Der Zeichner als Erzähler (8)

“Stachelblüten” - Heitere Federspiele - von Wolfgang Felten

von Joachim Klinger

© 1955 Braun & Schneider

Der Zeichner als Erzähler
 
Bildbücher, die ich nicht missen möchte (8)
 
von Joachim Klinger


VIII
 
“Stachelblüten” - Heitere Federspiele - von Wolfgang Felten
 (Braun und Schneider, München, 1955)
 
Wolfgang Felten wird im Karikaturisten-Lexikon von Kurt Flemig nicht aufgeführt. Das mag damit zusammenhängen, daß er meines Wissens nicht berufsmäßig als Karikaturist für Zeitungen und Zeitschriften tätig geworden ist. Ich machte Bekanntschaft mit Zeichnungen von ihm in den 50er und 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts und hatte meine Freude an seinen Werken. Er illustrierte Kinderbücher, Schulbücher, Sachbücher.
Sein klarer, sparsamer Strich erinnerte mich an Richard Seewald (1889 – 1976), der allerdings seinen Bekanntheitsgrad mehr der Arbeit als Maler und Autor (z.B. “Glanz des Mittelmeeres”) verdankt als seinem beachtlichen grafischen Werk. Hinzu kam bei Felten eine graziöse Leichtigkeit der Darstellung, die sich mit Humor und erkennbarer Freude am Komischen paarte.
 
Der Untertitel meines Lieblingsbuches “Heitere Federspiele” drückt treffend aus, was Feltens Stil prägt: Heiterkeit und Spiel.
Natürlich denkt man – und das gereicht dem Künstler zur Ehre! – an Wilhelm Busch, an seine zeichnerische Brillanz und die zupackende Art bei “Beschreibungen” von Personen und Situationen. Der “Alte aus Wiedensahl” hätte gewiß beifällig geschmunzelt und Felten auf die Schulter geklopft.
Es ist kaum ein Zufall, daß ein Kinderbuch mit farbigen Illustrationen von Wolfgang Felten 1950 im Verlag Braun & Schneider, München – dem “W. Busch-Verlag”! – erschien. Es handelte sich um “Schnipsel, der Elefantenfänger von Afrika”, der in der “Reihe B” als Nummer 1 veröffentlicht wurde. Verfasser ist ein “Julius Faselhans”, ersichtlich ein Pseudonym. Die Geschichte hält sich im Rahmen zeitgenössischer Märchenliteratur, aber die aquarellierten Zeichnungen Feltens sind köstlich.
Man mag sagen, daß dem Stil Feltens etwas Traditionelles anhafte – in der Nachfolge von Ludwig Richter und Wilhelm Busch -, ja, daß er eine Vorliebe für altmodische Sichtweisen habe – wie auch Maurice Sendak! -, aber das schmälert seine künstlerische Leistung nicht. Denn er ist ein Meister der “Griffelkunst” (Ausdruck von Max Klinger).
 
Der “Kleine Freudenbringer”, ein schmaler und preiswerter Kalender, der mich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts viele Jahre begleitet hat und der sich in schönster Weise der bildenden Kunst und hier in Sonderheit der zeitgenössischen Grafik verpflichtet fühlte, lieferte mit wunderbaren Blättern des Künstlers Wolfgang Felten (in Postkartengröße) immer neue Belege seiner reichen Begabung, seiner Vielfalt im Ausdruck, seiner Wandlungsfähigkeit in der Erfassung kleinster Szenen, seines liebevollen Umgangs mit Alt und Jung, mit lebenden Geschöpfen und Phantasiegestalten. In seinen besten Werken erreichte er die großartige Einfachheit, die uns Bewunderung abnötigt.
 
Leider weiß ich über Feltens Leben nichts. Als ich mich vor Jahren bei einem Buchhändler erkundigte, warum nichts mehr von ihm veröffentlicht werde, wurde mir gesagt, er sei vor einiger Zeit verstorben, wohl “im besten Mannesalter”.
Umso kostbarer ist mir der kleine Band “Stachelblüten”, ein Werk, auch bei Braun & Schneider in München erschienen, das des großen Humoristen Wilhelm Busch würdig ist. Die locker hingestrichenen Zeichnungen werden nämlich begleitet von kongenialen Versen, die Wolfgang Felten als heiteren Poeten ausweisen.
Sieben Episoden vermitteln ungetrübten Spaß. Ja, es ist wahr, was am Ende der ersten Episode versprochen wird:
 
            “Hier kann jeder zu seinem Vergnügen
             einmal über den Alltag fliegen,
             um am Schlusse dann fröhlich zu sagen:
             Dieses machte mir wirklich Behagen!”
 
Protagonist des Büchleins ist immer ein rundlicher, freundlicher Igel. Einmal erweist er sich als liebevoller Vater und strenger Erzieher, der den unausstehlich quengelnden Sohn an die Rinde eines Baumes “pappt” und eine positive Wirkung erzielt. Der Kleine bittet demütig um Vergebung und Befreiung aus der mißlichen Lage:
 
            “Schon zeigt dem Blick des Pädagogen
            ein Musterkind sich, wohlerzogen.
            Und das ist des Erfolges Krönung:
            Der Kleine bittet um Versöhnung!
            Gepriesen sei und auch beneidet,
             wer früh lernt, wie man sich bescheidet.”
 
Dann: Zwietracht zwischen Maus und Igel, weil man sich den Besitz an einem Luftballon teilen muß; listiger Fischfang; Versuche des Igels vor dem Spiegel der Maus, aus seinen Stacheln eine neue

Wolfgang Felten © J. Klinger
Frisur zu kreieren.
Die Schlußsequenz gibt Felten Gelegenheit, in Versen und Bildern sein ganzes Können zu zeigen und auszuschöpfen. Der Igel möchte eine Weinflasche öffnen und verfügt leider nicht über einen Korkenzieher oder andere brauchbare Instrumente. In herrlichen Kapriolen gelingt es schließlich mit Raffinesse, daß die “Fülle fließt” und dem Igel den ersehnten Genuß beschert.
 
Wolfgang Felten war ein Großer unter den hochbegabten Zeichnern des 20. Jahrhunderts. Ich denke dabei beispielsweise auch an zwei Frauen, die zur selben Zeit viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen haben: Hanna Nagel (1907 – 1975) und Bele Bachem (1916 – 2005).
 
 

Lesen Sie morgen an dieser Stelle Teil 9 (von insgesamt 10) der neuen Serie von Joachim Klinger