Mont-Saint-Michel

von Konrad Beikircher

Foto: Maison de la Fance/Photomontageacce `s Mont Imagence 3D
Syndicat mixte de la Baie
Mont-Saint-Michel
 
Ja was soll denn Weltkulturerbe sein wenn nicht Mont-Saint-Michel? Ich war nie dort, wäre aber schon als Kind gerne hingefahren. Nicht wegen La Merveille sondern wegen Ebbe und Flut, in der Normandie ohnehin meist ein feines Schauspiel, und weil ich sehen wollte, ob dieser Wunderort im Wasser besser aussieht als im Schlick, der es bei Ebbe umgibt. Mont-Saint-Michel! Ein Ort, als hätte ihn Umberto Eco erfunden, nur um darin eines seiner meisterlichen Intrigen-Spinnen-Netze zu weben, ein klösterliches, versteht sich. Was für ein Bild von sich, der Welt und von Gott müssen die Mönche im Mittelalter gehabt haben, um so etwas zu bauen. Und, verzeihen Sie, wie arrogant müssen sie gewesen sein, um der Natur so ein Monument entgegenhalten zu wollen – und den Menschen. Ich glaube, ein Aspekt in der Gotik ist nie richtig befragt worden: die Arroganz.
Da heißt es ja immer, daß da die Architektur zum Himmel strebe, Kölner Dom, sicher, und eben Mont-Saint-Michel oder Le Merveille, gut, gebongt. Nur: ist das Demut, wenn ich so einen Klotz hinstelle? Ein Gebäude, das Gott dienen soll, das man aber Hunderte von Kilometern weit sehen können muß? Gut, ich übertreibe, aber Dutzende sind es schon. By the way: sieht man eigentlich von Mont-Saint-Michel aus bis nach Stonehenge? Solche Riesen zu bauen, kann nicht nur mit der Funktionslust der erwachenden Technik-Freaks zu tun haben und mit dem Traum von Architekten, daß man jetzt solche Gewölbe bauen kann. Zu solchen Gebäuden gehört auch Arroganz: dem Volk zeigen, wie mächtig unser Christengott ist, aber auch dem Christengott zeigen, wie mächtig wir sind und was wir so alles können. Gell, da schaust?! So schön sie ist in ihrem Ebenmaß, die Gotik, so imponierend sie in ihren gigantischen Dimensionen ist, so unmenschlich ist sie auch, fern und so fremd, daß sie mich erdrückt. Zum Gucken gehe ich gerne zur Gotik, immer wieder, lasse das Auge schweifen und Luft genug ist ja auch da, daß man tief einatmen und sich vom Gewusel draußen erholen kann. Zum Beten und mich als Mensch fühlen, der Geborgenheit sucht und findet, gehe ich aber in die romanischen Kirchen. Dort bleibt auch das Licht einer Kerze erhalten, es verschwindet nicht im lichtdurchfluteten Gewölbe einer gotischen Kathedrale.  
Die Kirche umfängt mich, gibt mir Schutz und bietet mir Bescheidenheit unserem Herrgott gegenüber, manchmal Demut. Das kann die Gotik nicht und deshalb brauche ich in meinem Leben nicht mehr nach Mont-Saint-Michel zu fahren. Ebbe und Flut habe ich darüber hinaus auch oft genug gesehen.


In diesem Sinne!
Ihr
Konrad Beikircher
 
 
 ©  2013 Konrad Beikircher für die Musenblätter
Redaktion: Frank Becker