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Ein Tanztheaterstück von Claudio li Mura

von Jürgen Kasten

Claudio li Mura - Foto © Jürgen Kasten
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Ein Tanztheaterstück von Claudio li Mura
 
Der gebürtige Cronenberger Claudio li Mura betreibt hauptberuflich ein Sprachen- und Übersetzungsbüro. Darüberhinaus ist er ausgebildeter Rezitator und hat u.a. Literatur studiert. Seine Leidenschaft gehört aber dem Tanz, genauer – dem Tanztheater, wobei ihm das Zuschauen nicht genügt. Vor zwei Jahren gründete er das Seniorentanztheater, bringt sich gleichzeitig als Choreograph und Tänzer ein.“, „Ich bin jetzt 60 Jahre alt“, sagt er, „worauf soll ich noch warten? Der Augenblick muß gelebt werden. Ich muß jetzt etwas machen und das ist jetzt das Tanztheater.“
Gestenreich unterstreicht er seine Sätze, springt auch schon mal auf, um eine Pose einzunehmen, die das Gesagte verdeutlichen soll. Der Mann ist ein Energiebündel, voll beseelt von der Aufgabe, die er sich selber geschaffen hat.
Was mögen das für Menschen sein, die mit ihm arbeiten?
Seine Antwort erfolgt ohne Zögern: „Diese Menschen haben generationsübergreifend etwas mitzuteilen, haben Lebenserfahrung, Wissen, Intelligenz und auch Demut. Sie wollen berühren, Gefühle zeigen, spontan sein.“
Rita Gupta-Nehring sagt es ganz profan: „Beim Tanztheater kann ich vom Alltag entspannen.“ Sie ist eine der 22 Akteure, die nicht nur Spaß an Spiel und Tanz haben, sie wollen sich auch persönlich weiter entwickeln, sich verwirklichen und sich dem Publikum darstellen.
Ihre Spielfreude wird bereits in den Proben deutlich. Einige tragen Kostüme, andere Alltagskleidung. Diejenigen, die gerade nicht auf der Bühne gefordert werden, stehen am Rand, lesen ihre Texte noch einmal durch oder üben für sich ihre Bewegungsabläufe. Es geht still und diszipliniert zu. Claudio li Mura und sein Tontechniker sitzen am Pult, greifen nur selten ein. Auf Stichworte hin wechseln die Szenen. Zwischendurch steht Claudio auf, tanzt oder spricht seinen eigenen Part, ist ungeduldig, „ja weiter“ fordert er, „ihr seid dran“. Die Gruppe reagiert sofort, es läuft flüssig. Man merkt ihnen das jahrelange Zusammenarbeiten und Zusammenwachsen an. Szene reiht sich an Szene.


Foto © Jürgen Kasten
 
„frag Mente“ heißt das laufende Stück. Der Titel ist ein Wortspiel, abgeleitet von „mente“ - frag den Verstand, den Geist, den Sinn, das Gedächtnis, den Willen, das Gefühl.
„Worum geht es?“, will ich wissen. Li Muras Arme scheinen die ganze Welt zu umfangen, bevor es aus ihm heraussprudelt: Natürlich um den Menschen, das unbekannte Wesen, um die vielen Stimmen in uns, die uns prägen, um das Leben als Ganzes. Wir zeigen Episoden, von der Geburt bis zum Drama, Schicksalsschläge, viel Amüsantes; aber auch Machtpositionen.
Spielt Musik eine Rolle? Sie ist Teil der Dramaturgie, wie das Licht auch. Die Musik kommt mir zugeflogen, sagt li Mura. Unterschiedliche Genres und Stilrichtungen setzt er ein. Vom Schlager über das Chanson, Jazz- und Popelementen, Oper und Operette ist alles dabei.
Die Musikanlage im Probenraum des Breuer Saales ist defekt. Man hört kaum etwas. Es macht nichts. Einzelne Tänzer treten vor, sagen einen Satz, zum Beispiel „liebe dich selbst, dann kannst du heiraten, wen du willst“. Es ist ein Buchzitat. Nicht alles verstehe ich. Es wird auch russisch oder griechisch gesprochen. Dann ein Defilee quer über die Bühne, Tänzer hinter Tänzer, lächelnd dem Publikum zugewandt, anmutige Handbewegungen.

Foto © Antje Zeis-Loi
Diese Szene, wie auch einige andere, erinnern an Ähnliches, was schon beim Tanztheater Pina Bausch zu sehen war.
Daß er auch von ihr inspiriert wurde, will li Mura nicht verleugnen, möchte aber nicht mit richtigen ausgebildeten Tänzern verglichen werden, denn es sei etwas völlig anderes, was er mit seinem Seniorentanztheater mache. Und genau das darf man nicht vergessen, daß hier nämlich keine Profigruppe agiert, sondern begeistert engagierte Akteure, die tanzen, spielen und schauspielern.
Ich sah das komplette Stück vor einigen Tagen im Piccolo Teatro der Rudolf-Steiner-Schule. Die schwarze Bühne braucht kein gestaltendes Bühnenbild, nur wenige Accessoires werden eingesetzt, den Rest macht das variierende Licht. Kostüme werden so schnell gewechselt wie die Szenen. Die ganze Palette menschlichen Daseins; Liebe, Laster, Trauer, Freude, Spott und Hohn; aber auch innige Zweisamkeit, Einsamkeit und Tod, werden dargestellt - zuviel. Manchmal wünschte man sich, es würde langsamer von statten gehen, einzelne Szenen ausführlicher gestaltet, dem Zuschauer Raum zum innigen Mitfühlen gegeben.
So wird es eine über zwei Stunden dauernde furiose Schau, in der die Akteure alles gaben und die mitreißende Musik tat ihr übriges.


Foto © Jürgen Kasten
 
Das Seniorentanztheater bietet ein buntes Spektakel, beschwingt, lustig, traurig bis zum Schlußknaller. Ein ohrenbetäubendes Erdbeben zerstört das harmonische Spiel. Zurück bleiben Leichen und trauernde Menschen, die verstört durch die Szenerie kriechen. Das symbolisiert zugleich die Klammer des dargestellten Menschenlebens, denn auch am Anfang krochen die schwarz gekleideten Gestalten auf die Bühne hinaus, da jedoch ins Leben hinein.
Das Publikum im gut gefüllten Saal spendete reichlich Applaus und die Akteure nahmen verschwitzt aber glücklich lächelnd Blumen von Verehren entgegen.

Wer das Stück selber sehen möchte, hat noch einmal am 13.10.2013 Gelegenheit dazu. Im Theater Solingen wird es an diesem Tag um 18.00 Uhr aufgeführt.
 
Weitere Informationen: www.seniorentanztheater.com