Sommer

von Hanns Dieter Hüsch

    © Jürgen Pankarz
Sommer
 
Im Sommer lagen wir Kinder ja meistens von morgens bis abends inne Badeanstalt rum, und mein Vater hat dann immer gesagt, weiß ich noch ganz genau, also, Kinder, paßt schön auf wenn ihr da so rumtollt, denn zehn Diakonissen töten schon ein Pferd, hat er immer gesagt, viel Spaß. Aber paßt en bißken auf da genügen vielleicht für den Menschen schon zwei bis drei Diakonissen, hat mein Vater immer gesagt, obwohl ich ja ehrlich sagen muß, ich weiß bis heute nicht den genauen Unterschied zwischen Bienen, Wespen, Hummeln und Diakonissen. Die einen stechen und sterben nicht, die anderen sterben und haben noch nie gestochen. Einige haben ein Taille, andere wieder nicht, also ich weiß es auch nicht genau, wie dat alles in der Natur zugeht. Aber die Natur ist im Sommer am Niederrhein wunderbar, und dat kommt genau daher, weil da nix los ist und doch alles los ist. Man muß nur richtig hingucken, sag ich immer.
Es gibt doch auch so Menschen, deren Schönheit sieht man erst, wenn man länger hinguckt, ne, dann sagt man plötzlich, Donnerwetter, das hätt ich nicht gedacht, und so ist das auch am Niederrhein.
Plötzlich spürt man die Feinheit der Landschaft, oder sagen wir mal die Schlichtheit, denn da ist ja kein wildes Gebirge und kein tiefer dunkler Wald, und es wimmelt auch nicht von stürmischen Seen. Aber es liegt Romantik in der Luft. Das flache Land hat so was Verlorenes, als wenn da vor tausend Jahren ein Prinz verschollen gegangen wär, und wenn dann im Sommer die  Sonne strahlt, dann merkt man, daß das alte Märchen noch nicht zu Ende ist, und in den kleinen Städtchen sehen dann die Straßen besonders propper aus, als würden sie auf die Rückkehr des Prinzen warten. Manchmal scheint die Sonne katholisch, dann wieder evangelisch, und die großen, schweren Bauernhöfe liegen einfach da rum, als wären sie in das Land hineingewachsen.
Ich muß sagen, ich bin ja manchmal sicher ein bißken befangen, weil es am Niederrhein einfach schön ist, obwohl also mit Erlebnis-Urlaub oder Abenteuer-Ferien is da nix. Aber wenn Sie Ihr Fahrrad mitbringen, da können Sie hier immer nur en bißken so von Wachtendonk nach Kranenburg hin- und herstrampeln, und Sie glauben nicht, wie gut das Ihrem Gemüt tut.
Ich will ja nicht stronzen (Jetzt weiß ich gar nicht, ob das mit ,,z“ oder mit ,,tz“ geschrieben wird, aber is auch egal), aber der Niederrhein ist was ganz Seltenes, also sowas kriegen Sie nicht alle Tage. Und im Sommer fahren ja viele nach Italien und Spanien und so weiter, aber die kommen alle eines Tages an den Niederrhein zurück.
Meinzeit, wat sind wir damals mit dem Fahrrad rumgerast, als müßten wir für die Tour de France üben, dabei fuhren wir nur von Moers am Averdunckschen Hof vorbei, und an der Ecke von Biefang links herum nach Bettenkamp in die Badeanstalt, Da lagen wir ja dann den ganzen Tag im Wasser, also nicht den ganzen Tag, aber fast, und Leo Pöll, der Bademeister, hatte immer ein Auge auf uns, wenn wir blaue Lippen hatten.
Und abends rasten wir dann wieder nach Haus zurück. Wer an der Diergardtstraße / Ecke Uerdingerstraße erster war, der hatte gewonnen. Im Sommer, wenn wir große Ferien hatten, war für uns der Niederrhein der Nabel der Welt, und keiner wollte jemals weg davon, weg von zu Haus. Und heut? Heut sitzen wir überall verstreut inne Welt erum, und wenn wir uns schon mal sehen, dann sagen wir: Überall ist Niederrhein!
 
Tach zusammen! 
 


© Chris Rasche-Hüsch
Veröffentlichung aus "Tach zusammen!" in den Musenblättern mit freundlicher Genehmigung
Die Zeichnung stellte freundlicherweise Jürgen Pankarz zur Verfügung.