Der Jogger

von Erwin Grosche

Der Jogger
 
Ich traf mich jetzt mit meinem Freund, einem Jogger. Er stand vor mir und lief auf und ab. Er wollte seinen Rhythmus nicht unterbrechen und womöglich einen Muskelkater provozieren. Ich lobte ihn für seinen Fleiß. Lobte ihn, daß er selbst bei diesem Regen nicht auf seine Laufstrecke verzichten konnte. Er gestand mir, daß er nur noch jeden zweiten Tag joggte. Seine Gelenke machten das nicht mehr mit. Ich kam mir gemein vor. Ein Bote der Hölle. Der Kuchen in meiner Hand sah so verlockend aus. Ich war glücklich und mir lag ein Lied auf den Lippen. Was soll ich machen? Ich verfolge ein anderes Lebensmodel. Ich esse viel Kuchen und trinke dazu starken Kaffee. Mittags sättigt mich fettiges Fleisch und der Pudding danach kann süß sein und bunt. Ich rauche sogar. Ich rauche sogar viel, wenn ich trinke. Ich nehme bewußt in Kauf, daß ich am nächsten Tag alles bereue. Ja und? Es kommen wieder andere Tage. Am liebsten liege ich vor dem Fernseher und schlafe bei einer Sportsendung ein. Ehrlich gesagt bin ich gerne faul. Ich muß nicht hundert Jahre alt werden. Da wo ich wohne, beschäftigt man sich nur, bis man siebzig ist. Mein Ehrgeiz ist es, dick zu werden, faul zu sein und dabei zu schlafen. Das hört sich vielleicht sehr bequem an, aber warum nicht? Was ist daran so verwerflich? Natürlich komme ich auch an meine Grenzen. Essen Sie mal vier Stückchen Kuchen hintereinander. Haben Sie schon mal den halben Tag verschlafen und es dennoch geschafft, abends müde zu sein? Ich habe mich dem schönen Leben verschrieben. Ich halte das aus. Wer nicht raucht oder trinkt, den hat der Teufel mit anderen Lastern in den Klauen. Ich befürchte, daß mein sporttreibender Freund dem Teufel direkt in die Arme läuft. Er tut mir so leid. Wenn er so weitermacht, wird er in der Hölle landen und das ist dann eine Muckibude. Ich bete für ihn, denn Gott hat ein Herz für die Starken, die Schönen und die Reichen.
 
 
© Erwin Grosche 2013 für die Musenblätter