Mal anders gefragt

Wynfried Kriegleder – „99 Fragen zur österreichischen Literatur“

von Frank Becker

Mal anders gefragt
 
Wynfried Kriegleder ermöglicht einen differenzierten Zugang
zur österreichischen Literatur
 
„Wer sich über die Geschichte der österreichischen Literatur informieren will, ist seit mehr als 150 Jahren auf Bücher angewiesen, die Titel wie Die Geschichte der deutschen Literatur oder Deutsche Literaturgeschichte tragen und angeblich  eine Geschichte der gesamten deutschsprachigen Literatur erzählen. Ein genauerer Blick zeigt aber, daß all diese Bücher in Wirklichkeit eine Geschichte der deutschländischen Literatur erzählen, eine Geschichte der Literatur in und aus Deutschland.“
Wynfried Kriegleder legt mit diesen Worten, so scheint es, den Finger in eine literaturgeschichtlich schwärende Wunde, hat damit gewiß auch in weiten Teilen Recht, tritt jedoch mit dem seinem hochinteressanten Buch angehängten Literaturverzeichnis zugleich auch in einigen Bereichen den Gegenbeweis an. In der Tat ist vieles über die Literatur der Alpenrepublik nach 1945 publiziert worden, doch handelt es sich beim Angebotenen über die Zeit davor doch meist um eine Deutsch-österreichische Literaturgeschichte oder eine epochen- oder themengebundene Auswahl. Die Schwierigkeit, eine österreichische Literaturgeschichte zu definieren, findet ihre Wurzeln zum großen Teil in der vielfältigen Kultur und literarischen Überlieferung des K.u.k. Vielvölkerstaats Österreich-Ungarn mit Böhmen, Mähren, Galizien, Krain, Slawonien, Bosnien, Triest, der Bukowina im Banat und etlichen  kleinen Herzog- und Fürstentümern. Nicht nur eine Vielzahl von Kulturen, ebenso viele Sprachen konkurrieren im Ringen um Bedeutung dabei, wenn auch Deutsch wie z.B. in der Prager Literatur und der des Ungarn Lenau überwiegend zur üblichen Literatursprache wurde. Aber wie heißt es so treffend über das kulturelle Miteinander von Österreichern und Deutschen: Es ist die gemeinsame Sprache, die uns trennt.
 
In 99 Aufsätzen zu Fragen über Literaturwissenschaft, Autoren, Genres, Themen, politische und ethnische Hintergründe, Literatursprachen und epochenspezifische Umstände nimmt Wynfried kurz und kompakt Stellung. Damit kann er zwar nicht erschöpfend Auskunft geben, doch das ist wohl auch nicht gewollt. Die überschaubaren Texte sind vielmehr erste Anregung zur Vertiefung, und damit erfüllen sie ihren Zweck ganz ausgezeichnet. Was allerdings höchst schmerzlich fehlt, ist ein Sach-, Namens- und Ortsindex, für ein solches Buch im Grunde unabdingbar. Für eine Zweitauflage – und ich bin sicher, eine solche wird vom interessierten Publikum gefordert werden – liegt darin eine Chance.
 
Wynfried Kriegleder – „99 Fragen zur österreichischen Literatur“
2014 Ueberreuter Verlag, 158 Seite, geb. m. SchU – ISBN 978-3-8000-7593-5
14,95 €(A) / 14,60 € (D)
 
Weitere Informationen:  www.ueberreuter.at