Blühende Landschaften

Mit dem Rad entlang Neiße/Oder von Zittau nach Finkenheerd

von Jürgen Kasten

An der Oder - Foto © Jürgen Kasten

Blühende Landschaften
 
Mit dem Rad entlang Neiße/Oder
von Zittau nach Finkenheerd
 
Blühende Landschaften versprach Helmut Kohl einst den Menschen im Osten der neuen, nun großen Republik. Wir haben sie gesehen, auf einer Radtour entlang der Neiße, dann der Oder. Wunderschöne weite Landschaften, alte Baumriesen, ein naturbelassener Fluß, neue Deiche, einwandfreie Straßen, sanierte Innenstädte, überbordende Pracht von Klöstern. Welch ein Kontrast zu - sagen wir mal Wuppertal.

Industrieruine bei Eisenhüttenstadt- Foto © Jürgen Kasten
Natürlich ist nicht alles schön. Zwischendurch gibt es noch Abbruchhäuser, verfallene Fassaden, verlassene Industriebrachen, Trümmergrundstücke. Sie stören jedoch nicht den positiven Gesamteindruck. Überall wird gebaut, Neues entsteht, Altes wird liebevoll wieder aufgebaut. Ganz im Gegensatz zu – ach, lassen wir das.
 
Überall trafen wir auf freundliche, nette Menschen. In Köbeln, nahe Bad Muskau, lernten wir Holger Lauterbach kennen. Er führt eine Einkaufsgesellschaft für gemeinnützige Einrichtungen, vor allem Waldorfschulen. Die Firma war in Beyenburg angesiedelt, einem Stadtteil von – ja Wuppertal. Nach der Wende sah er sich im Osten um, knüpfte Kontakte zu Biobauern und anderen örtlichen Anbietern und verlegte den Hauptfirmensitz nach Görlitz. In Köbeln verliebte er sich in ein immer mehr verfallendes, dann leerstehendes Hotel, das er 2004 kaufte, das Parkstadthotel. Er baute es baubiologisch um, hängte Kunst in die Räume, engagierte einen Spitzenkoch und verlangt moderate Preise; „aber es fehlen die Gäste“.
Dieses Problem hat die Inhaberin der „Obermühle“ nicht. Ihr Haus und Restaurant brummt. Die Nähe zu Görlitz zieht die Menschen an. Görlitz präsentiert sich als Schmuckstück der Region. Genauso wie der Park und das Schloß des Fürsten von Pückler in Bad Muskau. Hatte der Fürst das gleichnamige Eis erfunden? Ich muß bei Wikipedia nachschauen. Nein, hat er nicht; allerdings hatte ihm ein preußischer Hofkoch eine dreischichtige Eis-Sahnekreation gewidmet, daher der Name.
Der Fürst (*1785) beschäftigte sich mit anderem, der Literatur, dem Kriegsgeschäft und auch der Landschaftsarchitektur. Der Park, so wie er heute noch zu besichtigen ist, zieht sich von Bad Muskau aus bis weit nach Polen hinein und ist der größte Landschaftspark Europas.

Apropos Polen – dort wackelten meine Vorurteile: Jeder Ort an der Neiße ist über Brücken mit Orten der anderen Flußseite verbunden, mit Polen also. Kein Schlagbaum, kein Wachturm – nichts. Man fährt einfach rüber und wird auf Deutsch begrüßt, wenn man jemandem begegnet. Die Polen haben nicht soviel Geld wie wir, um ihre Straßen und Häuser zu sanieren, die Eisenbahn rattert lauter als bei uns. Dafür waren sie noch freundlicher als die Menschen diesseits der Neiße.

Landschaftspark Bad Muskau - Foto © Jürgen Kasten
Auf dem Weg zum polnischen Teil des Landschaftsparks radelten wir durch den Polenmarkt, eine Ansammlung von Buden und Zelten gleich hinter der Brücke. Dort kaufen nur Deutsche ein. Eine Wegbeschilderung fehlte. Suchend schaute ich mich um. Ein finster dreinblickender Pole kam auf mich zu. Instinktiv umklammerte ich meine Geldbörse. Der Mann schaute gar nicht finster, nur angestrengt, er suchte nach deutschen Worten. „Kann ich Ihnen helfen?“ Ich hoffe, er sah meine Verlegenheit nicht.
Mit den Rechtsradikalen erging es mir ähnlich. Ich erwartete sie an jeder Ecke. Vor einigen Jahren in Mecklenburg war es fast so gewesen. Hier nicht. Auf unserer Tour durch Sachsen und Brandenburg sahen wir nur einen im Zug nach Cottbus. „Als Deutscher geboren, als Deutscher gekämpft, als Held gefallen“, stand in weißer Schrift auf seinem schwarzen T-Shirt. Er trug kurze Haare, fast Glatze, einen dicken Ohrring und hatte einen Kampfhund an der Leine. „Einen schönen Tag noch“, wünschte er allen Fahrgästen beim Aussteigen.
Auf unserer Tour begegneten wir vielen anderen Radfahrern. Wir kamen ins Gespräch. „Frankfurt/Oder lohnt sich nicht“, sagten sie. Also beendeten wir unsere sechs-Tage-Fahrt in Brieskow-Finkenheerd, sahen vorher noch der Neiße zu, wie sie sich bei Ratzdorf in die Oder ergießt, und suchten den Bahnhof. Über Cottbus sollte es zurück nach Görlitz gehen, dort noch einmal in der „Obermühle“ übernachten, um am letzten Tag mit dem Rad zum Ausgangspunkt Zittau zurückzufahren.

Finkenheerd zeigte sich als Ort ohne Menschen, jedenfalls sahen wir keinen, auch kein Schild, das den Weg zum Bahnhof wies. Er konnte aber nicht weit sein. Wir sahen die Eisenbahnbrücke, die die Hauptstraße überquerte. Laut Karte mußte dort der Bahnhof sein. Es gab keinen Zugang, nur eine verwitterte, zugewachsene Treppe neben dem Viadukt. Wahrscheinlich ein alter Betriebsweg.
Wir radelten zum entgegengesetzten Ende des Ortes. Endlich ein Hinweisschild. Wir folgten ihm und standen vor einer Straßensperre. Hinter den Baumaschinen rauschte ein Zug vorbei. Ein Blick auf die Uhr. Es wäre unserer gewesen.

Zisterzienserkloster Neumühle - Foto © Jürgen Kasten
Eine junge Frau mit ausladender Figur schaukelte uns entgegen.
„Wir suchen einen Zugang zum Bahnhof“, blickten wir uns hilflos um. Die Frau ruderte mit den Armen, zeigte in verschiedene Richtungen, nannte mehrfach Kreuzungen, Abzweigungen und Häuserblocks, die zu umfahren wären und riet schließlich, zurückzufahren. Das sei am einfachsten, denn dort führe eine Treppe zum Bahnhof hinauf.
Also zurück. Die schwer mit Gepäck beladenen Räder ließen sich nur mühsam durch das Gestrüpp hinauf schieben. Oben im Licht befand sich tatsächlich ein alter Bahnhof, mit moderner Anzeigetechnik bestückt. Das Tor zum Bahnsteig war verschlossen. Wahrscheinlich nur ein Hintereingang. Wir suchten den offiziellen Eingang, waren aber wieder nur von Strauchwerk umgeben, das keinen Weg frei gab.
„Hallo!“, rief ich einem Mann zu, der in einem kleinen Häuschen saß, „wir möchten auf den Bahnsteig.“ Er schaute kurz auf: „Ist geschlossen“, und schon widmete er sich wieder irgendeiner Lektüre.
Ungläubig fragte ich, ob hier keine Züge hielten.
Der Mann setzte seine Dienstmütze auf, kam heraus und erklärte, daß es zu gefährlich sei, den Bahnsteig zu betreten. Hier würden Schnellzüge durchfahren. In einer halben Stunde, wenn der nächste durch wäre, würde er kurz das Tor öffnen, um uns hinein zu lassen.
Ein weiterer Fahrgast kam hinzu, sah unsere Räder und erzählte sofort von seinen Fahrradtouren am Rhein, der Mosel und dem Schwarzwald. Hier sei doch nichts los, schwenkte er seine Arme über den leeren Bahnsteig. Jetzt wurde der preußische Bahnbeamte privat, setzte seine Mütze ab und schwärmte von der herrlichen Landschaft des Oderbruchs. Wir konnten ihm nur zustimmen.
Das mit dem verschlossenen Bahnhof tue ihm leid, sagte der Mann nun bedauernd, er müsse sich leider an die Vorschriften halten, er sei schließlich Bahnbeamter. Es gäbe auch nur noch vier Bahnhöfe dieser Art. Demnächst werde alles elektronisch mit Schranken gesteuert. „Und dann, arbeitslos?“, fragte ich mitfühlend.
„Nein“, lachte er, „ich bin doch Beamter.“
Wir scherzten noch ein wenig, und dann holte der nette Beamte ein Schlüsselbund, öffnete das Tor und meinte, daß es ja eigentlich Unsinn sei, uns auszusperren, wir sollten ruhig hereinkommen.
Wir schoben die schweren Räder auf den schmalen Bahnsteig. Nachdem wir endlich im richtigen Zug saßen, überraschte uns eine gut gelaunte Schaffnerin mit perfekter Dienstleistung. Eine geschlagene Viertelstunde bearbeitete sie ihren Minicomputer, um den günstigsten Fahrpreis für uns herauszusuchen.

Diese Augustwoche im Grenzland zu Polen hat bei uns die allerbesten Eindrücke hinterlassen. Ich kann die Tour nur jedem weiterempfehlen. Die Strecke ist vorzüglich ausgeschildert, sie führt über Deiche, Flußauen und durch kleine Ortschaften hindurch. Es mangelt nicht an

Schloß Bad Muskau - Foto © Jürgen Kasten
Übernachtungsmöglichkeiten und es gibt am Rande viel zu besichtigen.
Wer sich über die Region informieren will, für den sind nur einige Stationen unserer Tour unten aufgeführt. Eine ausführliche Routenbeschreibung findet sich unter www.oder-neisse-radweg.de und Unterkünfte für jeden Geschmack in www.bettundbike.de
 
Weitere Informationen:
 
Redaktion: Frank Becker