Der literarische Glanz des Weihnachtsabends

Senta Berger öffnete die Herzen

von Frank Becker

Senta Berger © Veranstalter / Carpe Artem
Der literarische Glanz
des Weihnachtsabends
 
Senta Berger öffnete die Herzen
 
 
 Noch einmal ein Weihnachtsfest, / Immer kleiner wird der Rest, / Aber nehm‘ ich so die Summe, / Alles Grade, alles Krumme, / Alles Falsche, alles Rechte, / Alles Gute, alles Schlechte / Rechnet sich aus allem Braus / Doch ein richtig Leben raus. / Und dies können ist das Beste / Wohl bei diesem Weihnachtsfeste“. Mit dieser Bilanz Theodor Fontanes eröffnete Senta Berger am vergangenen Sonntag vor vollem Haus im Remscheider Teo Otto Theater ihre Lesung ausgesuchter weihnachtlicher Texte der Weltliteratur, die ihr Leben begleitet haben. An der Seite der wunderbaren Erzählerin, an deren Lippen und Gesten man fasziniert hängt, weil man nichts, aber auch nichts, keinen Ausdruck, keine Bewegung versäumen möchte, brillierte das Klenze-Quartett München  mit Stücken der Romantik.
 
Im „Kleinen Schwarzen“ vor dem rubinroten Vorhang des Theaters auf einem Klavierschemel sitzend, las Frau Berger zunächst aus den eigenen Kindheitserinnerungen an die dunklen, kargen Nachkriegsweihnachten ihrer Wiener Heimat, von denen die Feder des Christkindes auf dem Fensterbrett bis heute geblieben ist. Rudolf Hagelstanges pointiertes „Maria schreibt an ihre Base Elisabeth“ folgte, Oscar Wildes spätromantisches Märchen vom „eigensüchtigen Riesen“, der seine Liebe zu den Menschen entdeckt und in Frieden sterben kann sowie Hans Christian Andersens „Das Mädchen mit den Schwefelhölzern“. Obwohl so oft gelesen, wurde das herzzerreißende Märchen um den Tod des armen, hilflosen Kindes durch Senta Bergers beeindruckenden Vortrag völlig neu. Daß in letzteren beiden Texten der winterliche Tod die Regie hat, gehört nun mal zum Leben – und verlor durch die sensible Versöhnlichkeit des Vortrags den Schrecken.
So makellos wie die trotz der zurückhaltenden Eleganz und ihrem gänzlich unprätentiösen Auftreten alles überstrahlende Erscheinung dieser besonderen Schauspielerin und Frau, so makellos und überzeugend auch ihr Vortrag, der jeder Geschichte unmittelbar Leben einhaucht, die erzählten Bilder sichtbar, die Kälte des Winters und die Wärme der Liebe spürbar machte. Glücklich, wer dabei war, denn selten wird einem das Erlebnis solch dramaturgischer und sprecherischer Perfektion zuteil. Ebenfalls ein Genuß, die innige Korrespondenz der vier Musiker – und Senta Bergers aufmerksames Lauschen zu erleben. 
 
Hermann Hesses überzeugender, das „wirkliche Himmelreich“ in Erinnerung rufender Essay von 1918 über das Verkommen der Weihnacht zur Sentimentalität und Werbefläche – und den Verlust des wirklichen Gefühls der Liebe - ging dem Publikum als Mahnung spürbar unter die Haut.  Daß Senta Berger Janoschs zärtliches Märchen vom Bären und dem Vogel, O. Henrys tragikomische Erzählung „Das Geschenk der Weisen“ und Astrid Lindgrens heiter-liebevolle Geschichte „Pelle zieht aus“ über die Kümmernisse der Kindheit und die alles heilende Liebe an den Schluß stellte, war eine dramaturgische Glanzleistung, denn spätestens bei dem zauberhaften „Pelle“, der aus kindlichem Kummer nach "Herzhausen" auswandert, blieb kein Auge trocken, sei es vor Rührung oder herzlichem Lachen. Ein unvergeßlicher Abend, der vor allem eins vermittelte: das Ja zum Leben und zur Liebe.