Unterwegs im Lande der Inka (2)

Notizen auf einer Reise in Ecuador und Peru

von Johannes Vesper

Altperuanische Keramik um 1400 - Foto © Vesper

Unterwegs im Lande der Inka
Notizen auf einer Reise in Ecuador und Peru
 
von Johannes Vesper

16.10.13
Der Flughafen von Lima, einer der größten Flughäfen Südamerikas ist nach dem peruanischen Flugpionier Jorge Chavez (1887-1910) benannt, der bei seinem Versuch die Schweizer Alpen zu überqueren (von Ried-Brigg nach Domodossola) nach 42 Min. erfolgreichen Flugs unter den Augen vieler Schaulustiger im Sturzflug auf dem Zielflughafen abstürzte. Erstaunlich, daß der riesige Flughafen nach dem Bruchpiloten benannt wurde und erstaunlich, wie ruhig die Menschenmassen durch das Gebäude geleitet werden. Im Postkiosk hängt ein Briefmarkensatz mit allen Präsidenten Perus. Der schillerndste ist wohl Alberto Fujimori (1990-2000), der sich bei den Wahlen gegen den späteren Literatur-Nobelpreisträger von 2010 Mario Vargas Llosa durchsetzen konnte, der den Guzmanschen Terror des Leuchtenden Pfads in den 1980iger Jahren und der auch die Besetzung der japanischen Botschaft in Lima 1997 gewaltsam beendet hat. Heute sitzt Fujimori wegen Korruption usw. selbst im Gefängnis, aber Silvia, unsere örtliche Führerin in Lima, ist von ihm noch jetzt begeistert, und sie ist nicht die einzige in Peru.
  
Mit der chilenischen Fluggesellschaft LAN fliegen wir nach Arecipa, der weißen Stadt im Süden. Entlang der Küste sieht man einige Flußoasen in der Wüstenküste. Über dem Flughafen der Millionenstadt (2280 m ü. NN) erheben sich majestätisch die schneebedeckten Vulkane El Misti (5822 m), Chachani (6075 m), und Pichu Pichu (5669 m ü.NN). Nachmittags wird selbständig die Innenstadt mit dem Plaza des Armas, seinen Kolonnaden, seinem Brunnen mit dem berühmten Tuturutu (Trompeter), der Kathedrale und den pittoresken Nebenstraßen erkundet. Auf dem Markt fallen Schreiber mit Schreibmaschinen auf, die Unkundigen helfen, Liebesbriefe zu verfassen und Behördenkorrespondenz zu erledigen.
 
17.10.13 Arecipa
Das Kloster der Heiligen Katharina, gegründet 1579, ist ein riesiges Zentrum der katholischen Frauenbildung und eine Stadt in der Stadt. Nur durch Holzgitter konnten die Nonnen bei Besuchen Kontakt mit ihrer Familie aufnehmen. Natürlich gibt es auch einen Beichtstuhl, der ein bißchen an eine Toilette erinnert. Fortschritt gegenüber den Inka? Die Acllacuna, die weiß gekleideten vornehmen Mädchen und Frauen der Inka, lebten schon in ähnlichen Frauenhäusern, in den Aclahuasi, den Häusern der Auserwählten. Sie wurden in den Dorfgemeinschaften für diese Aufgabe vom Apu-panca, dem Beherrscher der Schwesternschaft für dieses praehispanische klosterähnliche Leben ausgewählt. Sie mußten das Keuschheitsgelübde ablegen und fertigten vor allem feine Gewebe mit Stickereien für die Inkatempel. Über dem farbprächtigen Katharinenkloster scheinen die die schneebedeckten Vulkane im blauen Himmel zu schweben.


Katharinenkloster in Arecipa - Foto © Johannes Vesper
 
Die berühmte Juanita spare ich mir. Juanita ist die Mumie eines jungen Mädchens, welches von den Inka den Göttern geopfert, in 6300 m ü.NN im ewigen Eis konserviert und 1995 entdeckt wurde. Unter den Inka wurden Kinder regelmäßig geopfert. z.B. beim großen Capac Cocha Raymi, dem großen Schöpfungsfest jeweils im April in Cusco. Die festlich gekleideten, zur Opferung bestimmten Kinder wurden plötzlich in aller Öffentlichkeit erdrosselt. Ihnen wurde wie bei der Opferung der Lamas die Brust aufgeschlagen, das warme Herz entnommen und dem Viracoccha, dem Schöpfergott als heilige Opfergabe dargeboten. Gegen die Spanier hat dieser alte Inkagott trotz dieser entsetzlichen Opfergaben nicht helfen können.


Kathedrale von Arecipa - Foto © Johannes Vesper
 
18.10.13
Nach Cusco und in das Heilige Tal der Inka (Urubamba)
Auf den Dächern der Häuser im Gebirge sieht man immer wieder kleine Statuen und Tierplastiken, die als Glücksbringer wirken sollen. Und dann nach ca. 2 Stunden Fahrt fällt ein erster Blick in das heilige Tal der Inka. Ollantaytambo, das kleine Städtchen unter den mächtigen Ruinen des Landsitzes von Inka-Generals Ollantay, ist ein Beispiel für den Städtebau der Inka. Davon zeugen die Natursteinmauern und Wasserläufe neben den schmalen, rechteckig angelegten Straßen. Wir können eine Hausanlage besuchen, in der zu Inkazeiten ein Ayllu gelebt hat. Der Ayllu ist der soziale Kern der Inkagesellschaft, eine Gruppe verwandter Inka, die von einem gemeinsamen Vorfahren abstammen, was im Deutschen vielleicht dem Begriff der Sippe entspricht. Die Mitglieder eines solchen Ayllu  waren zu gegenseitiger Hilfeleistung verpflichtet, sowohl bei Landwirtschaft

Inka Mauern Sacsaywomahan - Foto © Johannes Vesper
und Hausarbeit, wie auch bei staatlichen Arbeitseinsätzen zum Straßenbau, zum Städtebau, zur Minenarbeit. Zu staatlichen Arbeitseinsatzen wurde das einfache Volk (Hatun Runa) auch in Gruppen (Mitmaqkunas) in andere Regionen des riesigen Inkareiches verschickt, wo sie jahrelang fern ihrer Familie und Ayullas lebten, um dann aber doch eines Tages zurückkehren zu können (im Gegensatz zu den Unfreien, die nicht in die Heimat zurückkehren konnten).
Geld war bei den Inka unbekannt. Nur gelegentlich wurden Schmuckmuscheln oder auch Kupferplättchen als Zahlungsmittel verwendet. Handel erfolgte durch Tausch. Steuern wurden bei den Inka als Teil der Ernte oder als Arbeitsleistung fällig. Die Ernten wurden entweder direkt an den Inka geliefert oder in den riesigen Colcas, staatlichen Speicherhäusern im ganzen Land gelagert und bei Not oder Ernteausfall an die Bevölkerung staatlicherseits verteilt. Auf den umliegenden Höhen erkennt man Reste solcher Colcas und auf der Felswand gegenüber ist deutlich Viracocha, der alte Schöpfergott der praehispanischen Andenmythologie, zu erkennen.

 
Die Inkamauern, aus riesigen Steinen ohne Mörtel als Trockenmauer gebaut, bestechen durch ihre schlichte Eleganz. Kaum vorstellbar, wie diese Felsblöcke transportiert und behauen worden sind. Wahrscheinlich wurden sie auf Baumstämmen oder Steinrollen über Rampen bewegt oder auch auf Schlammrutschen im Zickzack von höher gelegenen Steinbrüchen kontrolliert ins Tal geschafft. Der für Ollantaytambo benutzte Steinbruch lag 400-800m über der Talsohle in ca. 7 km Entfernung. Ohne Zugtiere und ohne Rad und Wagen waren diese Mauern nur mit Hilfe der Arbeitskraft der Inkabevölkerung zu bauen. Freiwillig? Das inkaische Rechtssystem beruhte auf den Geboten: Du sollst kein Faulpelz (amaquella) sein, Du sollst kein Dieb sein (amasua), Du sollst kein Lügner (ama llulja) sein


Inka Mauern Sacsaywomahan - Foto © Johannes Vesper
 
19.10.13
Von Ollantaytambo geht es mit dem Zug das Urubambatal hin hinab zur alten Inkastadt Maccupicchu. Sie liegt auf der Höhe über einer Flußschleife des Urubamba, von drei Seiten durch sein tiefes Tal geschützt, und wurde von Hiram Bingham 1911 entdeckt, der mit einer Expedition im Urubambatal in Richtung Amazonas unterwegs war. Ein Einheimischer führte ihn gegen Zahlung eines Silberdollars durch den Nebelwald auf die Bergeshöhe und zeigte ihm die Inka-Terrassen. Vier Jahre blieb H.B. auf der Höhe von Machupicchu, um die Ausgrabungen zu leiten. Das

Foto © Johannes Vesper
gefundene Gold schaffte er rasch nach Yale (2011 wurden die Goldschätze teilweise zurückgegeben). Ob ein deutscher Goldschürfer namens Augusto Berns bereits 1867 oder ein Herman Göhring 1874 die Stadt schon gefunden und ausgeplündert hat, ist unklar. Mit dem Bau der Stadt Machupicchu begannen die Inka ca. 1450. 1562 wurde sie niedergebrannt und 10 Jahre später endgültig verlassen. Die Anlage blieb seit dem Brand von 1562 dank des genialen Be- und Entwässerungsystems der Inka-Ingenieure nahezu unverändert. Heute sind zahllose Touristen unterwegs, die sich aber auf dem Gelände doch  etwas verlaufen. In der Regel wohnten ursprünglich wohl ca. 600 Menschen in der Stadt Bei Besuch und Aufenthalt des Inka mit seiner Panaqua (=seiner königlichen Sippe, die den Kult des verstorbenen Vaters organisierte und seine Ländereien bewirtschaftete) waren damals dann wohl bis zu 2000 Personen in der Stadt. Die Mitglieder der Panaqua wurden von den Spaniern Großohren genannt, da sie schwere Ohrringe trugen, was zu monströser Dehnung der Ohrläppchen führte. Welch ein Chic! Am höchsten Punkt der Stadt befindet sich die Sonnenwarte (Intihuasi) mit dem aus dem Fels gemeißelten Sonnenstein (Intihuatana, wörtlich „Sonnenfessler“, „Ankerplatz der Sonne“), einer Art Sonnenuhr, die keinen Schatten wirft, wenn die Sonne ihren Jahreshöchststand erreicht, die auch als Kompaß benutzt werden konnte. Das Haus der Mamma Pacha, der alten Erdmutter der Anden, steht vor einem Felsen, dessen Umriß der Kontur eines Berges dahinter oder einem hockenden Meerschweinchen entspricht. Die beiden mit Wasser gefüllten Steinbecken könnten bei der Textilfärberei oder aber für Himmelsbeobachtungen im Spiegelbild eine Rolle gespielt haben. Ca. 3 Stunden wanderten wir bei stets wechselnden Nebelschwaden über Terrassen und durch die Ruinenstadt.


Der geheimnisvolle Maccupicchu - Foto © Johannes Vesper



Der geheimnisvolle Maccupicchu - Foto © Johannes Vesper
 
20.10.13
Auf asphaltierter Straße geht es durch das Urumbamba-Tal nach Süden Richtung Pisac. Die Meerschweinchen-Bratereien an der Straße wecken nicht unbedingt Appetit auf das possierliche Tier, welches gebraten, als Schnellimbiß in Schalen praktisch verpackt, den einheimischen Passanten anscheinend munden.
In Pisac, der alten Inkastadt unter den riesigen Terrassenanlagen, schlendern wir über den lebhaften Markt, verlassen dann das heilige Tal der Inka Richtung Cusco und werfen von der Höhe einen letzten Blick zurück.


Meerschweinchen-Imbiß - Foto © Johannes Vesper
 
Nach einigen Kilometern wird bei einer örtlichen bäuerlichen Kooperative pausiert. Hier werden Lamas, Alpakas, aber auch Guanacos und Vicunas gehalten, deren Wolle zu Strickwaren verarbeitet und diese in einem eigen kleinen Laden verkauft. Im Rahmen einer Klimaerwärmung um 8000 v.Chr. sind in Südamerika große Säugetiere ausgestorben (z.B. das Riesenfaultier) und die Lebensbedingungen verbesserten sich für andere Tierarten wie z.B. Kameliden und auch das Meerschweinchen.
 
Endlich erreichen wir Quenco unmittelbar oberhalb von Cusco. Hier wurde wahrscheinlich Inka Pachacutec (1431-1477) begraben, hier befand sich womöglich der Eingang zur inkaischen Unterwelt. Hier gibt es jedenfalls einen Gang in das Felseninneren und einen steinernen Altar (Ruhestätte Pachacutecs?). Das Amphitheater (?) mit seinen Steinsesseln war wohl ein Heiligtum oder ein Opferplatz. In den Steinsesseln saßen bei Ahnenritualen die Mumien der Panaka.  
Im nahen archäologischen Park von Sacsayhuman tummeln sich an diesem sonnigen Tag Familien aus Cusco. Bei der Anlage handelt es wahrscheinlich um eine Inka-Festung in der Form eines Pumakopfes, bei dem die Zacken der Anlage den Zähnen des Pumas darstellen könnten. Der Grundriß von Cusco soll nämlich einem Puma entsprechen, dessen Kopf die Anlage von Sacsayhuaman darstellt. Die in den mächtigen Verteidigungsmauern verbauten Felsen wiegen zum Teil mehr als 100 t, der größte (5x5x2.50m) angeblich mehr als 160 t. Garcilaso de la Vega schreibt, daß mehr als 20.000 Arbeiter mit Seilen diese Brocken an ihren Ort geschafft haben. Die paßgenaue Form der Felsen wurde ausschließlich mit Steinwerkzeugen erreicht. Natürlich wurde die Anlage über die Jahrhundert von den Spaniern als Steinbruch benutzt. Das große runde Gebäude war anscheinend ein Wasserreservoir der „Quelle der guten Gesundheit“, sozusagen also ein Kurort der alten Inka? Die Ruinen inclusive der „Rutsche“ sind im Einzelnen schwer zu deuten. Am ehesten handelt es sich um eine riesige Burg.


Cusco, Nabel der Inka-Welt - Foto © Johannes Vesper
 
Zu Fuß geht es vorbei an der hochgelegenen Kirche San Cristobal hinab nach Cusco, nach der Sage gegründet von Inca Manco Capac um 1200 n. Chr. und für 300 Jahre bis zur Eroberung und Plünderung im Jahre 1533 durch Pizarro und seine Banditen für die Inka der Nabel der Welt. Auf dem Weg hinab in die Stadt wird noch schnell ein frittierter, steriler Apfelkringel gefuttert. Störende Keime werden die Braterei in heißem Fett nicht überlebt haben. Nachmittags alleine in Cusco: Viel Betrieb herrscht auf der Plaza de Armas umgeben von ihren Kolonnaden, mit der Kathedrale und ihren Nebenkirchen rechts und links, mit der Jesuitenkirche, die nach dem Erdbeben von 1650 in prächtigem Barock so aufgebaut wurde, wie man sie heute sieht. In vielen Haus- und Kirchenwänden erkennt man Inkamauern als Fundament. An einer Ecke der Plaza Regocijo lädt das Schokoladenmuseum ein. Gegenüber wurde Garciso de la Vega 1539-1616) geboren. Diesem Autor nativer Abstammung verdanken wir die „Königlichen Kommentare über die Inka (1609) und dem Pisco-Museum an der Santa Catalina an diesem Nachmittag den herrlichen Pisco sour (Traubenschnaps mit Limonensaft und Zuckermelasse).
 
21.10.13
Zu Fuß geht es zur Coricancha, dem „goldenen Hof“, der zu Inkazeiten dem Sonnengott gewidmet war. Die Umgebungsmauer dieses wichtigsten Palastes der Inka war vor Ankunft der Spanier mit Gold abgedeckt. Im Garten funkelten Bäume, Schmetterlinge, Vögel und Lamas aus reinem Gold. Laut Garcilago de la Vega gab es in der Anlage einen goldenen Tempel, der der Sonne und einen silbernen, der dem Mond geweiht war. Nach der Plünderung durch die Spanier durften die Dominikaner auf den Restmauern der Inkaanlage ihr Kloster und ihre Kirche bauen. Nach den Zerstörungen durch das letzte Erdbeben von 1950 wurde die Inkaanlage ausgegraben und teilweise wieder sichtbar in den Kirchen-Klosterkomplex eingefügt.
Durch die Stadt wandern wir in Richtung Kathedrale. In den kleinen Gassen öffnen sich wunderbare Innenhöfe hinter unscheinbaren Portalen. Die Kathedrale ist voll von Kunstschätzen. U.a. befindet sich hier das berühmte Abendmahl des Malers Marcos Zapatas, welches nicht nur Apostel mit indigenen Zügen sondern auf dem Tisch auch ein Meerschweinchen (oder eine Hasenmaus?) als Mahlzeit der Jesus-Gesellschaft im Garten Gethsemane zeigt. Auch der Felsstein für den heidnischen Viracoccha innen am Eingangsportal der Kathedrale, der den Andenbewohnern den Kirchenbesuch versüßen soll, ist ein Beispiel für Synkretismus, für die Verschmelzung christlicher und indigener religiöser Vorstellungen. Unter dem Hauptaltar ist Garcilago de la Vega begraben.


Der berühmte 12-Eck-Stein von Cusco - Foto © Johannes Vesper
 
Nach dem Besuch dieses religiös-kolonialen Kunstkomplexes laufen wir vorbei am 12-eckigen Stein in der Inka-Mauer des Erzbischöflichen Palastes und kommen zum „Haus der kleinen Menschen“, in dem Kindern aus schwierigen sozialen Verhältnissen eine Grundschulbildung und eine handwerkliche Ausbildung geboten werden. Die Grundlagen dieser Erziehung erläutert uns die Direktorin in einem kurzen Vortrag. Die Einrichtung finanziert sich ausschließlich aus Spenden und dem Verkauf im Unterricht selbst hergestellten Holzspielzeugs und Blechschmucks, selbst getöpferter Häuschen, selbst gemalter Postkarten Neuerdings gibt es eine unter Mithilfe dieser Kinder betriebenen Bäckerei.



Lesen Sie morgen hier den dritten und abschließenden Teil dieses interessanten Reisetagebuchs