Spiel vom Ende der Routine

„Das Leben der Ameisen“. Schauspiel nach Maurice Maeterlinck.

von Daniel Diekhans

Foto © Tom Buber

Spiel vom Ende der Routine
 
„Das Leben der Ameisen“. Schauspiel nach Maurice Maeterlinck.
Eine Produktion der Wuppertaler Bühnen in Kooperation
mit der Theaterschule des „Theater der Keller“, Köln
 
Inszenierung: Christian von Treskow – Bühne und Kostüme: Sandra Linde und Dorien ThomsenMusik: Bastian Wegner – Licht: Sina Kohn - Fotos: Tom Buber
 
Besetzung: Heisam Abbas, Manuel Bashirpour, Klaus Beleczko, Luana Bellinghausen, Anja Crynen, Franziska Ferrari, Lena Flieger, Luan Gummich, Moritz Heidelbach, Alena Kolbach, Antonio Kosztics, Pinar Özden, Emil Schwarz, Julie Laure Stark, Marco Wohlwend, Alice Zikeli
 
 
Gespenstisch-komisch: Christian von Treskows „Leben der Ameisen“ zu Gast in Köln
 
Die Ameisen sind korrekte Leute. Zum Stehkragen tragen sie Krawatte. Zum Hemd den Anzug. Die Haare sind ordentlich frisiert und gescheitelt. Auch ihr Denken ist schwarz-weiß. Ordnung ist gut, Unordnung schlecht. Sie leben im Kollektiv. Sie bewegen sich in Kolonne. Sie arbeiten pausenlos. Sie halten sich an Aktenordnern und Kaffeetassen fest. Der Alltag, der niemals enden will, ist ihr einziges Glück.
In seinem Text „Das Leben der Ameisen“ fragte der belgische Dramatiker Maurice Maeterlinck 1930 nach dem Verhältnis von Insekten- und Menschenwelt: „Was würde uns so ein Leben, ins Menschliche übertragen, bedeuten? Wäre es im Vergleich zu unserem jetzigen unerträglicher, nutzloser, unerklärlicher, trostloser oder nicht?“
Als erster hat Christian von Treskow das dramatische Potential von Maeterlincks Essay erkannt. Der Wuppertaler Theaterindendant inszeniert „Das Leben der Ameisen“ in der Form einer Pantomime. In die Rolle der Arbeitstiere schlüpfen Schauspielschüler des Kölner „Theater der Keller“. Verstärkt wird das junge Ensemble durch die Wuppertaler Profis Heisam Abbas und Marco Wohlwend. Bastian Wegner unterlegt die Handlung mit einem aufregenden elektronischen Soundtrack. Für die passende Lichtdramaturgie sorgt Sina Kohn.
 
Ende Mai feierte „Das Leben der Ameisen“ Premiere im inzwischen geschlossenen Wuppertaler Schauspielhaus – zusammen mit einer szenischen Lesung von Becketts Erzählung „Der Verwaiser“. Vergangene Woche gastierte Treskows Inszenierung im „Depot 2“ des Kölner Schauspiels. Ein Wiedersehen, das große Freude macht. Denn Aufbau und Auflösung der Ameisenwelt ist perfekt choreographiert. Ähnlich wie beim klassischen Ballett treten die stummen Akteure solo, im Duo oder im großen Ensemble auf. Zum Auftakt allerdings agiert das Kollektiv noch in geschlossener Formation. Gemeinsam schafft man Arbeitsplätze. Schreibmaschinen rattern im Takt. Sogar Intrigen und Liebesaffären werden routiniert abgespult. Der Chef kontrolliert den Betrieb. Doch allmählich läuft sich die Maschine heiß. Von fern ist ein dumpfes Pochen zu hören, das in eine Dauerschleife gerät. Weißes Rauschen dringt aus Verstärkerboxen hinter den Kulissen. Das Lachen der Ameisen klingt wie Röcheln. Die Komik nimmt gespenstische Formen an. Die eingeübten Bewegungsabläufe geraten ins Stocken. Gesichter verzerren sich. Arme und Beine zucken. In heftigen Krämpfen winden sich die Körper. Papiermüll sammelt sich auf dem Bühnenboden. Das Licht geht aus und wieder an. Aber die eingeübte Routine stellt sich nicht mehr ein. Mühsam unterdrückte Sehnsüchte kommen zum Vorschein. Gewalt bricht sich Bahn. Das Kollektiv verschwindet von der Bühne. Nur ein einzelner Körper bleibt zurück. Es scheint, als ob Christian von Treskow den Bogen von Maeterlincks „Ameisen“ zu Woyzecks „Büchner“ schlagen wollte: „Still, still – als wär die Welt tot.“


Foto © Tom Buber
 
Weitere Informationen unter: www.wuppertaler-buehnen.de