Der Zeichner als Erzähler (10)

“Fred und die Bücherkiste” von Ole Könnecke

von Joachim Klinger

© Carsen Verlag
Der Zeichner als Erzähler
 
Bildbücher, die ich nicht missen möchte (10)
 
von Joachim Klinger


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“Fred und die Bücherkiste” von Ole Könnecke
(Ravensburger Buchverlag – Taschenbuch 1999 / Carlsen Verlg 2002)
 
Die gezeichneten Gestalten in Ole Könneckes Bildbüchern scheinen amerikanischen Comics des frühen 20. Jahrhunderts entlehnt zu sein. Es sieht ganz so aus, als seien sie Verwandte des Matrosen Popeye und der Katzenjammer Kids. Schlaksige Slapstick-Figuren mit langen schlenkernden Armen, runde Gesichter mit Knollennasen und Knopfaugen. Aber durchaus Charaktere, wenn man sich die pfiffige kleine Lola, ihren bärtigen Großvater oder Piraten-Kapitän von Schultz mit der Brille auf der Hakennase ansieht (vgl. “Lola und die Piraten”, “Lola und das Gespenst” – beide als Rotfuchs-Taschenbücher bei Rowohlt erschienen, 2000 und 1999, "Anton kann zaubern", "Elvis und der Mann mit dem roten Mantel" u.v.a.m. in Carlsen Verlag).
Mehr als in Comics wird den Gestalten allerdings Raum gegeben. Hintergrund und “Schauplätze” sind mit wenigen Strichen und doch sorgfältig gezeichnet. Die Bilder sind leicht getönt – zartblau, zartviolett – und gewinnen dadurch an Lebendigkeit.
 
Aus einem Verlagstext erfahren wir, daß Ole Könnecke 1961 in Göttigen geboren wurde und in Schweden aufwuchs. Er ist also relativ jung, und vielleicht gibt ihm das die Unbefangenheit, auf “alte” (aber auch zeitlose) Comics zurückzugreifen.
Und eine weitere Information ist wichtig. Er hat Germanistik studiert. Das erklärt sein Verhältnis zur Sprache und steht gewiß im Zusammenhang mit seiner “Lust zu fabulieren”. Könneckes Geschichten sind gut geschrieben und zeugen von Phantasie. Sein Humor umspannt beides: Zeichnung und Erzählung. Sein Talent als Zeichner und seine Begabung für das Schreiben schaffen eine einheitliche Ausdrucksform, die sich bereits in einer Reihe von Büchern manifestiert hat. Es sind Kinderbücher, die auch viele Erwachsene gern zur Hand nehmen werden, um noch einmal in Träume und Erinnerungen der Kindheit und Jugend einzutauchen.
 
“Fred und die Bücherkiste” gefällt mir am besten, und dafür gibt es mehrere Gründe.
Das Buch hat eine klare Struktur: auf der linken Seite jeweils ein kurzer Text, auf der rechten Seite das dazugehörige Bild.
Die Bilder sind einfach gehalten. Die Handlung vollzieht sich meist vor einem schwarzen Hintergrund. Das erzeugt die Wirkung eines guten Plakates.
Worum geht es? Fred, ein etwa zehnjähriger Junge, findet auf dem Dachboden “eine Kiste mit alten Büchern”, die er sich sofort vornimmt,
 
            “weil es noch zu früh zum Schlafen war”.
 
Wenn man diese Idee zum Ausgangspunkt für eine Erzählung in Buchform nehmen will, dann muß man sich etwas einfallen lassen. Auch ein bebilderter Bericht über jedes einzelne Buch müßte auf Dauer langweilig werden.
 
Ole Könnecke läßt sich etwas einfallen! Zwar hält er sich an die Reihenfolge der ausgewählten Bücher. Aber was in den Büchern passiert, erfaßt auch Fred. Beispielsweise der Sturm, der alles im Buch mit sich fortträgt oder die Reise eines “furchtlosen Polarforschers” oder die Gefangennahme durch Piraten und anschließend durch “furchtbare Ungeheuer”.
 
Das erzeugt Lebendigkeit, aber die eigentliche Spannung erreicht Ole Könnecke mit einem genialen Trick. Er führt nämlich einen mageren, ausgehungerten weißen Bären ein (keinen Eisbären, der anders gebaut ist!), der Fred zu gern gefressen hätte, aber niemals zum Zuge kommt. Ja, er scheitert auf klägliche Art und Weise. Die besondere Komik besteht darin, daß Fred ihn gar nicht wahrnimmt und ihm unabsichtlich ständig Schaden zufügt.


© Ole Könnecke

Es beginnt mit dem ersten Buch. Bär hat sich erwartungsvoll grinsend ein Lätzchen umgebunden, da schleudert Fred das Buch ärgerlich über die Schulter und trifft Bär an der Stirn – die erste Beule! Im Sturm landet Bär auf einer Eisklippe, Fred fällt ihm auf den Bauch, und die Bücherkiste stürzt ihm auf den Kopf – die zweite Beule! Den lamentierenden Bären hört niemand, und im Text wird auch kein Wort über ihn verloren. Ein trauriger Depp, immer der Verlierer, steht er am Rand und ist doch eine Hauptperson.
 
Zum Schluß, nach den Abenteuern wieder daheim, schleicht sich Bär heran, ergreift die Bücherkiste und entfernt sich auf leisen Sohlen. Dann noch ein letztes Bild: Das leere Zimmer. Vorhang! Eine glänzende Inszenierung!
 

Redaktion der Serie: Frank Becker