Georg Kreisler - gibt es gar nicht

Ein unvollständiges Portrait von Dominik Wessely

von Frank Becker

Georg Kreisler - Gibt es gar nicht
 
Ein unvollständiges Portrait
 
 
„Es wird mir heiß, wenn ich bedenke,
wie man traurig werden kann als Humorist…“
(Georg Kreisler)
 
 
Georg Kreisler hat für Generationen von Freunden bitterböser, tiefschwarzer und unsentimentaler Lieder Stoff für geradezu kultische Verehrung geliefert. Er ist Komponist, Pianist von Gnaden, Brettl-Sänger (ich verzichte darauf, ihn Chansonnier zu nennen) Schwarzkünstler des Kabaretts, Erfinder des makabren Chansons – „humeur noir“ nannte er es selbst – und unerreichter Interpret seiner eigenen „Nichtarischen Arien“ und „Seltsamen Gesänge“. Mit Unschuldsmiene übte er, obwohl er dem Ruhm des Stücks schließlich Mißrauen entgegenbrachte, weiter nach wie vor „Tauben vergiften“, erzählte böse-trocken was geschah, „Als der Zirkus in Flammen stand“ und mit Genuß und Schmäh zerfetzte er ein paar Berufsstände und Gesellschaftsbilder, indem er den „Musikkritiker“ gnadenlos demaskierte, den „(Poli-) Ticker“ und den „Staatsbeamten“ abwatschte und in seinem „Opernboogie“ Komponist, Librettist und Opernbesucher bekamen, was ihnen gebührte. Daß es alles auch heute noch zutrifft, zeigt Kreislers Wert und Weisicht. Auch das Kreuz mit den schönen Frauen und den Problemen ihrer Beseitigung kam zur Rede, in „Bidla Buh“ machte er es öffentlich, und ohne die traurige Geschichte vom „Triangelspieler“ und den Tango tanzenden „Zwei alten Tanten“ wäre ein Rückblick auf sein einige hundert Lieder umfassendes populäres Werk nicht gültig.
 
Dominik Wessely hat einen kleinen Film über Georg Kreisler zusammengestellt, mit dem er dem geistreichen Texter, feinsinnigen Komponisten, hochpolitischen Satiriker und Schriftsteller - nein kein Denkmal setzen – einen angemessenen Platz in der kollektiven Erinnerung zuweisen möchte. Es war Wessely nicht vergönnt, Georg Kreisler persönlich kennenzulernen, weshalb sein Urteil über den Menschen und Künstler sich auf Zeugenaussagen stützen muß. Die allerdings haben Gewicht, nimmt man Kreislers liebenswerte Ehefrau Barbara Kreisler-Peters, die in den 35 Jahren ihrer Ehe nie von seiner Seite gewichen ist, die österreichische Schriftstellerin Eva Menasse /“Vienna“), ihren Kollegen Daniel Kehlmann („Die Vermessung der Welt“) und den Liedermacher und Chansonnier Konstantin Wecker.
Doch kommt man nicht umhin anzumerken, daß so wichtige Personen wie Georg Kreislers zauberhafte dritte Ehefrau Topsy Küppers (die „Lola Blau“ seines Lebens), seine sympathische Tochter Sandra Kreisler und Kreislers langjähriger deutscher Agent Axel Hegmann nicht zu Wort kommen. So bleibt das Porträt des unhandlichen bis streitbaren, wenn auch im persönlichen Umgang durchaus angenehmen Mannes unvollständig. Daß er ohne Frage im tiefsten Herzen ein Philanthrop war, belegt nicht zuletzt der Text seiner wunderschönen Ballade „Barbara“ mit dem Resümee: „Ich wünsche allen eine Barbara…“
 
Wessely geht auch mit keinem Wort auf die Plagiatsvorwürfe ein, die Kreisler bis zuletzt verfolgt haben. Zu auffällig ist doch die Nähe seines „Ich hab’ deine Hand in meiner Hand“  zu Tom Lehrers „I Hold Your Hand in Mine, Dear“, des „Frühlingsliedes“ („Tauben vergiften“) zu Lehrers „Poisoning Pigeons in the Park“ und „Das Mädchen mit den drei blauen Augen“ zu Abe Burrows´ Song „The Girl with the Three Blue Eyes.“ Wessely läßt auch die von Kreisler selbst stets angemahnte Literatur (Auswahlliste siehe unten) abseits der „Nichtarischen Arien“ etc. aus, was schade ist.
Die „Stolpersteine“ genannten 15 gelungenen Kurzfilme von u.a. Benjamin Swiczinsky, Georgios Karagiorgos, Uisenma Borchu und Miriam Bliese zu O-Tönen Kreislers, darunter „Bidlah Buh“, „Zwei alte Tanten tanzen Tango“, „Frühlingslied“, „Das Triangel“, „Der Musikkritiker“, „Als der Zirkus in Flammen stand“, „Telefonbuch-Polka“ und vor allem das poetisch-phantastische „Barbara“ (Bliese) im Anhang allein lohnen die DVD. Arthaus Musik hat die mit vielen Bild- und Zeitdokumenten aus Kreislers Wiener, amerikanischen und wieder Wiener Jahren ausgestattete DVD, unter dem Titel des Weigel-Zitats „Georg Kreisler gibt es gar nicht“ aufgelegt. Ein trotz aller Mängel schönes Dokument.
Georg Kreisler, der Ur-Wiener mit amerikanischem Paß und Wohnung in Zürich hat einmal von sich gesagt, ihm falle, gefragt, als Berufsbezeichnung für sich „Fremder“ ein. Und der oben zitierte Hans Weigel schreibt: „Ich war lange Zeit der festen Überzeugung, daß es den Georg Kreisler gar nicht gibt. Seit ich ihn persönlich kenne und ihm oft begegnet bin – sogar bei Tageslicht – bin ich in dieser Überzeugung bestärkt worden. Georg Kreisler existiert gar nicht – er ist eine Erfindung Georg Kreislers.“

Georg Kreisler - gibt es gar nicht
Ein Film von Dominik Wessely
© 2014 Arthaus Musik - DVD 52 Minuten Dokumentation / 59 Minuten Kurzfilme
 
Literatur (Auswahl):
„Mein Heldentod“ (Prosa und Gedichte), 137 S., Klappenbroschur, Arco Verlag 2003
„Alles hat kein Ende“ (Roman). 168 S., Klappenbroschur, Arco Verlag 2004
„Wenn ihr lachen wollt...“ (Ein Lesebuch), 160 S, geb., Edition Memoria 2001
„Worte ohne Lieder“ (Satiren), 243 S., Hln., Nebelspalter Verlag 1995
„Der Schattenspringer“ (Roman), 140 S., geb., Edition DIA 1996
„Heute leider Konzert“ (Satiren), 212 S., geb., Konkret Literatur Verlag 2001
Ich weiß nicht, was soll ich bedeuten“ (Texte), 152 S., Ln., Artemis Verlag 1973
„Lieder zum Fürchten“ (Nichtarische Arien), 115 S., TB, dtv 1969
„Zwei alte Tanten tanzen Tango“ (Seltsame Gesänge), 132 S., TB, dtv 1964
 
CDs (Auswahl):
„Die Georg Kreisler Platte“ – Hörsturz Verlag, 1 CD, 58 Min.
„Georg Kreisler/Everblacks 1“ – Preiser Records, 2 CD, 130 Min.
„Georg Kreisler/Everblacks 2“ – Preiser Records, 2 CD, 129 Min.
„Die alten bösen Lieder“ – Preiser Records, 2 CD, 125 Min.
„Lola Blau“ (Kreisler/Topsy Küppers) – Preiser Records, 2 CD, 140 Min.
„Als der Zirkus in Flammen stand“ (Kreisler/Peters) – kip records, 1 CD,  57 Min.
 
Weitere Informationen: www.arte.tv/de  -  arthaus-musik.com