Kiaschenzeit

Eine moselfränkische Erinnerung

von Theo Seiwert


         

Kiaschenzeit

Eine moselfränkische Erinnerung
von Theo Seiwert

Kiaschenzeit
 
Wëi sean höttich nommo de Kiaschen zeidich. Dö fallen mier munch Spichten aus meine jonge Joahren ean. Ään dövunn well ich eech verzellen:
Doumoals, et woaren die ëischt Joahren nö’m letschden Grëich, dö woar de Kiaschenzeit für oas Birsch de schëinscht Zeit eam Joahr. Dö sea mier dörich de Hecken emm‘t Dörf eremm gestromert on hunn die wéll Vuulskiaschebääm geblennert. Nemmes hott eppes un der „Blennerei“ fonn. Die määscht Kiaschebääm hotten sich selver geblanzt on de määscht Kiaschen woaren souwiesou vun de Vielen oopgedoan gäan. Nöhmettes oader oowens häät et decks gehääsch: „Koom, mä gëihn un de Kiaschen!“ Munchmoal hotten mir och noch e poar Meedercher vun osasem Alter debei. Dëi konnten awer nett op die hëich Bääm grawweln. Dann hu mier Jongen dennen extra schëin Kiaschenächtjer vunn de Bäämen roopgeschmäass.           
Ean dennen ëichten Joahren nöh’m Grëich, woar ean municher Famillich et Eassen ärich gnapp. Dö hott e gepoaßden Kiaschbaam meat seinen decke Kiaschen e glän Vermëijen goll. Dëi gepoasten Bääm hotten mir och kannt. Awer mier hunn dëi net haamgesoat, weil die Leit se wäh‘nd der Kiaschenzeit gehoat hotten.           
Neh beim Dörf hott de Schengel doumoals e Goarten meat em bräschdijen Kiaschbaam drean. Daat woar känen vunn dennen wéllgewössenen Vuulskiaschenbäämen, wie dëi ean d’n Heckecken em et Dörf eremm. Nään,de Schengel hott denn dä Joahr ean dä Baamschoul ean Häalwern käät. Weil e gepoaßt woar, hott en jed Joahr voll deck, schwozz Kiaschen gehang. 
Änes Samschdes seet em Schengel sein Fraa: “Schang, gëih moal ean de Goaten on breng mä e poar Kiaschen! Muä eas Sonndich on döfier deet ich gear e Koochen backen.“ De Schengel greift sich et Henkelskerfchin o mecht sich op de Wee. En Läter helt e kään meat. E wääß jo, datt e poar Äscht sou dëif ropp hängken, datt e vum Böddem aus genooch Kiaschen gebleckt grëit.
Schließlich kemmt en u sei Baam. “ O Jesses!!  Wat eas dann elei pasiert?“  All ennerscht  Äscht, wu hän beikomm eas, sean leergebleckt. Nemmen hëich uëwen eam Baam, wu en net hikemmt, dö hängken noch e poar ääletzier Kiaschen!    
„Dat löö woaren besteamt em Klees sein Jongen, die kennen nämlich mei Baam hei!“ schießt et em Schengel dörich de Kopp. Wie en sou fier sich um Schennen eas, kemmt sein Noobersch Luis ean hiear Steck newendrunn.. „Häscht dou emmes lei u meine Kiaschen gesëin?“ freet de Schengel. „Joo“, soat et Luis, “ haut Viermettich hott eich drei Bersch enner deim Baaä gesëihn. Awer ich woar noch ze weit wech fier se genaa ze ä’kennen. Wie eich neher komm sean, du sean se fottgelaaf.“ „Watt? Drei Bersch, seecht dou. Dann eas et grööt, wie eich mä‘t gedööt hunn. Daat passt op em Klees sein Lemmeln. Woat, eich wier dëi brengen!“ De Schengel dreht sich om Absatz eremm on o mescht sich opd’n Haamwee. 
Wie d’n Dëiwel et well, sëiht en bei d’n ëischten Heisern vum Dörf d’n Klees op sich zoukommen. Et Kerfchin leer on de Bauch voll Wut baut en sich vier dem op: „Soo, Klees, dein Birsch woaren un meim Kiaschbaam on hu ennen eremm alles leergefreaß!“ D’n Klees guckt de Schengel gruuß un o freet su onschellig, wie et nuren gäät: „Sean de Bleeder noch um Baam?“ Op sou en Fröö eas denn anneren net gefaaßt: „Wat freescht dou löö fier en domm Zëich? -  Secher sean de Bleeder noch um Baam!“
„Da woaren’t mein Jongen net“, soat d‘n Klees,“dëi freaßen nämlich de Bleeder maet!“ lesst de verdutzen Schengel stëin on gäät seiner Wee
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Kirschenzeit
 
Damals, es waren die ersten Jahre nach dem letzten Krieg, war die Kirschenzeit für uns Burschen die schönste Zeit im Jahr. Da sind wir durch die Hecken um das Dorf herum gestromert und haben die wilden Vogelskirschbäume geplündert. Niemand fand etwas an dieser „Plünderung“. Die Bäume hatten sich größten Teils selbst gepflanzt und die meisten Kirschen wurden sowieso von den Vögeln geerntet. Nachmittags oder abends hieß oft unsere Parole: „Komm, wir gehen an die Kirschen!“ Manchmal hatten wir auch noch ein paar gleichaltrige Mädchen mit uns. Die konnten aber nicht auf die hohen Bäume klettern. Dann warfen wir Jungen denen besonders schöne, vollbehangene Kirschenästchen von den Bäumen herab.
In den ersten Nachkriegsjahren war in mancher Familie das Essen ziemlich knapp. Da galt ein veredelter Kirschbaum mit seinen dicken Früchten als ein kleines Vermögen. Auch diese veredelten Bäume kannten wir. Aber wir suchten sie nicht gerne heim, weil sie zur Erntezeit von den Besitzern gehütet wurden.
Nahe beim Dorf hatte Schengel einen Garten mit einem prächtigen Kirschbaum drin. Das war kein wilder Vogelskirschbaum, wie die in den Hecken um das Dorf herum. Nein, Schengel hatte ihn vor Jahren in der Baumschule in Hilbringen gekauft. Weil er veredelter war, hing er jedes Jahr voll dicker, schwarzer Kirschen.
Eines Samstags sagt Schengels Frau: „ Schantg, geh mal in den Garten und bring mir ein paar Kirschen! Morgen ist Sonntag und da möchte ich einen Kuchen backen.“ Schengel packt sich das Henkelkörbchen und macht sich auf den Weg. Eine Leiter nimmt er nicht mit. Er weiß ja, dass einige Äste so tief hängen, dass er vom Boden aus genug Kirschen pflücken kann.
Schließlich kommt er an seinen Baum. „O Schreck!! Was ist denn hier passiert?“ Alle unteren Äste, die er erreichen kann, sind leergepflückt. Nur hoch oben im Baum, wo er nicht hinlangen kann, hängen noch ein paar einzelne Kirschen.
„Das waren bestimmt die Jungen von Klees, denn sie kennen meinen Baum hier!“ schießt es Schengel durch den Kopf. Wie er so für sich am Schimpfen ist, kommt seine Nachbarin Luise in ihr Grundstück nebenan. „Hast du jemand hier an meinen Kirschen gesehen?“ fragt Schengel. „Ja“, sagt Luise, „heute Vormittag hatte ich drei Burschen unter deinem Baum gesehen. Aber ich war noch zu weit entfernt um sie genau zu erkennen. Als ich näher kam, liefen sie davon.“ „Was? Drei Burschen sagst du. Dann ist es grad wie ich es mir gedacht habe. Das passt auf die Lümmel von Klees. Warte, die werde ich bringen!“ Schengel dreht sich auf dem Absatz herum und macht sich auf den Heimweg.

„Wie der Teufel es will, sieht er bei den ersten Häusern des Dorfers Klees auf sich zukommen. Das Körbchen leer und den Bauch voll Wut baut er sich vor dem auf: „Sag, Klees, deine Burschen waren an meinem Kirchbaum und haben unten herum alles leergefressen!“ Klees guckt den Schengel groß an und fragt so unschuldig wie es nur geht: „Sind die Blätter noch am Baum?“ Auf so eine Frage ist der andere nicht gefasst. „Was fragst du da für ein dummes Zeug? Sicher sind die Blätter noch am Baum!“ „Dann waren es meine Jungen nicht“, sagt Klees, “die fressen nämlich die Blätter mit!“ lässt den verdutzten Schengel stehen und geht seiner Wege.“
 
 


© Theo Seiwert
Redaktion: Frank Becker