Hand aufs Herz...

Grundsätzliche Fragen - beantwortet

von Konrad Beikircher

Foto © Frank Becker
Hand aufs Herz...

Guten Morgen, liebe Leser meiner Kolumne!
 
Heute möchte ich einmal etwas über mich selbst erzählen – nicht etwa aus Eitelkeit, sondern weil mir solche Fragen wie die folgenden oft gestellt werden. In diesem Falle war das für ein Interview des „Trendbuch NRW“ 2005 der Bertelsmann Stiftung. Was ich damals geantwortet habe, vertrete ich auch heute mit voller Überzeugung. Also:
 
Wie lebt es sich als Italiener im Rheinland?
 
Jot! Weil: das Rheinland ist die einzig mediterrane Gegend in Deutschland. Das heißt: Du kannst sprechen, wie Du es zu Hause gelernt hast, kannst aber so leben, wie Du es immer schon wolltest, zu Hause aber nie gekonnt hättest (wenn Du z.B. aus Bielefeld bist, ahem!).
 
Bei welchen Gelegenheiten vermissen Sie Südtirol?
 
Wenn ich aufs Siebengebirge schaue und dann nach oben gucken möchte, wo die richtigen Berge sind, da aber nix ist, da kommt manchmal schon Heimweh auf...seufz! Und wenn ich mir den wunderbaren Grau-Vernatsch aus Bozen mitbringen muß, weil hier kein Weinhändler die Nischen-Weine aus Südtirol führt...seufz! Und wenn ich mal Leberknödel essen möchte, oder ein Gröstl, ein paar Speckknödel oder, noch besser, Fastenknödel, ein schönes Faschiertes oder endlich einmal Karfiol mit Bröseln, Marillenknödel oder Maistrauben mit Rahm und Zimt oder einen Apfelstrudel oder einen Topfenstrudel der mit echtem Tschottn gemacht ist oder...ich glaub, ich hör jetzt lieber auf, sonst muß ich gleich was essen!
 
Sie wurden mal als der Erfinder des Rheinlands bezeichnet. Wie ist er denn so, der Rheinländer an sich?
 
Ah, hat das aber gut geschmeckt! Zum Glück hatte ich noch was Apfelstrudel vom Pitscheider in Bruneck tiefgefroren da, der macht ihn nämlich nicht nur mit Rosinen und Zimt sondern obendrein mit pignoli – Pinienkernen, was dem Ganzen erst den richtigen Pfiff gibt – abgesehen vom hauchdünnen Teig. So, wie war noch gleich die Frage? Ah ja, der Rheinländer als solcher und amfürsich. Politisch gesehen: unregierbar, zum Glück. Das hat schon der Römer erfahren müssen, dann der Preuße, dann der Adolf und dann die Landesregierung in Düsseldorf. Menschlich gesehen: unkalkulierbar, zum Glück. Wie er reagiert, ist für ihn zwar immer logisch, bzw. „normal“, für alle anderen aber nicht nachzuvollziehen. Das hängt damit zusammen, daß der Raum, der euklidische, also der Raum von ‚Raum und Zeit’ anders gekrümmt ist als woanders. Hier ist nicht die Gerade die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten, sondern die Gekrümmte (der Rhein krümmt sich deshalb so durch Düsseldorf, weil das die kürzeste Strecke ist!) und hat der rechte Winkel nicht immer 90° sondern mal 2o°, mal 190°, weil: 90° - Paßt dat immer?! Und genau so lebt er auch: fließend, in der Gegenwart, verbindlich im Gefühl, unverbindlich in Verträgen und seine stärkste Missbilligung kleidet er in die Worte: „Da hört der Spaß aber auf!“. Ich meine: ist das nicht schön?!
 
Was unterscheidet den Rheinländer von beispielsweise einem Bayern?
 
Die Präzision. Nur ein Beispiel: wenn der umständliche Bayer eine Auskunft geben will, kann das abenteuerlich werden. Das hat sich sogar im Volkslied niedergeschlagen: „Ob er aber über Oberammergau, oder aber über Unterammergau oder aber überhaupts net kimmt, dös is net gwiß“. Dagegen steht die rheinische Präzision, die sich auch im Volkslied quasi niedergeschlagen hat: „Es war in Königswinter, nicht davor und nicht dahinter!“. Ich meine: mehr muß man da wohl nicht sagen, oder?
 
Und wie unterscheidet sich ein Kölner von einem Düsseldorfer?
 
Es gibt eine Redensart im Volksmund, die besagt: „Die Düsseldorfer kaufen für Geld, das sie nicht haben, Klamotten, die sie nicht brauchen, um Leuten zu imponieren, die sie noch nicht mal kennen!“. Käme dem Kölner NIEMALS in den Sinn. Diese Frage hat übrigens Josef Kardinal Frings (der mal von einem Domschweizer so ausgerufen wurde: „Singe Sack Zement, Erz Josef Kanal Frings“ und er hat darüber gelacht) mal so beantwortet: „Die Kölschen sprechen Platt“ und er meinte damit nicht nur den sprachlichen Aspekt sondern auch die Mentalität. Trotzdem: in diesen Zeiten müssen wir im Rheinland zusammenhalten, deshalb brauchen wir auch Brückenköpfe im Rechtsrheinischen, deshalb sage ich immer: letztendlich ist Düsseldorf, wenn auch nur in homöopathischer Dosierung, also wie soll ich sagen: ein bisschen rheinisch ist es schon!
 
Geht Ihnen das Rheinland auch manchmal auf die Nerven?
 
Sie werden es mir nicht glauben: nein!
 
Welche rheinischen Redewendungen sind Ihnen die liebsten? (Und warum?)
 
Die drei Artikel des ‚rheinischen Grundgesetzes’:
  1. „Et es, wie’t es“ – weil es einem hilft, die Welt so zu akzeptieren, wie sie wirklich ist. Mit diesem Sinnspruch fällt es einem einfach leichter.
  2. „Et kütt wie’t kütt“ – weil es einem dabei hilft, mit Gelassenheit in die Zukunft zu schauen und zwar voller Zuversicht, denn
  3. „Et hätt noch immer jot jejange“ ist das Prinzip Hoffnung im Rheinland, nein, mehr: es ist die rheinische Zuversicht. Et hätt jo och noch immer jot jejange!
 
Gab es schon mal lustige Mißverständnisse?
 
Naja, am Beginn meines rheinischen Lebens schon. Meine Zimmerwirtin, die nur Bonner Platt sprach, das klassische Bönnsch, fragte mich: „Florestan?“. Ich dachte natürlich – Bonn ist ja die Beethovenstadt – daß sie den Florestan in der Oper Fidelio meint. Gewaltig daneben! Sie meinte: „Wieviel Uhr is dann?“, was zwar grammatikalisch auch recht witzig ist, aber so lautet nun mal die klassische Frage des Bonners nach der Zeit. Der Kölner würde übrigens niemals „Florestan“ sagen, er sagt immer „Wieviel Uhr hammer dann?“, weil ihm sogar die Zeit gehört!
 
Welchen deutschen Dialekt mögen Sie neben dem Rheinischen noch?
 
Es gibt kaum einen Dialekt, den ich nicht mag, den Berliner Dialekt z.B., den kann ich nicht verknusen (obwohl ich schon als Kind Liesegang „Det fiel mir uff“ und „Det fiel mir ooch noch uff“ gelesen hatte), weil er mir so gekünstelt erscheint. Ansonsten: bayerisch liebe ich in allen Schattierungen, richtig schwäbisch, klar, sächsisch, wunderbar, mit den thüringischen Farben: no subbr, missingsch mag ich auch, hessisch natürlich, kaa Spraach babbelt sich schneller wiesHessisch, gell...
 
Sie haben mal gesagt, daß der wahre Europäer im Rheinland sitzt. Wieso?
 
Ja, soll er denn stehen? Die janze Zeit? Er sitzt im Rheinland, weil das Dreieck Brüssel – Paris – Köln das Herz Europas ist, weil hier die Kultur multikulturell in dem Sinne ist, daß hier das Französische, das Belgische und natürlich auch ein bißchen das Niederländische zusammentreffen und von daher einen weiteren Horizont haben als beispielsweise der bayerische Wald oder die Niederlausitz.
 
Was die Küche betrifft, sind Sie da Rheinländer oder doch lieber Italiener?
 
Italiener, natürlich. Aber seitdem hier im Rheinland Köche wie Dieter Müller, Heiko Nieder oder gar mein Freund Stefan Steinheuer (in Heppingen bei Bad Neuenahr) kochen, kann man es aushalten. Wenn dann noch die Weine von Werner Näkel aus Dernau an der Ahr dazu kommen (Werner, Dein Weißburgunder ist immer noch ‚ne Wucht, vom Blauschiefer ganz zu schweigen)...
 
Welche rheinländische Eigenschaft haben Sie versucht, Ihren Kindern ans Herz zu legen?

Gelassenheit (Et kütt, wie’t kütt und et hätt noch immer jot jejange), weil es davon hier wirklich mehr gibt als woanders.
 
Und welche sollten sie auf keinen Fall annehmen?
 
Ejalitée. Et es nämlich nit ejal, wie es anderen geht etc pp. Da ist mir der Rheinländer manchmal etwas zu schulterzuckend und ich will auf keinen Fall, daß unsere Kinder davon was annehmen. Sich einmischen, Hingucken, sich engagieren – immer!
 
Was würde wohl passieren, wenn man im Rheinland den Karneval verbieten würde?
 
Dann falte ich zusammen mit allen Rheinländern das Siebengebirge neu und wir legen den Rhein höher – dann könnt Ihr Rechtsrheinischen uns mal!
 
In Ihrem Opernführer bewerten Sie die Werke nach dem Gähnwert, dem Ewigkeitsfaktor, der Genußhöhe und dem Tränenreichtum. Wie schneidet denn das Rheinland bei diesen Kriterien ab?
 
Magie: 5 von 5 Zauberhütchen, weil: das Rheinland kann Dich so was von entrücken. Seien Sie mal an Wieverfastelovend in Beuel – es könnte sein, daß Sie erst ein paar Tage später wieder aus der Kneipe kommen – glücklich!
Erotik: 1 von 5 High Heels, weil: im Zweifelsfall trinkt der Rheinländer lieber ein Kölsch!
Fazzoletto (Taschentuch, in der Oper ein entscheidend wichtiges Zubehör): maximal 1 von 5 Taschentüchern und auch das nur, wenn einer Schnuppe hätt, weil: das Rheinland ist nicht wirklich eine Gegend zum Heulen und die Menschen hier erst recht nicht!
Gewalt: 1 von 5 Handschellen, es sei denn, einer hätte was gegen Karneval oder gegen das Festkomitee.
Gähn: 1 von 5 Schlafmützen, denn: Schlofmütze sind die Rheinländer bei Gott nicht.
Moral: Ja sicher! 5 von 5 Bischofsmützen, die man aber abnimmt, wenn der Dom außer Sichtweite ist!
Ewigkeit: 5 von 5 Heiligenscheinen, weil der Dom im Rheinland nirgendwo außer Sichtweite ist. Deshalb ist das Rheinland für die Ewigkeit gemacht. Wo sonst soll denn bitte das Paradies sein? In Bielefeld?
Gourmet: Maximal 1 von 5 Sternen – die rheinische Küche ist einfach nicht wirklich fein, aber zum Glück gibt’s ja den Stefan Steinheuer und meine Frau, die traumhaft kochen kann!
Gesamtwertung: Es ist ein Paradies. Höchstwertung. Natürlich ein Paradies mit Schönheitsfehlern, aber gerade die machen das Paradies zum Paradies!
Und – ich betone es nochmals – das Rheinland ist das Herz Europas oder wie weit ist es denn von Berlin nach Paris? Also bitte!

In diesem Sinne
Ihr
Konrad Beikircher
 

©  2013 Konrad Beikircher für die Musenblätter
Redaktion: Frank Becker