Abende von Berlin – Apulien an der Spree

Ein Hauptstadtfeuilleton

von Jörg Aufenanger

Jörg Aufenanger - Foto © Frank Becker
Abende von Berlin –
Apulien an der Spree
 
An den Spittelmarkt zieht es keinen Berliner, erst recht nicht den, der von Charlottenburg oder vom Prenzlauer Berg kommt. Da wo einst die uralte Mitte von Berlin war, liegt heutzutage ein Non-Lieu. Finis terrae aber hoch bebaut und doch kein Land ist in Sicht. Dorthin aber hat uns Apulien verschickt, denn es ist ITB Zeit. Internationale Tourismusbörse. Im Märzen der Touristiker sich spannt an, für sein Land, seine Region, sein Unternehmen zu werben, koste es was es wolle. So auch das wunderschöne Land Apulien, an der Ferse des italienischen Stiefels liegend. Trotz Wirtschaftskrise und Sedisvakanz in der Politik hat man keine Mühe und Kosten gescheut und an den Spittelmarkt eingeladen in das neuerbaute Cosmohotel. Der Kontrast zwischen diesem unwirtlichen Ort und einer der schönsten Kulturlandschaften Europas könnte größer nicht sein.
 
Um zum „Cosmo“ zu gelangen, hat man, kaum die U-Bahn verlassen habend, erst einmal die lebensbedrohende Aufgabe, eine sechsspurige Strasse heil zu überqueren, steht dann diesem Kolosshotel gegenüber, das sich vor einem aufbäumt. Man tritt ein, wird freundlich empfangen, einen schönen Abend berlinert die charmante Garderobiere (das können junge Berlinerinnen inzwischen durchaus), ja sie lächelt. Man betritt einen schwach erleuchteten rechteckigen Raum, eine Art Souterrain mit einer Empore, wo schon ein Buffet zu warten scheint, dahinter liegt die einsichtbare Küchenzeile.
Es gibt häßlichere Hotels im Berliner Beherbergungsbauboom, aber ein stimmungsvolles Ambiente findet man hier kaum. Und es gibt natürlich schönere Hotels. Das „Kempinski“ am Kudamm natürlich, der „Seehof“ am Lietzensee, das „Savoy“ nahe Bahnhof Zoo, oder neuerbaut das „Concorde“ an der Joachimsthaler, das „Hotel de Rome“ Unter den Linden, wo sich Apulien auch schon einmal präsentiert hat.
Heute also hier im „Cosmo“, das wohl auf einen Kosmopolitismus anspielt, den man in metropolensüchtigen Berlin versucht, herzuzaubern, der aber eigentlich - und das schon immer- nur während der Filmfestspiele und der ITB die Stadt verändert.
Wir sitzen nun in diesem souterrainanmutenden länglichen Raum, auf einer Leinwand sich stets wiederholende Bilder von Apulien: weite Landschaften, tiefblaues Meer, Castelli der Staufer, Kapellen auf einem Felsvorsprung, Dome, Paläste, kalkweiße Trulli, jene runden Behausungen der Region, farbenfrohe Felder und Gärten, lange Tafeln im Freien mit den Kostbarkeiten des Landes, Hochzeiten, und ein fahrradfahrendes Paar, das unterwegs ist zwischen den blühenden Landschaften. Wendet man den Blick von der Leinwand, ist man zurück in einer Gegenwärtigkeit, schaut durch die schalldichten Fenster unseres Souterrains, die Autos ziehen die Straße entlang, man hört sie nicht, und dadurch wirken sie unwirklich vor den Hochhäusern auf der an anderen Seite der Straße, wo die „Fischerinsel“ beginnt und zu Berliner Urzeiten wirklich Fischfang betrieben wurde. Die Hochhäuser gegenüber bilden einen steinernen Block gegen diese Insel.
 
Henselmann, der Architekt der Berliner Stalinallee, hatte sich hier vor der Wende im obersten Stock eingemietet, und nach der Wende, so hat er mir, als ich ihn mal besuchte, erzählt, wie wütend er sei, daß ausgerechnet auf dem Dach seines Hauses eine Coca-Cola Reklame angebracht wurde, die auch heute noch ihr rotes Schattenlicht auf die Sechsspurstrasse wirft.
Doch ich wende den Blick wieder, denn eine junge Frau spricht über Apulien, nicht auf italienisch, nicht auf deutsch, sondern im besten Englisch, so auch drei Männer, die ihr folgen und dieses und jenes zu einer Powerpointpräsentation erzählen. Der Worte hätte es nicht bedurft, denn die Bilder und meine Erinnerung an diesen zauberhaften Landstrich zwischen dem Gargano und Taranto sprechen für sich. Kaum sind die Reden zu Ende, passiert, was stets passiert. Das Büffet wird, bevor es offiziell eröffnet wird, gestürmt.
Dazu muß man wissen, 180 Länder sind auf der ITB präsent, nahezu ein jedes wirbt für sich. Die Einladungen sind begehrt, so werden die Stände der Messe auch umschwirrt von den Eventisten Berlins und von überall her. Ziel der Abende ist es für sie, essen und trinken zu können, ohne auch nur einen Cent oder einen Sous ausgeben zu müssen.
Sofort hat sich eine lange Schlange gebildet, Teller werden randvoll bepackt und zu den wenigen Tischen gebracht, man streitet um die Stühle, sucht noch einen Wein zu ergattern und Schweigen legt sich über den Ort, denn ein jeder ißt nun. Man hat auch die Mühe nicht gescheut, einen apulischen Koch aus Taranto mit ins kalte Berlin zu bringen, der nun zusammen mit Berliner Küchenhilfen ein Menu herzuzaubern hatte. Das ist ihm vorzüglich gelungen: Orechiette con cima di rapa, Involtini, Rana alla pescatore. Schließlich kann auch ich einen gut gefüllten Teller an den Tisch tragen und die Köstlichkeiten genießen, nur den Frosch alla pescatore traue ich mich nicht zu essen.
Danach wird noch auf italienisch, englisch oder deutsch geplaudert und nicht wenig getrunken. Und ich erfahre von einer Frau aus Lecce, die für eine Tourismusagentur arbeitet, daß diese Abende von Berlin für sie zu den Höhepunkten des Jahres gehören, auch wenn es immer so kalt sei in der Stadt. Sie sei so froh, mal aus Apulien wegzukommen. Als ich das „Cosmo“ verlasse und erneut versuche, die Strasse zu überqueren, wünsche ich mich auch weg von hier, in den Frühling von Apulien, ans tiefblaue Meer, nach Rodi di Garganico, wo ich einst unvergeßliche, ja nahezu paradiesische drei Wochen verbracht habe.
 
 
 © 2013 Jörg Aufenanger
Redaktion: Frank Becker