Lebenslust und Totengedenken

Ein Kurzbesuch in Wien

von Joachim Klinger

© Joachim Klinger
Lebenslust und Totengedenken

Ein Kurzbesuch in Wien
 
 
Wien. Ende August – „Kultsommer“ mit „Nightride, Streetparade, Streetfestival & Summerbreak Pool Party“. Ist Englisch inzwischen die Landessprache? Vor dem Rathaus Zelte und Verkaufsstände, Imbiß-Buden, Holzbänke nach Art eines Rummels, einer Kirmes. Aber es gibt hier auch bis 1. September ein Filmfestival im Zeichen der Jubiläen von Richard Wagner und Guiseppe Verdi. Eingeladen wird zum Nightwalk am „Gürtel“, einer der Hauptverkehrsadern Wiens. Unter den U-Bahnbögen präsentieren sich „Live-Acts und Open-Air-Bühnen“. Usw., usw. Lebenslust wird erwartet und eingefordert. Man kann auf die Vielzahl der Touristen und neugierige Besucher aus ganz Österreich zählen.
 
Wien ist aber kein Platz für unbegrenzte Fröhlichkeit und hemmungslose Sinnenlust. Das spürt man z.B. in der berühmten Albertina, die mit der Ausstellung „Monet bis Picasso“ lockt, vorwiegend mit Werken aus der Sammlung Batliner. Im ganzen eher eine Enttäuschung, wenn man an die Kölner Museen und die Kunstsammlung NRW in Düsseldorf denkt. Aber beeindruckend und bedrückend zugleich die drei großformatigen Werke von Anselm Kiefer und Eduard Angelis düstere Gebäude-Bilder in bleigrauer Atmosphäre. Alberto Giacometti, den man in einem anderen Raum entdeckt, hätte mit seiner kleinen fast gespenstischen Landschaft und dem Portrait einer sitzenden Frau in Lehmfarben dazugepaßt.
 
Wer dann noch von Volksfröhlichkeit angesteckt ist, bekommt mit der Retrospektive Gottfried Helnweins (anläßlich seines 65. Geburtstags) eine kalte Dusche. Allenthalben schlimme Verletzungen und Verstümmelungen im Bild, insbesondere verwundete und bandagierte Kinder! Wo bleibt die humoristische Seite des Künstlers, wo sind seine politischen Attacken und satirischen Glossen?
 
Und nun das Totengedenken! Da kommt einem sofort der Wiener Zentralfriedhof mit den vielen Gräbern berühmter Persönlichkeiten in den Sinn. Hier ruhen Gluck und Beethoven, Schubert und Brahms, Johann Nestroy, Hans Moser und Theo Lingen. In Wien ist es wichtig – insbesondere für Leute, die sich zur Society zählen -, „a schöne Leich“, also eine pompöse Beerdigung zu haben.
 
Es fallen einem auch Wohnräume und Gedenkorte von genialen Künstlern ein, wie z.B. das Haus in der Haydngasse Nr. 19, in dem Haydn von 1793 bis 1809 lebte (er starb dort am 31. Mai 1809) oder Schuberts Sterbezimmer in der Kettenbrückengasse (bei seinem Bruder verstorben am 19. 11. 1828).
 
Das Gedenkrelief für die drei Staatsgründer Österreichs 1918 neben dem Parlament ist mir zu pathetisch, und von den „Heldenskulpturen“ auf Plätzen und in Parks, z.B. Feldmarschall Radetzky am Stubenring oder Admiral Tegethoff am Praterstern (wußten Sie, daß er 1866 die italienische Flotte bei Lissa schlug?) nimmt man nur flüchtig Notiz.
 
Aber die silbern schimmernde Büste des Bundespräsidenten Karl Renner zwischen Rathaus und Parlament auf einem Rasenstück – das ist schon etwas anderes! Oder das Standbild des Bundeskanzlers Dr. Leopold Figl beim Bundeskanzleramt! Zwei Politiker, die nach dem Zusammenbruch 1945 den Aufbruch wagten und Geschichte schrieben. Hinter diesen Ehrungen verbirgt sich ein gesundes Nationalgefühl, das in Deutschland fehlt. Wir verstecken unsere Nachkriegspolitiker, die unser Staatswesen geprägt haben. Willy Brandts eindrucksvolle Skulptur wird in die SPD-Zentrale verwiesen, Konrad Adenauer darf im Bundeskanzleramt repräsentieren. Sind Sie Gustav Heinemann auf einem öffentlichen Platz begegnet? Oder Hermann Ehlers?
 
Totengedenken – ich fuhr nach Heiligenstadt, um den engeren Lebensraum von Ludwig van Beethoven kennenzulernen. Rührend diese geduckten Häuschen, schlicht, aber anheimelnd! Dann in der Armbrustergasse eine Büste dicht an einem Seniorenheim! Ich mußte näher herantreten, um das Gesicht betrachten zu können. Eine gefurchte Stirn unter krausem Haar – das ist nicht Beethoven! Am Sockel die Schrift: „Dr. Bruno Kreisky.“ Ein Politiker von Format, Sozialdemokrat, mehrfacher Bundeskanzler, international renommiert – und nun hier „im trauten Winkel“, einer fast ländlichen Idylle sein Portrait! Erinnerung und Respekt, ein schönes Beispiel für Totengedenken. Auch das ist Wien, und auch das macht es mir sympathisch, gar liebenswert.
 

 © 2013 Joachim Klinger