Alle Geräte lassen nach

von Hanns Dieter Hüsch
Alle Geräte lassen nach
 
Ich muß mich jetzt mal sofort beschweren, nicht bei Ihnen - nein. Ich muß nur so einiges abhaken, so einiges, was mir aufgefallen ist. Also, meine Frau sagt auch immer zu mir, ich wäre ein richtiger Defaitist, sagt sie in letzter Zeit immer, das heißt also, praktisch, wie soll ich das sagen, ich weiß nicht, Was das heißt. Ich bin nicht so polyglott wie ich aussehe. Ja wirklich, ich weiß auch gar nicht, wo das liegt. Soll ja `ne kleine Insel in der Karibik sein, Polyglott. Wunderhübsch anzuschauen, wunderhübsch. Ein Wochenende 998,- Mark hin und zurück. Mit Crashair! Jedenfalls, ja ich wäre ein richtiger, das kommt Wahrscheinlich aus dem Lateinischen, defendere, oder aus dem Arabischen, Effendi, ich wäre ein Defaitist, weil ich immer sage, daß alle Geräte in unserem Lande nachgelassen haben. Nur mal ein winziges, banales Beispiel, damit fängt es ja immer an, und man will es nicht wahrhaben. Ich weiß nicht,  ob das vor Ihrer gymnastischen Übung oder danach geschieht. Also morgens, wenn Sie die Dusche betreten, die Mischbatterie zum Beispiel. Ganz abgesehen davon, daß es ja davon 100 verschiedene Ausführungen gibt. Zum Beispiel, die mit dem Hebel. Nach links ist heiß -nach rechts ist kalt, kennen Sie ja. Da müssen Sie doch, wenn Sie ehrlich sind, jeden Morgen Millimeterarbeit leisten, jeden Morgen, wenn Sie ehrlich sind. Und die meisten gehen auch nur ruckartig, schon hat man sich die linke Schulter verbrannt, während die rechte noch in der Arktis liegt. Nein, da lobe ich mir doch den alten deutschen Kran oder Hahn. Kräne und Hähne, könnte ein Stück von O´Casey sein. Der betrunkene Hahn auf dem Marktplatz von Dublin oder so ähnlich. Die meisten Duschen haben jetzt so `n Griff, nicht - wie ein Knüppel im Flugzeug - wie sagt man –so´n Joystick, sagt man, glaube ich. Also in dem Falle ein James Joystick - könnte man sagen. Wir machen ja literarisches Kabarett, hahaha. Nein, das müssen Sie alles vorher regelrecht üben, langsam nach vorne ziehen, langsam nach links, dann noch ein bißchen nach vorn, da müssen Sie schon ein feines Händchen für haben. Manchmal kann man auch mit einem Zeiger vorher schon die Temperatur einstellen. Das sieht aus wie beim Roulette, Rouge et Noir -  nichts geht mehr, nicht wahr. In so `ne Dusche gehe ich meistens gar nicht rein, das hat für mich, nein, da wasch ich mich lieber konservativ, das hat keinen Sinn für mich. Und die Duschen, wo die Brause fest eingemauert ist, also da gibt´s ja das weltberühmte Gedicht, fest eingemauert in der Dusche, ist die Brause ganz aus Dings, das ist nicht der Erlkönig, es ist auch lang - aber nicht der Erlkönig. Sonst ist es ja meistens der Erlkönig. Da kriegen mich ja keine zehn Pferde rein, wo in eine normale Dusche sowieso nur ein halbes Pferd reingeht. Also Duschen, wo die Brause fest eingemauert ist, in so alten Hotels hat man das, da kann man sich dran aufhängen, und auch nur so´n Joystick haben, die verachte ich über alle Maßen. Nein, nein, ich möchte so `ne alte Dusche mit zwei Hähnen oder Kränen, wo ich alles ganz fein und sensibel mischen kann. Aber die meisten Mischbatterien sind ja ausgeleiert - wie ich schon sagte, so daß wirklich nur kochend heißes oder eisig kaltes Wasser rauskommt. Ich meine, für zu dickes Blut soll das ja sehr gut sein, für zu dickes Blut. So `ne Dusche, sage ich immer, erspart Bad Wörishofen im Wohnzimmer. Aber auf die Dauer kann ich dafür meinen guten deutschen Namen nicht hergeben, nein, nein. Es hat alles überall nachgelassen. Bei der Deutschen Bahn AG, sehen Sie mal, bei der Deutschen Bahn AG,  da habe ich schon öfters drüber geklagt, aber ich fahre ja auch ganz gern damit, ich bin ja abhängig, aber da gibt es ganz einfach zu wenig Schalter, es gibt zu wenig Schalter. In Köln gibt es, glaube ich, zwölf Schalter, nur drei sind auf, höchstens -höchstens! Die meisten sind immer geschlossen, oder es wird ausgebildet. Wenn ich komme, wird immer ausgebildet. Ja, das haben die sich schon ausgedacht, Achtung, da kommt der, rasch ausbilden. Oder die Schalter sind vorübergehend nicht besetzt. Was sieht man -Schlangen! Überall Schlangen - durchs ganze Reisezentrum. Ist ja auch so´n Wahnsinnswort -Reisezentrum! Bis in die Bahnhofshalle. Von fliegendem Wechsel in Stoßzeiten haben die bei der Deutschen Bahn AG noch nie etwas gehört. Bei der Post doch ganz genauso. Viel zu wenig Telefonzellen, viel zu wenig Schalter. Und von den viel zu wenig sind die meisten geschlossen. Was ist das Ergebnis - ebenfalls Schlangen! Abends um sechs, da können Sie hingehen, wo Sie wollen. Alle Telefonzellen sind besetzt, und wenn Sie mal `ne freie finden -ist sie kaputt, nicht wahr. Oder bis oben hin mit Geldstücken verstopft. Völlig außer Betrieb, da hängt dann immer so´n unbeholfenes Schild dran: „Außer Betrieb - es könnte ein Leben retten“, weil irgend ein Vandale mit dem Telefon Randale gemacht hat, so ist es doch. Es  haben in unserem Lande - wie ich schon sagte, nicht nur die Geräte, sondern auch die Menschen nachgelassen.
Das ist jammerschade. Wo wir doch so eine führende blühende Industrienation sind, das lese ich doch jeden zweiten Tag in der Zeitung. Wir seien eine führende, blühende Industrienation, das klingt ja wie das singende, springende Löweneckerchen. Und das ist ja auch ein Märchen.


© Jürgen Pankarz
 
 
© Chris Rasche-Hüsch
Veröffentlichung aus "Meine Geschichten" in den Musenblättern mit freundlicher Genehmigung
Die Zeichnungen stellte freundlicherweise Jürgen Pankarz zur Verfügung.