Aus dem Land der blauen Ameisen - Zweiter Teil

Ein Reisebericht über ein China, das es längst so nicht mehr gibt

von Frank Becker


Aus dem Land der blauen Ameisen

Teil 2

April 1985


In dem Freundschaftsladen kann man nur mit „Ausländergeld“ einkaufen, d. h., Chinesen sieht man dort weniger. Das Ausländergeld - im Gegensatz zum Volksgeld - bekommt der Reisende, wenn er seine Valuta

1 Yuan Touristen-Währung
einwechselt. Volksgeld bekommt er nicht in die Hand. Das muß er sich, wenn er es gerne haben möchte, durch Wechseln in einem Laden besorgen. Das Ausländergeld ist bei den Chinesen sehr beliebt, denn es ermöglicht den Einkauf in besonderen Läden und Hotels, wo man dafür bessere Waren be­kommt, als in den normalen Läden. Man wird recht häufig angesprochen, ob man nicht tauschen will und bekommt mitunter 1 : 1,5 eingetauscht, wobei Ausländergeld u. Volksgeld vom Nennwert her gleich sind . Die chinesische

1 Yuan Volkswährung
Währung liegt zur DM etwa 1 : 1,1 – 1,2. Für 10,- DM bekommt man 8,5 - 8,9 Yüan. 1Yüan = 10 Jiao = 100 Fen.

Anschließend gab es ein üppiges Dinner im International Club, dem Aus­länderclub in Peking, der neben Hotel und Restaurants auch Sportein­richtungen, ein Kino, ein Theater, einen Swimming-Pool u.a. hat. Nach dem Dinner gab es im Theatersaal eine großartige Vorführung
chinesi­scher Artistik, wobei mich die eleganten Jongleure am meisten erfreu­ten.
Zurück im Hotel lag schon der Stapel Wäsche, den ich morgens abgebeben hatte, gewaschen und gebügelt bereit. Für wenig Geld wird täglich und zuverlässig die Wäsche gewaschen. Man muß also gar nicht viel mitnehmen. Ein Umtrunk in der Bar rundete den Tag.

Der letzte Tag mit Programm in Peking enthielt wieder Besonderheiten. Als erstes am Morgen schlossen wir uns einem vieltausendköpfigen Lind­wurm von Menschen an – d.h., wir wurden höflich in der Mitte hineinge­lassen - die den toten Mao in seinem Mausoleum sehen wollten. Täglich stehen Abertausende auf dem Großen Platz (Tien-An-Men) an, um Mao in seinem Kristall-Sarg zu sehen. So nun auch ich. Die Schlange bewegt sich zügig vorwärts und es dauert gar nicht lange, bis man in dem monumentalen Gebäude mit mächtigen Flügeltüren außen und ebensolchen innen ist. Vor­bei an einem

Am Mausoleum Mao Tse-Tungs
überlebensgroßen Marmordenkmal, das Mao in einem Sessel sitzend zeigt und an prachtvoll blühenden Clivien betritt man eine Halle, in der er nun seit beinahe 10 Jahren  in einem Sarg aus Kristall aufgebahrt ist. Man möchte beinahe meinen, er sei soeben eingeschlafen, so perfekt wurde er präpariert und geschminkt. Trotz der makaberen Szenerie wird einem ein wenig bewußt, was für ein historischer Riese dieser Mann gewesen ist und wie er nachwirkt. Das Gebäude um ihn herum erinnert übrigens in seiner Pracht und dem Marmorschmuck sehr an die Gebäude im Kaiserpa­last, auch was die Monumentalität angeht.

Anschließend war ein Besuch bei einem „Nachbarschaftskomitee“ arrangiert wor­den.
In dieser Stadtviertelverwaltung wird das soziale Zusammenleben organi­siert. Man kümmert sich z.B. um Eheschließungen und Scheidungen, Kindergarten, Vorschule und Schule, öffentliche Hygiene und Sauberkeit, Geburtenkontrolle, Wohnungszuweisung und Arbeitszuweisung. Auch eine kleine Klinik ist da, um mindere Wehwehchen zu kurieren. Angehörige des Komitees stellten sich gedul­dig und auskunftsbereit

Kindergarten in Beijing
den Fragen der Touristen. Mit zu dieser Besichtigung gehörten der Besuch eines Kindergartens und einer Arbeiterwohnung. In der leb­ten auf ca. 35 qm ebenerdig fünf Menschen aus drei Generationen. Luxus gab es absolut keinen (nach unserem Begriff), der Fußboden bestand aus rohen Ziegeln und die Wände waren aus Lehm. Gekocht wurde auf dem Hof in einem offenen Verschlag. Es waren nur kleine Kinder und alte Leute zu

Traditionelles Hofhaus - Familienleben
sehen. Die Großeltern küm­mern sich um die Kinder, während die Eltern bei der Arbeit sind. Überhaupt fiel auf und wurde auch oft erwähnt, daß die alten Leute in China besonders geachtet sind. ­
Der Nachmittag gehörte einem freien Bummel durch die Stadt, d.h., ein paar Straßenzüge des Zentrums. Ich schaute mir Bazars, Buchgeschäfte und Märkte an und wäre wieder gerne länger geblieben.
Am Abend gab es einen Abschiedsdrink und dann mußte gepackt und früh zu Bett gegangen werden, denn am nächsten Morgen wurde in aller Herrgottsfrühe (04.40 h) geweckt. Abfahrt zum Flughafen war um 05.30 h. Das Frühstück wurde in einer Pappschachtel jedem Reisenden mitgegeben.

Bei Pappschachtel fällt mir ein, daß alles, was man einkaufte, sofern Verpackung nötig war, nicht etwa
in eine Tüte gesteckt, sondern in eine feste Schachtel gepackt und ordentlich verschnürt wur­de. Sechs solcher Schachteln trug ich zur Pyramide gebunden, als zusätzliches Gepäck bei mir, zagend und hoffend, daß dieser Stapel 1. als Handgepäck mit ins Flugzeug durfte, 2. an keinem Zoll ausgepackt werden mußte und 3. alles un­beschädigt mit nach Deutschland käme. In den Kartons waren Keramikpferde, Jade­becher, eine Korkschnitzerei und Lackarbeiten.. Um es vorwegzunehmen: alles kam gut zu Hause an, selbst der russische Zoll ließ die Pakete unberührt und im Flug­zeug reiste der Stapel zunächst im Verpflegungslagerraum (chinesische Fluglinie) und später zweimal im Abteil 1. Klasse (Lufthansa), während der Besitzer „Economy“ flog. Der Flug nach Moskau war eine ähnliche Tortur wie der Hinflug nach Peking. Die Maschine war vom gleichen Typ, und der Service noch schlechter. An Bord befand sich eine Delegation finnischer Bürgermeister, die soeben von einer offiziellen Reise durch China nach Hause zurückkehrte. Ich kam mit einem sehr netten Bürgermeister ins Gespräch, der perfekt deutsch sprach.

Nun, auch dieser Flug hatte ein Ende und eine gute Landung und Moskau war erreicht. Hier herrschten 0 Grad Celsius und es war grau und ungemütlich. Die äußeren Umstände entsprachen durchaus der Stimmung, in die mich dieser Kurzbesuch in der Metropole des Ostblocks versetzte. Es begann damit, dass die Reisegruppe (jenseits der Paßkontrolle von Intourist-Führern erwartet und als Gruppe geführt und untergebracht) nicht als solche abgefertigt wurde. Jeder einzelne, ob jung oder alt, mußte eine ca. 5-10-minütige ein­gehende Kontrolle seines Passes über sich ergehen lassen. Dabei mussten alle, die nach dem Kontrollierten kamen, geduldig hinter ihm anstehen. Anschließend wurde das Ge­päck kontrolliert und eine Deviseneinfuhrbescheinigung mußte ausgefüllt werden. Auch hier war wieder anzustehen. Einzelnen Reisenden wurde abver­langt, alles auszupacken, ihre Kontrolle dauerte bis zu 20 Mi­nuten. Ich hatte die Gepäck- und Devisenkontrolle in 2 Minuten hinter mir, weiß auch nicht warum. Vielleicht sehe ich so harmlos aus. Trotzdem dau­erte es 2 Stunden und 45 Minuten, bis die Gruppe durch den Zoll war. Und das für einen Tag Besuch in Moskau! Ostblock-Gruppen wurden übrigens am Nebenschalter als solche in 5 Minuten abgefertigt. Nu ja.

Kaum angekommen standen schon Busse für eine erste kurze Stadtrundfahrt bereit. Der Flugplatz liegt eine Stunde außerhalb der Stadt, und auf dem Weg erklärte die Intourist-Führerin jedes Denkmal und jedes größere Gebäude. Einzige Aspekte dieser Erklärungen waren a. die Befreiung vom Faschismus vor 40 Jahren und b. die Niederwerfung des Feudalsystems in der Oktober­revolution. Es wurde etwas langweilig. In der Stadt wurde nur kurz am Roten Platz mit Basilius-Kathedrale Halt gemacht, dann noch einmal am

Basilius-Kathedrale
Moskwa-Ufer mit Blick auf den Kreml und an der Lomonossow-Universität. Zeit für einen Blick und ein Foto. Anschließend Unterbringung im Hotel KOSMOS, einem der größten und modernsten. Es zählt zu den Spitzenhotels. An der Rezeption musste man seinen Paß und sein Rückflugticket nach Hause abgeben, man war also vollkommen ausgeliefert.
In jeder Etage wurde Kommen und Gehen notiert. Der Komfort in den Zimmern unterschied sich wesentlich von dem in Peking - es war nämlich keiner da! Die Schranktür fiel heraus, als ich meine Jacke weghängen wollte, die Radioknöpfe waren abgedreht und das Radio spielte nicht, der Fenstergriff war fast ab, der Fernseher war kaputt, alles war sehr schmutzig, die Schreibfläche klebrig (Papier und Stift fehlten sowoeso), eine Lam­pe funktionierte nicht und die Betten waren unbequem - und das war die Luxusklasse!

Allerdings war das Essen ausgezeichnet, vor allem das Früh­stück am nächsten Morgen. Bei einem Spaziergang vor dem Frühstück bestätigte sich, was ich schon am Vortag beobachtet hatte: auf Straßen und Bürgersteigen lag zentimetertief der Dreck, alle Autos waren schmutzüber­krustet, durch die Schaufenster konnte man kaum
in die Läden hineinsehen (was sich auch nicht gelohnt hätte, denn im Gegensatz zu Peking, wo alles für jedermann zu kaufen war, gab es in den Läden in Moskau fast nichts). Die Menschen schauten finster drein, nicht einer erwiderte einen freund­lichen Gruß. Die Busse starrten vor Dreck und Rost und schienen nur noch durch ein Wunder zu halten. Es war deprimierend.

Eine anschließende zweite Rundfahrt führte zum Kreml, der bei strömendem Re­gen und bitterer Kälte besichtigt wurde. Seit den Zaren hat sich offensicht­lich an den Machtverhältnissen nichts geändert. Die Herren von heute thronen in den gleichen Palästen wie ihre Vorgänger. Und die Kontrolle des Volkes ist sicher nicht geringer geworden. Ich war erschüttert, wie die sehr zahlrei­chen Polizisten auf der Straße mit den Bürgern umsprangen. Buchstäblich an jeder Straßenecke stand einer und paßte höllisch genau auf, daß auch niemand nur einen Jota von irgendeiner Norm abwich. Dazu kamen reichlich auffällig unauffällige Herren, die mir besonders in der Halle des Hotels auffielen. Die Profession dieser Gestalten war nicht schwer zu erraten.
Das Besichtigungsprogramm endete schließlich mit einer U-Bahn-Fahrt, die mir sehr viel Spaß machte. Ich liebe nämlich U-Bahnen und benutze sie überall in der Welt, wo ich hinkomme. Diese ist wirklich etwas besonderes. Jeder Bahn­hof gleicht einem fürstlichen Palais mit kristallenen Lüstern an der
Decke (in jedem Bahnhof andere), Marmorverkleidungen an Wänden und Decken, Mosa­iken, Reliefs, Denkmälern, Bildern u.a.m.. Man sieht kein Stäubchen und so­gar die Leute sehen z.T. etwas freundlicher aus. Allerdings wird recht rücksichtslos gedrängelt und man muß schon die Ellbogen einsetzen, um vor allem wieder aus dem Zug herauszukommen. Nun stand nur noch eine Ausreisekontrolle bevor, die sich kaum von der bei der Einreise unterschied. Stundenlanges Warten und Anstehen verjagte den letzten Hauch von Wohlwollen, den ich vielleicht noch für die Sowjetunion gehabt hätte. Als ich nach vier Stunden Wartezeit endlich die Lufthansa-Maschine nach Frankfurt bestieg, fiel mir ein Stein vom Herzen. Vielen anderen Reisenden ging es so, und sehr viele, vor allem junge Leute klatschten und jubelten, als die Maschine abhob. Mein Sitznachbar, ein Geschäftsmann aus Frankfurt, bestellte den besten Bordeaux und ich auch ein gutes Fläschchen, und wir stießen darauf an, nicht wie­der dorthin zu müssen. Eine Theatertruppe aus Stuttgart feierte regelrecht die Abreise. Man merkte, wie sich allenthalben ein starker Druck löste.

Ich habe China geliebt und würde jederzeit wieder hinreisen, aber Rußland sieht mich nicht wieder!

Alles weitere war nur noch entspannende Heimreise. Als ich um 23.30 h endlich zu Hause war, lag die halbe Welt hinter mir und ich war müde. Ich bin froh, daß ich diese Reise gemacht habe und werde noch lange davon zehren.

Nun hoffe ich, daß Ihnen mein Reisebericht nicht zu lang geworden ist und daß Sie ihn gerne gelesen haben.
Mit vielen herzlichen Grüßen bin ich wie stets
Ihr
Frank Becker
Fotos (10) © Frank Becker