Im Land der Langsamkeit

Der Schweizer Kanton Bern

von Adelheid Wanninger

Foto © Adelheid Wanninger
Im Land der Langsamkeit

Der Schweizer Kanton Bern
 
Es ist vielleicht ein bißchen unfair: Aber gemeinhin gelten die Schweizer ja nicht gerade als die Schnellsten – und innerhalb der Schweiz bezeichnet man die Bewohner des Kanton Bern selbst als die Bedächtigsten unter den Eidgenossen.
Weil aber eine gewisse Langsamkeit auch häufig mit einem Plus an Genuß und Beständigkeit einhergeht, wollten wir das einmal genauer wissen…
 
Die kleine, 21sitzige Dornier 328 ist mit sieben Fluggästen nicht gerade überfüllt. Da kommt für Flugbegleiter Eduardo Grüninger sicher kein Stress auf. „Darf ich Ihnen Second Hand Nachrichten aus Bern offerieren?“ Mit diesen Worten überreicht er eine bereits gelesene Berner Tageszeitung. Gern – aber zum Durchblättern kommen wir nicht, denn an diesem Sonnentag die vorbeiziehende, teils schneebedeckte Alpenkette zu betrachten und die unzähligen vorgelagerten Seen, ist auf dem 50minütigen Flug von München nach Bern mehr als Unterhaltung. Das angebotene „Guten-Morgen-Birchermüsli“ geht nebenher.
 
Der Flughafen Bern Belp empfängt uns mit einer umgebenden Traumkulisse aus grüner

Bern-Belp - Foto © Adelheid Wanninger
Hügellandschaft. 20 Minuten später beziehen wir bereits unser Quartier im Zentrum der Stadt. Zeitig am Tag bleibt also genügend Gelegenheit die heutige Bundestadt der Schweiz zu erkunden, die einst bereits Albert Einstein Quartier bot und ihn bei seinen tiefgründigen Überlegungen beflügelte.
 
Eingebettet in die Flußschleife der türkisblauen Aare gehört Bern wohl zu den großartigsten Zeugen mittelalterlichen Städtebaus in Europa und steht daher seit 30 Jahren zu Recht auf der Liste der UNESCO-Weltkulturerben. Die Altstadt mit ihren schmucken Fassaden und ca. sechs Kilometer prächtigen Arkadengängen begründet ihren Reichtum im einstigen Weinhandel. Heute lädt sie zum Shoppen, Staunen und gelegentlichen Müßiggang ein, zu dem zahlreiche Cafés, kleine Restaurants und herrliche Grünanlagen reichlich Gelegenheit bieten. Ein Besuch im 6000 qm großen Bärenpark auf der gegenüberliegenden Flußseite darf nicht fehlen, ist doch der Bär Berns Wappentier! Zeit sollte man allerdings mitbringen, wenn man die molligen Kuscheltiere im Freigehege sehen möchte, denn gerade an warmen Tagen ziehen sie sich auch gerne in ihre kühleren Höhlen zurück und sind dann nur mit reichlich Futter ins Grüne zu locken. Vom Hang des Bärenparks aus kann man aber auch Einheimische bei ihrer Lieblingsbeschäftigung beobachten: „Sich-Treiben-Lassen“! An der Stelle, wo die Aare die Stadt betritt, ist es den – meist jüngeren – Bernern ein Vergnügen, sich dem Fluß und seiner Strömung hinzugeben, zeitverloren, um dann irgendwo am anderen Ende der Schleife wieder an Land gespült zu werden. Die erfrischenden 17 Grad Wassertemperatur scheinen da keine Rolle zu spielen.


Bern, herrlich gelegen - Foto © Adelheid Wanninger
 
Auf unserem Rundgang zurück in die Altstadt treffen wir auf eine einmalige Sehenswürdigkeit: den Zeitglockenturm, bernerisch „Zytglogge“ genannt. Mit seinem rund fünfhundert Jahre alten, nach wie vor präzisen Uhrwerk und dem unübertroffenen Glockenspiel, das eine schelmische Geschichte erzählt, ist er ein Meisterwerk, das seinesgleichen sucht. An die Tageszeit ermahnt geht es weiter,

Foto © Adelheid Wanninger
denn auch die unzähligen, noch aus dem Mittelalter stammenden Brunnen – jeder von Ihnen reinstes Trinkwasser spendend – wollen bewundert werden, wie auch das spätgotische Münster mit seinen prachtvoll bunten Glasmalerei-Fenstern und seiner Darstellung des Jüngsten Gerichts im Hauptportal.
 
Hungrig geht es abends in den Kornhauskeller – einer einstigen Kornlagerstätte – die später zum Restaurant umgebaut wurde und an Pracht und Größe kaum zu überbieten ist. Zu markanten Münger-Fresken wurde auf mehreren Ebenen mit warmen Farben und gedämpftem Licht ein besonderes Ambiente geschaffen, in dem die Berner Spezialitäten doppelt gut schmecken.
 
Bewegung verschafft am folgenden Tag die „APP unterstützte“ E-Bike-Tour auf der Emmentaler Käseroute. Genußvoll zieht bei durchschnittlichen 25 km/Std. die traumhafte Hügellandschaft vorüber und zu strampeln bleibt, trotz aller Technik, immer noch genug. Von Burgdorf aus geht es an malerischen alten Bauernhöfen und saftigen Weiden bis nach Affoltern in eine Schaukäserei, wo uns Bäuerin Rösli Rutschi spannende Geschichten und Informationen über die Jahrhunderte alte Tradition der Emmentaler Käsebereitung erzählt. Rund 1000 Kilogramm (nicht Liter!) Milch seien erforderlich um einen ca. 80 Kilogramm schweren Käselaib zu erhalten – und viel Zeit, denn langsame Reifung, mindestens vier Monate sind nötig, um die herrlichen Löcher im Käse entstehen zu lassen, die einen echten Emmentaler nun einmal ausmachen. Die unterschiedlichen Reifegrade seinen dann nur noch mehr Geschmackssache.
Auch das Freilichtmuseum Ballenberg gibt Einblicke in das traditionelle Leben und alte Handwerke der Schweiz. Auf einem Areal von 66 ha Fläche wurden in jahrzehntelanger mühevoller Arbeit, rund 100 Gehöfte aus allen Regionen und aus unterschiedlichsten Jahrhunderten von ihren

Freilichtmuseum Ballenberg - Foto © Adelheid Wanninger
Originalstandorten abgebaut und anschließend hier originalgetreu wiedererrichtet. Dazu finden hier etwa 250 Nutztiere - darunter seltene Arten - ihre Heimat. Zwei bis drei Tage könnte man auf Ballenberg verbringen, wollte man alles genau ansehen und erkunden, berichtet Marketingleiter Norbert Schmid. Für Menschen, die nicht so gut zu Fuß unterwegs sind, gibt es aber auch die Möglichkeit die Pferdekutsche für Erkundungstouren zu nehmen. „Ballenberg möchte zeigen, wie die Menschen der Schweiz über die Jahrhunderte hinweg in den verschiedenen Regionen lebten“, erklärt unser Führer Hans. Neben der Landwirtschaft werden daher auch alte Handwerke wie die des Schindelmachers, Korbflechters, Sattlers, der Klöpplerin, Hutmacherin oder Posament-Macherin gezeigt - oder wie man früher Arzneien herstellte. Die Zeit ein wenig zurückdrehen, das ist interessant für Jung und Alt und es gibt natürlich ganz Vieles, das selbst ausprobiert werden darf! Daher sind wir auch so beliebt bei Familien – und für das leibliche Wohl ist mit traditionellen Gerichten in unseren Gasthäusern auch gesorgt.“
 
Mit Postbus und der Schweizer Bahn erreichen wir spätnachmittags das hübsche Städtchen Thun am gleichnamigen See. Anmutig wacht das mittelalterliche Schloß aus dem 12. Jahrhundert über dem

Thun - Foto © Adelheid Wanninger
schmucken Kleinod, das seinen Reiz, neben dem historischen Rathausplatz aus den europaweit einzigartigen Hochtrottoires bezieht. In Thun begegnen wir auch wieder einer Bekannten: der Aare, die den gesamten Thunersee durchfließt und ihn hier verläßt.
 
Genau an dieser Stelle wollen wir noch einmal die Langsamkeit genießen und besteigen die „Blümlisalp“ einen stattlichen Schaufelraddampfer. Von ihm aus zeigt sich die Schönheit der Berner Landschaft mit ihren kleinen Orten am Seeufer, zahlreichen Schlößchen, der saftig grünen Hügellandschaft und den dahinterliegenden steil aufsteigenden Bergen nochmals in seiner ganzen Pracht und Fülle. Und während die tiefstehende Sonne bereits alles in glänzendes Abendlicht taucht und wir nicht sicher sind ob die schneebedeckten Spitzen, die wir entdecken wohl das berühmte Dreigestirn Eiger, Mönch und Jungfrau sind, wäre man fast geneigt zu sagen, daß die 90 minütige Überfahrt fast zu schnell gewesen sein könnte um alles, wirklich alles zu erfassen.
 
Ein Moment, in dem man sich gewahr wird, welch ein Segen die Langsamkeit doch oftmals sein kann!
 

Traumlandschaft im Emmental - Foto © Adelheid Wanninger


Flüge nach Bern: www.flyskywork.com
Schweizer Bahn: www.swisspasses.com
 

Text und alle Fotos © Adelheid Wanninger
Redaktion: Frank Becker