Demütigung und Provokation

85 Jahre Siegesdenkmal in Bozen

von Jürgen Koller

Demütigung und Provokation
85 Jahre Siegesdenkmal in Bozen
 
Nach unserem bundesdeutschen Demokratieverständnis wäre es eine völlig absurde Vorstellung, daß der Staat mit öffentlichen Geldern ein noch von Hitler errichtetes Siegesdenkmal konservatorisch unterhalten würde - anders jenseits der Alpen im EU-Mitgliedsland Italien in der autonomen Provinz Südtirol. Italiens Diktator Mussolini hatte bereits im Jahre 1926 im römischen Parlament davon gesprochen, daß Bozen ein großes Siegesdenkmal erhalten würde. Ein Denkmal, das die Faschisten genau an der Stelle erbauen wollten, wo bereits 1917 mit einem Ehrenmal für die gefallenen Kaiserjäger Österreichs begonnen worden war. Es sollten die Österreicher mit diesem Siegesdenkmal als Kriegsverlierer genauso gedemütigt werden wie die Südtiroler Deutschen, die seit Kriegsende unter italienischer Herrschaft leben mußten. Und so tönte es schon bei der Grundsteinlegung, daß dieses Denkmal Ausdruck der 2000jährigen Kulturgeschichte Italiens und als „Symbol des unerschütterlichen Willens Italiens zu verstehen sei, sich innerhalb seiner eroberten unverletzlichen Grenzen zu behaupten“. Nur zu verständlich, daß die Wiener „Reichspost“ darauf erwiderte, daß dieses politische Denkmal ein Zeichen des Hasses über Millionen Gräber hinweg sei. Der Protest der Südtiroler Deutschen von Bozen verhallte ungehört.
 
Am 12. Juli 1928 fand mit großem Pomp die Einweihung des Denkmals statt. Der Grundtenor der Reden verwies auf den „großen Sieg Italiens über Österreich“ und daß „mit diesem Sieg das 'Alto Adige' ('Ober Etsch') zu Italien zurückgekehrt (sei), wohin es immer schon gehörte“. Das Denkmal an der westlichen Seite der Talferbrücke über die Etsch erweckt den Eindruck eines römischen Tempels mit vierzehn Säulen, die in Form der faschistischen Rutenbündel gestaltet sind. Aus den Säulen ragen militant scharf geschnittene Beile, Symbole faschistischer Aggressivität. Im rechteckigen Überbau ist als Hochrelief eine Siegesgöttin eingefügt, die einen Pfeil nach Norden gen Österreich schießt. Darunter findet sich in Latein die Inschrift: “Hic Patriae fines siste signa. Hinc ceteros excoluimus lingua legibus artibus.“ Zu deutsch: Hier sind die Grenzen des Vaterlandes. Von hier aus haben wir den anderen die Sprache, die Gesetze und die Künste vermittelt.
Diese Nachhilfe in Sachen Sprache, Recht und Kultur war eine gewollte Provokation des Duce und seiner faschistischen Schwarzhemden, um die Südtiroler Deutschen zu demütigen und ihnen ihre kulturelle Minderwertigkeit zu verdeutlichen. Was 1928 in Stein gehauen jedem Bozener und Südtiroler ständig vor Augen gehalten wurde, geht bis zur Pariser Friedenskonferenz des Jahres 1919 zurück. Damals begann der Leidensweg der Südtiroler Deutschen - Südtirol wurde Italien zugesprochen. Es wurde keine Volksabstimmung zugelassen, es gab keinen Minderheitenschutz für die Südtiroler Deutschen und für Südtirol keinen Autonomiestatus. Haupteinpeitscher dieser antideutschen Festlegungen war der später von Mussolini zum Senator auf Lebenszeit ernannte Ettore Tolomei. Dessen Motto lautete: „Wir wollen dieses Land italienisch machen, um jeden Preis, koste es, was es wolle.“ Sein 32-Punkte-Programm enthielt solche Positionen wie Auslöschung des Wortes „Tirol“ - statt „Südtirol“ hieß es „Alto Adige“ (Ober Etsch), der Name des „Stamm-Schlosses Tirol“ wurde eliminiert, die Zweisprachigkeit der Straßenschilder wurde verboten, das Italienische wurde einzige Amtssprache, mit der „Lex Gentile“ wurde der Todesstoß gegen die deutsche Schule verfügt - ab 1923 wurde der Unterricht nur noch in italienischer Sprache gehalten. Deutsche Lehrer wurden pensioniert oder in den Süden geschickt. Nur der Religionsunterricht durfte noch auf Deutsch gehalten werden, da sich der Vatikan dagegen verwahrt hatte, daß sich die faschistische Regierung in Religionsfragen einmischte. Mussolini, auf ein gutes Verhältnis zum Vatikan bedacht, revidierte in diesem einzigen Fall seine Festlegungen. Durch diese Unterdrückungsmaßnahmen gegen die deutsche Sprache kam es zu privaten deutschen Geheimschulen – die dort unterrichtenden Lehrer waren sehr gefährdet, wurden sie von der Polizei ertappt, folgten hohe Geldstrafen, Gefängnis oder Verbannung. Auch die deutschsprachigen Zeitungen und Verlage in Südtirol wurden verboten oder italienisiert. Besonders diskriminierend fanden die Südtiroler das Gesetz zur Italienisierung der alten deutschen Familiennamen – so wurde aus „Gruber“ - „Dalla Fossa“, oder es wurde nur ein Suffix angehängt - „Fink“ wurde zu „Finco“. Der faschistischen Attacke gegen den Südtiroler Bauernstand war kein Erfolg beschieden. Mussolini hatte das uralte „Tiroler Höferecht“ annulliert. Dies untersagte die Teilung vollbäuerlicher Betriebe im Erbgang, um eine wirtschaftliche Hofgröße zu erhalten. Die Faschisten scheiterten mit diesem „divide et impera“ genauso wie mit ihrer gesamtem Assimilierungspolitik. In den 30er Jahren setzte Mussolini auf Majorisierung, indem er ab 1935 eine gigantische Industriezone bei Bozen mit den entsprechenden Wohnbauten errichten ließ. Die dazu benötigten Arbeitskräfte wurden aus Süditalien und Sizilien angeworben. Über 300 ha Bauernland wurden enteignet – 50.000 Obstbäume geschlagen. Die Bauern erhielten erst Jahre später eine geringe Entschädigung. Bis zum Jahre 1943 wurden zwanzig große Unternehmen angesiedelt. Aber das Ziel, Bozen zu einer Stadt mit 100.000 Einwohnern zu machen, wurde erst 1967 erreicht.
 

Foto © Margot Koller

Nach der Eingliederung Österreichs in das „Großdeutsche Reich“ war 1938 die Reichsgrenze am Brenner. Hitler und Mussolini handelten bezüglich der Südtiroler ein Umsiedlungsprogramm aus, das sog. „Optionsabkommen“. Ab 1939 konnten sich die Südtiroler entscheiden - Verbleib in der Heimat oder Auswanderung ins Reich. Das spaltete die bis dato geschlossen agierende Südtiroler Volksgruppe in zwei feindlich gesinnte Lager: Optanten und Dableiber. Über 80% sprachen sich für Auswanderung aus. Bis zum 30. 6. 1942 sind 75.000 Südtiroler = 30% der Bevölkerung, in eine ungewisse Zukunft nach Deutschland ausgewandert. Ursprünglich sollten nach Hitlers Plänen auf der Krim für die Südtiroler neue Siedlungsgebiete ausgewiesen werden. Mit der sich verschlechternden Kriegslage für Deutschland und des sich langsam abzeichnenden Endes des Mussolini-Regimes verebbte der Strom der Ausreisewilligen, und diese widersinnige Aktion wurde eingestellt.
Auch das Ende der faschistischen Diktatur in Italien 1945 brachte den Südtirolern noch lange keine Selbstverwaltung, obwohl die UNO, später auch die EWG diesbezügliche Festlegungen getroffen hatte. Allerdings wurde die deutsche Sprache wieder zugelassen und Aussiedler konnten nach Südtirol zurück. Es folgten Jahrzehnte des politischen Kampfes der Südtiroler um ihre Rechte, die in den 60er Jahren auch mit nationalistisch-terroristischen Mitteln ausgefochten wurden (Attentate gegen Strommasten bis hin zu Todesopfern). Erst 1972 wurde in Rom ein „Paket“, das die Selbstverwaltung der Provinz Südtirol und alle Persönlichkeitsrechte der deutschen Minderheit sicherte, geschnürt. Aber es sollte bis ins Jahr 1992 dauern, bis dieses Paket in allen Positionen realisiert wurde. Heute gilt der Autonomiestatus von Südtirol in der EU als vorbildlich und etliche ethnische Minderheiten, so die Basken und Katalanen in Spanien, die um Selbstverwaltung kämpfen, beziehen sich auf Südtirol.


Foto © Margot Koller
 
Das alles erklärt aber nicht, warum der italienische Staat das Siegesdenkmal in Bozen, das die Südtiroler so diffamiert, heute noch immer unter seine Fittiche nimmt. Zum 85. Jahrestag demonstrierte eine Gruppe der „Süd-Tiroler Freiheit“ vor dem Denkmal und erinnerte an 85 Jahre Unrecht und verwies mit Plakaten darauf, daß für das faschistische Denkmal immer Geld da wäre, zur gleichen Zeit aber wichtige Kulturstätten, wie Pompei, verfallen würden.
Wird dieses Bozener Denkmal als Teil der großen italienischen Geschichte verstanden, die eben auch solche altfaschistische Reliquien aushalten muß oder ist es doch ein 2000-jähriges Kultur-Sendungsbewußtsein gegenüber den nichtromanischen Völkern nördlich der Alpen?
 
In dem Buch „Der Faschismus in Südtirol /Gegen die Avantgarde des Vergessens“ von Alfons Gruber, Verlagsanstalt Athesia, Bozen, ISBN88-7014-846-7, wird die Demütigung der Südtiroler nach 1918 detailliert und informativ dargestellt. Bei Jahreszahlen u.ä.m. für obigen Text wurde auf das Buch zurückgegriffen.
Weitere Informationen: www.athesiabuch.de  -  www.athesiabuch.it