wo bis dahin die Kirche von Santa Maria alla Scala stand), ich sage nur La Monnaie, Opèra Garnier, La Fenice, Staatsoper Wien, von mir aus Bayreuth wegen seiner Harmonie mit der Landschaft (wenn man in die richtige Richtung schaut!), Oper Budapest, von Juwelen wie der Oper in Schwetzingen ganz zu schweigen. Es gibt musikalisch interessantere Opernhäuser als die Scala mit ihrem eher klassischen Repertoire, Häuser, die mehr wagen, mehr experimentieren, die näher am Puls des musikalischen Lebens sind (no, da werd ich Ihnen jetzt ein paar Häuser nennen um in den anderen nicht mehr auftauchen zu dürfen!). Es gibt Häuser mit besseren Orchestern als es das der Scala ist (ob sie allerdings auch so gefühlvoll sein können, lasse ich mal dahingestellt), ich brauche nur Wien zu sagen, Amsterdam, London, Met oder Paris. Es gibt Opernhäuser, in denen das Publikum ihre Lieblinge noch enthusiastischer feiern kann als es die Mailänder tun, so da wären Parma, Neapel oder Buenos Aires. Allerdings sind das auch die Opernhäuser, in denen die Diven und Stars gnadenlos an die Wand gebuht werden, wenn sie enttäuschen oder in denen vierzig Hobbytenöre plötzlich aufstehen und dem Tenor da oben das hohe C entgegenschmettern, sollte es ihm ausgegangen sein (Placido Domingo soll extra in Parma danebengehauen haben, weil er das mal erleben wollte!). Da sind die Mailänder doch etwas zurückhaltender. Das alles also kann es nicht sein, daß die Scala DAS Opernhaus weltweit ist.
 
Ich kann es Ihnen sagen: zwei Gründe sielen da eine Rolle, davon ist einer derselbe, der auch Salzburg so nach vorne katapultiert hat. Sie wurde 1776 im richtigen Moment gebaut, in einer Zeitspanne nämlich, in der die Oper als Kunstgattung anfing, sich von den Adelsresidenzen und ihren „Inner-Circle-Aufführungen“ zu emanzipieren. Man hat am Anfang zwar bav seinen Paisiello und Cimarosa gespielt, also die opera buffa napoletana, ist dann aber sehr schnell auf Paër und Mayr umgeschwenkt, also auf die neoklassizistische eher französische Linie. Diese bereitete den Boden für Rossini und ab der Aufführung der Zauberflöte (1816) war man aus den Kinderkrankheiten heraus (eine davon war z.B., daß die Scala auch an Zirkusleute vermietet wurde oder sogar an ein Stierkampfunternehmen, das die Bühne zur Arena verwandelt hat – für manches Opernhaus unserer Eventgesellschaft wäre das doch eine Überlegung wert, oder?!). Jetzt wurde man die avanguardia, die Vorhut der großen Oper. Rossini, Donizetti, Bellini: eine Uraufführung nach der anderen fand in Mailand statt. Und dann schließlich der internationale Durchbruch mit den Uraufführungen der frühen Verdi – Opern bis zum Nabucco. In derselben Zeit war die Politik des Hauses, die allerersten Sängerinnen und Sänger nach Mailand zu holen, mit dem Effekt, daß sie alle kamen: von der Colbran bis zur Patti, von Pacini bis Tamagno (dem Otello der Uraufführung), selbst Fanny Elsler gab sich die Ehre und tanzte die Mailänder um den Verstand. Es kam just in der Zeit aber etwas dazu, was die Scala zum nationalen Heiligtum machte: die Einigungsbewegung in Italien, il risorgimento. Das von den Österreichern besetzte Mailand wurde immer mehr zum Zentrum des risorgimento und als dann Verdi seinen Chor „Va pensiero“ schrieb (ohnehin die eigentliche italienische Nationalhymne) und dieser in Mailand erklang, war die lombardische Stadt damit der Motor, der zur Einigung führte. Diese Chöre (und Verdi kannte genau ihre politische Wirkung) haben das Gefühl, EIN Italien sein zu müssen, in alle Herzen getragen und haben darin das Feuer der Einigung entfacht und das hat dazu geführt, daß die Oper selbst für alle Italiener eine nationale Kunstform wurde. Diese Koppelung der Gefühle ist heute noch spürbar (hören Sie sich mal den Nabucco in der Aufnahme von 1949 mit der Callas an und daraus das Inferno, das nach dem Chor losbricht, weil die Neapolitaner die Amis loswerden wollten und einer in den Schlussakkord ruft: „W Italia!“) und sie ist wunderbar. Der zweite Strang in der Geschichte, der die Mythenbildung endgültig zementierte, war die Qualität der Arbeit. Arturo Toscanini und sein unerschütterlicher Qualitätsanspruch haben aus einem Haufen Musiker ein Orchester geformt, er brachte dem Scala-Publikum Wagner und Tschaikowski nahe (von Puccini und der legendären Uraufführung der Turandot ganz zu schweigen), er holte alle großen Sänger seiner Zeit nach Mailand (die waren in der Zeit lieber in den USA und verdienten sich dort ihre goldenen Nasen) und sie kamen auch: Gigli, Lauri Volpi, Gilda Dalla Rizza, der wunderbare Tita Ruffo, Mafalda Favero und sogar Caruso und Schaljapin. Sie standen für höchste Sangeskunst, Toscanini für unerbittliche Werktreue allerhöchsten Anspruchs und das alles führte zu einer Referenzaufführung nach der anderen. Dieses wiederum führte zu einer Renaissance der italienischen Oper, die nun weltweit ihren Siegeszug antrat (wir erinnern uns: speziell beim deutschen Publikum waren Opern wie Aida, Nabucco oder Lucia di Lammermoor, von Donizettis Köstlichkeiten ganz zu schweigen, als seichte Unterhaltung verschrien!). Wollte die Met, das Teatro Colon oder London oder oder... einen vernünftigen Verdi aufführen, holte man sich die Sängerinnen und Sänger, die in Mailand reüssiert hatten. So wuchs sehr schnell der Ruf der Scala als der Oper, an der man sich auszurichten hat, will man italienische Opern aufführen. Vollends zementiert hat sich dann dieser Ruf, als sich mit Furtwängler, de Sabata, Walter und Karajan die Creme der Dirigenten den Stab in die Hand gab und als Größen wie del Monaco, Tebaldi, di Stefano und schließlich die Callas in der Scala quasi zuhause waren. Als dann auch noch Karajan, als er in Wien war, einen Vertrag mit der Scala machte, der sie zu Gastspielen an die Staatsoper holte (wogegen viele Wiener auf die Straße gegangen sind, weil man die „Katzlmacher“ nicht ins hehre Opernhaus lassen wollte!), war klar: es gibt nur eine Nummer 1 und das ist die Scala.
Und genau da verzahnt sich die Scala mit Salzburg: denn zum einen war bei den Festspielen hier von Anfang an der große Anspruch, nur allerhöchste Qualität hier zur Aufführung zu bringen, zum anderen haben Dr. Karl Böhm und schließlich „Der Cheef“, Herbert von Karajan mit seinem
a) hohen Anspruch an die Musik und seinem
b) grandiosen Vermarktungstalent
für eine Qualität gesorgt, die andernorts so nicht herstellbar war. Worin sich wieder mal zeigt, daß Qualität immer noch – Marketing hin Marketing her – das beste Verkaufsargument ist. Erinnern Sie sich an die McKinsey-Studie über ALDI Nord? Ein paar Hunderttausend € nach der Auftragserteilung, zu erforschen, woran der Erfolg von Aldi liegt, kam die – etwas verkürzte – Antwort: es liegt wohl am Preis!
Das dritte aber ist natürlich auch ein ganz großes Argument: Salzburg und das Salzkammergut. ich bitte Sie: schon Kaiser Franz Josef hatte seinen Lieblingsplatz im Salzkammergut, Dichter, Musiker, Lebenskünstler aller Art genossen und genießen die wundervolle Stadt an der Salzach und die Seen im Salzkammergut, das Weiße Rössl trompetet ja bei jeder Aufführung das Hohe Lied dieser Region in die Welt, also das ist ja schon mal das Eine. Dazu kommt aber dann noch auf eine ungemein liebenswerte Art, daß Salzburg wie sonst nur noch Wien, die feine, alte Art österreichischen Lebensstils zu propagieren scheint, gepaart mit dem Reiz des Alpinen unhd damit einer gewissen freundlichen Bodenständigkeit. Ich meine: schauen wir uns um, dann sehen Sie, was ich meine. In Wien geht das ein bißchen im hektischen Geraunze unter, hier nicht. Hier ist der Erzbischof Colloredo, der Mozart so gar nicht gewogen war (Geschichte von Mozart, daß er hinter den Köchen sitzen mußte!), der aber ein großer Förderer der Künste und der Wissenschaften war, noch präsent, beinahe könnte er einem vor der Felsenreitschule begegnen. Hier, könnte man auch sagen, zeigen sich die Alpen anders als in Bayern: sind sie dort hemdsärmelig tragen sie hier Manschettenknöpfe, weil: man hält schon was auf sich, auf eine elegante Erscheinung und auf – und das macht ja den unüberbietbaren Charme aus – eine kommode Lebensweise.
 
 
In diesem Sinne
Ihr
Konrad Beikircher
 
 
©  Konrad Beikircher für die Musenblätter
Redaktion: Frank Becker