Welch ein himmlisch Bild

Jochen Roedszus - Die dunkle Seite des Spiegels

von Jutta Höfel

Foto © Jochen Roedszus
 „Die dunkle Seite des Spiegels“

Zur Ausstellung
von Jochen Roedszus
im Studio der BKG im Kolkmannhaus, Wuppertal
vom 13. Oktober bis 10. November 2013
 
Ein Spiegel entgegnet Bilder, er wirft, so sagt man, Dinge oder Menschen zurück. Daß er das kann, liegt an der Hintermalung des Glases und an dem Licht davor. Ähnliches sah schon Narziss, als er in den See schaute, der ihm seine Schönheit zeigte: der dunkle Grund vor Helle ist des Spiegelbilds Bedingung.
Doch auch die scheinende Seite konfrontiert uns manchmal mit einem Anblick, der uns nicht willkommen ist, denn nicht allein das Anziehende, ebenso das Abstoßende gibt der Spiegel wieder, er reflektiert auch die dunkle Seite unseres Wesens.
In diesem doppelten Sinne richtet Jochen Roedszus seine Spiegel auf die Porträts von Prostituierten und geht den Spuren nach, die daraus zu lesen sind. Dabei hält er nicht nur Offensichtliches fest, sondern verfolgt die Rätsel unter den glänzenden Oberflächen, die Brüche in den glatten Posen und entdeckt dort Betörendes und Verstörendes, Trauriges und Lustvolles.
 


Für unseren Streifzug entlang der Arbeiten nehmen wir ein literarisches Zitat als Leitfaden:

„Was seh ich? Welch ein himmlisch Bild
Zeigt sich in diesem Zauberspiegel!
O Liebe, leihe mir den schnellsten deiner Flügel,
Und führe mich in ihr Gefild!
Ach wenn ich nicht auf dieser Stelle bleibe,
Wenn ich es wage, nah zu gehn,
Kann ich sie nur als wie im Nebel sehn!-
Das schönste Bild von einem Weibe!“

Mit Goethes „Faust“ ist man nie in schlechter Gesellschaft.
 
Das Ausgangsmaterial für die Bilder dieser Ausstellung sind Fotografien des Künstlers für einen veröffentlichten Katalog, in dem sich die Frauen in ihren erotischen Rollen den Kunden anbieten. Die ursprünglich analogen Aufnahmen wurden digitalisiert und vielfältig bearbeitet.
Eine erste Serie hat Jochen Roedszus in 12 kleine Jugendstilrahmen gesetzt, um den Charakter der Inszenierung zu unterstreichen. Welche Assoziationen die Anblicke auslösen, wird für jeden von uns verschieden sein, wenn wir ihnen mit Offenheit begegnen.
 
Eine weitergehende Verwandlung haben die drei lebensgroßen Figuren erfahren, die uns in schwarz-weißer Rasterung erwarten. Wie einst die Helena dem Faust, so entziehen sich diese Frauen unserer Annäherung. Stehen wir unmittelbar vor ihnen, sehen wir zunächst nur ein Muster, erst mit der Entfernung Genaueres, Teile des Körpers und schließlich das Ganze.
Und je näher wir wieder herantreten, je enger der Kontakt wird, um so verwirrender ist unser Eindruck, da die Rasterung die Materialität des Fleisches aufhebt. Dieser Abstraktion hat sich der Künstler übrigens auch bei der Einladungskarte bedient, auf der aufmerksame Betrachter das Delta der Venus erkennen können.
Die mittlere Frau trägt ein sehr verknapptes Dienstbotinnengewand, aus deren schwarzer Korsage ihre Brüste hervordrängen. Die rechte Hand schiebt Rock und Schürze nach oben, die linke liegt über den Augen, die handelnde Hand legt das Geschlecht frei, die nachdenkende bedeckt das Gesicht. Fragen werden wach: Was ist das Intime? Das Empfindsame? Der Körper wird zur Verfügung gestellt, die Seele geschützt? Die äußere Sinnlichkeit von der geistigen Innerlichkeit getrennt?
Diese Überlegungen werden von den beiden flankierenden Gestalten aufgenommen und variiert, die Jochen Roedszus so angeordnet hat, daß sie sich jeweils ins Zentrum wenden, ihrerseits aber abgewandt bleiben. Welche Mimik, welche Stimmung ergänzt unsere Phantasie zu ihren provozierenden Haltungen?
 

Foto:  Frank Becker
Hier hat der Künstler daran gedacht, ein Feigenblatt zur Verfügung zu stellen, das man an den – wem auch immer peinlichen – Stellen einstechen könnte. Damit täte man dem Abbild der Frau die Gewalt an, die Prostituierte so oft erleben und bewiese die in der Gesellschaft vorhandene Doppelmoral, laut zu verurteilen, was man leise tut. (Tatsächlich hat jemand während der Ausstellung das Feigenblatt mittels Nadelstich in die Vulva dem mittleren Foto angeheftet. Dieser Akt verrät ein bestürzend brutales Potential sexueller Abwegigkeit. Anm.d.Red.
Als Pendant zu den großen steht ein kleines Rasterbild, in dem eine Pop-Art-Technik aufgegriffen wird. Eine Textur von lamellenartigen Licht- und Schattenstreifen ist über das Motiv gezogen, und die Haltung der Dame mit empört in die Hüften gestützten Armen und einem sehr aggressiven Auge paßt zur Bedeutung des Begriffs „Jalousie“ aus dem Französischen: Eifersucht
 

Foto © Jochen Roedszus
In anderen Werken hat Jochen Roedszus Zitate aus dem Hohelied der Liebe im ersten Brief des Paulus an die Korinther eingeschrieben: „Wir sehen jetzt durch einen Spiegel ein dunkles Bild; dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich's stückweise; dann aber werde ich erkennen, gleichwie ich erkannt bin.“
Eine Frau blickt uns an, ihr Mund ist verschleiert, Rotes sickert über die rechte Stirn in die Augen, die im Kontrast zu den weißen Partien und unter den geschwungenen Brauen nahezu mephistophelisch wirken. Eine Scherbe durchbricht das Porträt, denn unser Versuch der Erkenntnis bleibt fragmentarisch, was auch immer die Schlange versprach und so sehr wir uns bemühen, kann uns zwar das Blut zu Kopfe steigen und uns die Sicht ganz und gar verstellen, doch in dieser Welt können wir die Wahrheit nicht schauen, mag sein, in jener anderen.
 „Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen.“ Auch über den Unterleib der Frau schieben sich Scherben ineinander, denn der Trost der Sinnlichkeit ist brüchig, sie allein kann uns nicht erlösen.
 
Im Korintherwort ist die Agape gemeint, die allgemein liebende Haltung zur Welt und zu den Menschen, eine spirituelle Verbindung zur Schöpfung.
Der Eros dagegen ist ein starkes Begehren, einen Menschen, Gegenstand oder einen geistigen Wert zu erlangen, und so sehr überfällt uns diese Liebe, daß sie seit der Antike auf das Wirken eines Gottes zurückgeführt wird. Vorrangig ereignet sie sich in unserer Sexualität, in der wechselseitigen Anziehungskraft und im breiten Spektrum körperlicher Reize mit dem Ziel, einen außergewöhnlichen Höhepunkt von Erfahrung zu genießen.
 
Das ist das Ideal in einem Zauberspiegel – doch die Wirklichkeit konfrontiert uns oft mit verlorenen Träumen, als habe jemand den ersten Stein geworfen und als sei nur im Zerspringen noch das eigentliche Flüchtige aufgefangen.
In dieser bewusst ungewiß gehaltenen, geheimnishaften Atmosphäre spielt Jochen Roedszus mit Varianten des Gegenübers und der Gegensätzlichkeit: In „Love and devotion“ steht Rückseite vor Vorderseite, nackt vor bekleidet, hell vor dunkel, liegend vor aufrecht, unterwürfig vor beherrschend.
 
„Vice versa“ sind die beiden Aspekte einer Frau, ihr Nacheinander von rechter und linker Seite in einen Moment gefaßt, der unterschiedliche Züge hervorbringt: das zum Teil zurückgezogene Haar und der abgewandte Blick wirken verneinend, die elegante Strähne und die Sprache der Augen verlockend. Wer bin ich in meinen Bildern?
 
Dazu eine Passage aus einem Gedicht von Jacques Prévert (1900 – 1977) über eine Prostituierte:

„Je suis comme je suis / Ich bin wie ich bin
Ich bin gemacht, um zu gefallen, ... .
 
  Foto © Jochen Roedszus
Meine Absätze sind zu hoch,
mein Körper zu krumm,
meine Brüste zu hart
und meine Augen zu stark geschminkt
aber: Was geht es Euch an?
Ich bin, wie ich bin.
Ich gefalle, wem ich gefalle
Was geht es Euch an,
was mir passiert ist.
Ja, ich liebte jemanden,
ja, jemand liebte mich
wie die Kinder sich lieben
einfach lieben können
lieben, lieben ...
Warum fragt Ihr mich?
Ich bin da, um Euch zu gefallen.“
 
Wie die Ophelia, die mit Rosen bestreut lächelnd und wie lustgemordet an kühlem Gestade liegt.
Wie die Salome im Schleiertanz, deren Körper unter dem dünnen roten Stoff schwellende Sinnlichkeit entwickelt. Oder die Odaliske, die vor den grünlich-bläulichen Wänden eines alten Bades orientalischen Charme entfaltet.
Ihnen allen gibt der Künstler eine Ästhetik des Zerfalls durch die fleckigen, wie angefaulten, angeschimmelten Hintergründe von moosigem Boden, bröckeligem Putz und blätternder Farbe, die allmählich in die Körper vordringen.
 
Andere Gefälligkeiten als diese poetisch verklärten Rollenbilder offeriert die pralle Krankenschwester in rotem Lackkleid mit bekreuzter Schürze und ebensolchem Köfferchen, die mit ihren geradezu gerichtetem Blick vielleicht fragt: Can I help you?

Foto © Jochen Roedszus
Während die weiß bestrumpfte und beschuhte Frau vor der „Inspektion“, die sich ebenfalls an einen gynäkologischen Untersuchungsstuhl lehnt und ihr Gesicht unter dem blonden Haar versteckt, eher verletzt wirkt.
Jochen Roedszus nutzt in seinen synthetischen Arbeiten die Eigenschaften vieler Medien: er verbindet die Unmittelbarkeit der Fotografie mit anderen künstlerischen Genres, indem er malerisch gestaltete Flächen oder verschiedene Wirklichkeitsfragmente einbezieht wie die Splitter von Gläsern, die Flocken verbrannter Papiere und Flecken farbiger Flüssigkeiten. Gezielt setzt er Lichteffekte in die schwarzweißen oder zweitonigen Darstellungen, um das Mysteriöse der Komposition zu verstärken. Etwa in dem „Arbeitszimmer“, in dem ein an sich biederes Bett mit hölzernem Rahmen und ordentlich zurückgeschlagener gewürfelter Bettwäsche neben einem Nachtisch mit Ornamenten und einer Fransenleuchte in eine Alptraumszenerie verwandelt wird, in ein verdüstertes und vergreulichtes Abbild einer vertrauten Umwelt im Spiegel. Das andere Arbeitszimmer dagegen, dessen seltsame Ausstattung auf den ersten blinzelnden Blick einer funkelnden Schatzkammer gleicht, zeigt sich mit dem zweiten klaren als das, was es ist: das Studio einer Domina mit allen Attributen zur Erregung von Lust durch Schmerz und Demütigung.
 
Der Fotograf hat auch Momente vor oder nach dem Auftritt festgehalten, etwa den noch nicht ausgeleuchteten, noch leeren, mit glänzendem Velour überworfenen Podest, dem sich ein dunkle Silhouette nähert, in der Bewegung Brust und Knie vorwärts schwingend. Welche Pose wird sie einnehmen?
Und danach? Nach dem Styling, der Show, dem Glamour im warmen Licht der Illusion, wird ihr Blick entgleiten, ihre Haltung einsinken, ihr Mund müde sein und die Welt wieder grau – in der dunklen Seite des Spiegels.

Die Ausstellung ist noch bis zum 10. November in den Räumen der BKG Wuppertal zu sehen.
Weitere Informationen: www.bkg.wtal.de/

 
 
© 2013 Dr. Jutta Höfel
Redaktion: Frank Becker
Die Gesichter einiger Modelle wurden vom Künstler zum Schutz der Persönlichkeit für diese Veröffentlichung verfremdet.