Kontemplation in schwarz/weiß

Stuart Franklin - „Narcissus“

von Frank Becker

Kontemplation in schwarz/weiß
 
Stuart Franklins Natur-Fotos
läuten eine neue Phase
seiner Weltsicht ein.
 
Stuart Franklin (*1956) wurde berühmt, als er heute vor 24 Jahren, am 4. Juni 1989 als einer von wenigen internationalen Fotojournalisten den „Tank Man“ fotografierte, einen namenlosen chinesischen Bürger, der sich unbewaffnet, mit zwei Einkaufstüten in der Hand, am Pekinger Tien An Men Platz einer Panzerkolonne entgegenstellte, die auffuhr, um den Volksaufstand blutig niederzuschlagen. Ein Foto, das ebenso Geschichte schrieb wie das Foto, das Peter Leibing am 15. August 1961 schoß, als der DDR-Grenzsoldat Conrad Schumann den Stacheldraht von Ost- nach Westberlin übersprang.
 
Seither hat der für die weltweit angesehene Agentur Magnum arbeitende englische Fotograf die Welt von Weißrußland bis Peru, von China bis Ecuador, von Italien bis Niger und Mali  bereist und die denkbar unterschiedlichsten Sujets zum Thema seiner Reportagen und Bücher gemacht. Der Verlag Hatje Cantz kann jetzt in seinem jüngsten, brillanten Fotoband die  Impressionen Franklins präsentieren, die er zwischen 2009 und 2013 in den

© Stuart Franklin - Water and Bread
abgelegenen Regionen von Møre und Romsdal und auf der Insel Otrøya in Norwegen eingefangen hat. Es sind Bilder der völligen Ruhe, die nicht zuletzt durch die Wahl des konturenreichen, die Aufmerksamkeit fordernden Schwarz/Weiß ihre Wirkung entfalten. Auf Otrøya hatte sich Franklin eine Hütte gekauft und zweieinhalb Jahre lang über größere Zeitspannen die Natur und sich als Marginalie in ihr beobachtet. Die stillen Fotografien, die er als Ergebnis dessen vorlegt, wecken Erinnerungen an die Naturstudien von Ansel Adams und das Spätwerk von Albert Renger-Patzsch.
 
Das Faszinierende sind, wenn auch gerne hervorgehoben, weniger die Landschafts-Spiegelungen in einem klaren winterlichen See – die finde ich eher bedrückend, ja ängstigend. Viel spannender ist die Reduzierung des Blicks auf das scheinbar Unwesentliche, wie eben bei Adams und Renger-Patzsch. Ob es eine Regenstimmung „Rain on Water“ (S. 11), das „Pine-like Monster“ eines verdorrten Baumes (S. 36), „Willow under Snowfall“ (S. 49), ein mit Schneeresten bedeckter Plankenweg (S. 57) oder ein (inszeniertes) Stilleben „Water and Bread“ (S. 65) ist, Franklin hat dort den richtigen „Augen“-Blick gefunden. Vieles andere allerdings ist eher beliebig, von anderen Fotografen schon besser gemacht worden und kann dem Vergleich kaum standhalten. „Narcissus“ ist ein sehr persönliches Buch Stuart Franklins, das vielleicht am ehesten verständlich ist, wenn man es als eine Art Selbsttherapie eines durch die Welt Gehetzten begreift. Er hat wohl damit begonnen, die Welt anders als zuvor zu sehen.






© Stuart Franklin - Willow under Snowfall

 
Stuart Franklin – „Narcissus“
© 2013 Verlag Hatje Cantz / Stuart Franklin, hrsg. Magnum Photos / Stuart Franklin, Gestaltung von Hannes Aechter, Nachwort und Erläuterungen von Stuart Franklin - 152 Seiten, gebunden, 90 s/w-Abb., 24,80 x 29,70 cm Englisch - ISBN 978-3-7757-3554-4
39,80 €
 
Weitere Informationen unter: www.hatjecantz.com  und  www.stuartfranklin.com