Venezia

Eine Liebeserklärung

von Konrad Beikircher

An der Riva San Biagio - Foto © Frank Becker

Venezia
 
Venedig ist ein Fisch, man muß nur auf den Stadtplan schauen. Du kannst dich vom Piazzale Roma oder vom Bahnhof aus Richtung Markusplatz durchschlagen, siehst dabei viele wunderschöne Ecken, Durchlässe, Sottoporteghi, Kircheneingänge (denn: die ganzen Kirchen siehst du in Venedig praktisch nie), staunst über riesige Hausnummern, fragst dich, wie das der postino, der Briefträger, jemals sortiert bekommt, und kommst dann auf den Markusplatz mit seinen Chinesen, Japanern und Amerikanern (Österreicher sind auch nicht schlecht, wenn sie aus Niederösterreich kommen und ihr legendäres Geraunze pflegen). Spätestens da fragst du dich, wo eigentlich die Venezianer sind und ob es sie überhaupt noch gibt. Nein, es sind noch nicht alle nach Mestre umgezogen oder nach Chioggia – wohin du fahren solltest, wenn du wissen willst, wie Venedig vor 50 Jahren ausgeschaut hat – die Venezianer gibt es, sie leben und sie sind munter, wenn auch nicht in den Vierteln, die du bisher durchquert hast. Die Venezianer sind woanders, sie leben da, von wo aus man an klaren Tagen die Berge sieht (nie vergessen: Venedig liegt am Fuße der Alpen, die Venezianer wissen das und empfinden sich deshalb als Gebirgler mit Meereszugang, nicht als mediterrane Garnelenfischer), sie leben hinter den Giardini. Also: bleib nicht am Markusplatz kleben, geh weiter. Guck dir den Dogenpalast an, geh da links umme Ecke, laß die T-Shirt-Verkäufer rechts liegen. Geh jetzt die Riva degli Schiavoni entlang, mach i sette ponti, die sieben Brücken, trink nach der siebten im kleinen Cafè einen Sprizz, spüre, wie sich die Atmosphäre an der Riva San Biagio verändert und geh dann (vor den Giardini) die Via Giuseppe Garibaldi entlang. Jetzt bist du in Venedig. Schlender da entlang, setz dich hierhin und dorthin, geh ins kleine Kaufhaus, in dem früher jahrhundertelang die gefallen Mädchen ihr fröhliches Leben geführt haben, laß dir die Geschichten von den ‚moschini’ erzählen (ja, ja, Moschino hat den Namen daher), die in den Fenstern saßen, wenn die reichen Venezianer ihre Fêten feierten; die moschini waren pubertierende junge Männer, gerne ein bißchen dicklich, die vom Festland kamen und extra dafür engagiert wurden, sich in die offenen Fenster zu setzen um sich von den zanzare, den Mücken, stechen zu lassen, damit es, wie gesagt, die Herrschaften in den Palazzi schön haben konnten. Und laß dir erzählen, wie Napoleon diese Stadt geschändet hat und und und... Hier auf der Via Garibaldi, hörst du alle diese Geschichten, erzählt von echten Venezianern. Und flaniere weiter, bis du ins venezianischste aller venezianischen Viertel kommst, auf die Isola San Pietro. Miete dir da ein Zimmer und genieße es, jetzt da zu sein, wo Venedig angefangen hat. Und du wirst sehen: es gibt keine schönere Stadt als Venedig!
 
 
 ©  2013 Konrad Beikircher für die Musenblätter
Redaktion: Frank Becker