Kochmüller...

...hat durchblicken lassen

von Christian Oelemann

Christian Oelemann
Kochmüller...

Kochmüller hat durchblicken lassen, daß er am 21. Dezember, obschon er wegen seiner Verstrickungen in vorweihnachtlichen Kaufrausch, den er sub sigillo einen ausgemachten Totalblödsinn nenne, schon seit Tagen kaum ansprechbar geschweige anschreibbar sei, dennoch Kunde von Maximilian Faxburger erhalten habe, endlich wieder einmal, so Kochmüller, freilich nicht in gefaxter Form, also schwarz auf weiß, wie es über die längste Zeit der Fall gewesen sei, sondern in Anpassung an die neue Zeit, die allerdings weit vor Anbruch des dritten Jahrtausends – Kochmüller spricht hier sogar von Ausbruch, da das dritte Jahrtausend, das ihm, solange auf selbiges zugelebt wurde, am Arsch, so er, vorbeigegangen sei, indes nach Anbruch immer mehr den Charakter einer Krankheit, einer Weltkrankheit, so Kochmüller, angenommen habe, weshalb es in höchstem Maße angebracht sei, nicht von Anbruch sondern von Ausbruch zu reden, rede man vom dritten Jahrtausend, per Email.
Faxburger, so Kochmüller, habe lediglich das Medium gewechselt, nicht aber seinen Namen. Faxburger heiße nach wie vor Faxburger, nicht etwa Mailburger, so Kochmüller, das könne er versichern. Immer wieder habe man ihn, Kochmüller, auf die niederträchtigste Weise angegangen, was eigentlich M. M. so treibe, und er, Kochmüller, habe zwar von Anfang an durchschaut, daß man ihn bzw. seine Geistesgegenwart, die immer mehr zur Geistesvergangenheit werde, je mehr Jahre seine Vita beschwerten, gerade nach Ausbruch des dritten Jahrtausends, das ja ein von vorn herein krankes sei, überprüfen bzw. einem Test unterziehen wolle, und zwar in der gemeinsten vorstellbaren Weise, so Kochmüller zu Faxstatt. Einen M.M. kenne er nicht und wolle auch nichts von einem M.M. wissen, habe Kochmüller geistesgegenwärtig gekontert, wenn man ihn auf zuvor beschriebene Weise angegangen sei. Selbstredend habe er sofort durchschaut, daß man ihm wegen Faxburger auf den Zahn fühlen wolle, doch habe er sich dumm gestellt, was ihm schon immer auf das vortrefflichste gelungen sei, seine Virtuosität in Vortäuschung eigener, also Kochmüllers, Dummheit sei eine immer schon grenzenlose gewesen, er sei in Sachen Dummheitsvortäuschung längst in der höchsten Spielklasse angelangt, er könne noch dem Gewievtesten seine vollkommene Dummheit und sein vollkommenes Nichtwissen vortäuschen, erkenne und durchschaue aber zur selben Zeit jede Absicht, nicht einmal ein X könne man ihm für ein U vormachen, geschweige fiele er auf einen solch plumpen Versuch herein, aus seinem Wissen über Faxburger zu plaudern, den er, so Kochmüller zu Faxstatt, zu seinen integersten Freunden zähle, auch wenn ihm von Anfang an und stets in vollem Umfang bewußt gewesen sei, daß es sich, sobald er wieder auf M.M. angesprochen werden würde, in Wirklichkeit und in Wahrheit, was nicht unbedingt dasselbe sei, um M. F. handele, Maximilian Faxburger nämlich, habe er sich selbstredend dumm gestellt und vorgegeben, nicht zu wissen, von wem eigentlich die Rede sei, da er einen M. M. nicht kenne. Faxstatt, der zugibt, selbst nicht durchschaut zu haben, daß es sich bei M. M. in Wahrheit um M.F. gehandelt habe, erklärt sich diesen Umstand mit seinem, gemeint ist Faxburgers, Rückzug aus seinem, gemeint ist Faxstatts, Leben vor bereits 10 Jahren, weshalb man ihn auch nicht in der Weise angegangen habe, wie es Kochmüller immer wieder ergehe in Sachen M.M., also Maximilian Faxburger, der Kochmüller, so Faxstatt in aller Offenheit, heute, in der Vorweihnachtszeit also, die Kochmüller seit Jahrzehnten als Totalblödheit, manchmal sogar als verirrten Massenwahn bezeichne, Kunde über seine, Faxburgers, Gedinge gegeben habe, nur eben nicht per Fax, wie er, der Freiherr, vorausgesetzt habe, sondern vermittels eines virtuellen Briefes, den man zeitgemäß mit der Vokabel Mail (d.i. englisch und bedeutet Post) signifiziere. Er, der Freiherr, sei, anders als Kochmüller, nicht in der Möge, eine Mail zu empfangen, weil man dazu entweder einen Computer benötige, den er nicht vorweisen könne, oder aber einen Communicator, den er ebenfalls nicht vorrätig halte, weswegen er auch nicht auf die Idee habe kommen können, daß es, wenn über die Gedinge M.Ms gesprochen wurde, Faxburger gemeint sei, die Deviation von Fax zu Mail nicht in seine Geisteshaltung hineinpasse, so Faxstatt zu Kochmüller angelegentlich Kochmüllers Eröffnung, er habe von Faxburger, dem Freund aus alter Zeit, Kunde, nur eben nicht, wie üblich, in Faxform.
Kochmüller habe durchblicken lassen, daß Faxburger an einem Roman arbeite, wie auch er naturgemäß seit Jahrzehnten an einem Roman arbeite, nur daß bei ihm, dem Freiherrn, bislang noch kein Wort auf dem ersten Blatt stehe, weil sein, Faxstatts, Roman zuerst vollständig im Kopf vollendet werden müsse, bevor er sich an die Niederschrift begeben könne. Darin unterscheide er sich sowohl von Kochmüller als auch von Faxstatt, die ebenfalls seit Jahrzehnten an ihren Romanen arbeiteten, so der Freiherr, nur daß Kochmüllers erstes Blatt längst vollgeschrieben sei und bereits ein zweites und drittes Blatt hinzugezogen habe werden müssen, und genau so sei es, seit er, der Freiherr, durch Kochmüller von Faxburgers neuer Situation erfahren habe, mit Maximilian, denn aus seiner nicht per Fax sondern per Mail überbrachten Meldung handele es sich, so habe er Kochmüller verstanden, um gelungene Prosa. Faxburger, so Kochmüller, habe seinen Stil gefunden und selbigen in erheiternder Weise Kochmüller gemailt. Auch Kochmüller habe längst seinen Stil gefunden, so der Freiherr, nur er, von Faxstatt, sei noch stets auf der Suche und habe aus diesem Grund noch kein Wort niedergeschrieben, im Gegensatz zu Faxburger, der offensichtlich, so der Freiherr, angefangen habe und seinen Stil offensichtlich, so der Freiherr wörtlich, gefunden habe. In Faxburgers Kunde, die Kochmüller am 21. Dezember, in einer Zeit also, in der Kochmüller kaum ansprechbar geschweige anschreibbar sei, an Kochmüller in virtueller Art und Weise geschrieben habe, sei von Thomas Mann die Rede gewesen, was ihn, den Freiherrn, insofern gewundert habe, als er bei Maximilian Faxburger immer an den Mann-Hasser schlechthin gedacht habe. Sobald in früheren Jahren von Mann die Rede gewesen sei, damals in Faxform, habe sich Maximilian stets als ein unerbittlicher Gegner und sukzessive Hasser Manns hervorgetan, damit Kochmüller und ihn selbst, von Faxstatt, immer wieder vor den Kopf gestoßen. Während er, Faxstatt, weder ein Verehrer Manns noch ein Hasser Manns sei, habe Kochmüller sogar mit seinem Austritt aus der Faxgemeinschaft gedroht, wenn in der Weise von Mann schlecht geredet wurde, wie es Faxburger anlag. Er, der Freiherr, habe sich aus dem Streit zwischen Kochmüller und Maximilian Faxburger auf das Diskreteste herausgehalten, weil er im Gegensatz zu Kochmüller durchschaut habe, daß Faxburger ein Stichler gewesen sei und vermutlich auch heute noch sei. Kochmüller, der, so der Freiherr, stets Wert darauf lege, ein Durchschauer zu sein und die Kunst des Sichdummstellens camouflagehalber zu seinem Wesen gemacht habe, sei aber in Hinsicht auf Faxburgers Mannsticheleien nicht im Geringsten durchschauend gewesen, er sei Faxburger geradezu auf den Leim gegangen und habe sich derangieren lassen, was ihn, den Freiherrn mit Heiterkeit erfüllt habe.
Er erinnere sich, wie Kochmüller damals Faxburger mit scharfen Worten angegriffen habe, er (Faxburger) bekämpfe Manns Langsätze, deren ironische und reflexiv komödiantische in deutscher Sprache unnachgeahmt weil unnachahmbar seien, nicht in ihrer Geistesdimension verstünde. Die Mannlangsätzediskussion zwischen Kochmüller und Faxburger sei eine ausufernde gewesen, so der Freiherr, oft habe das Faxpapier nicht ausgereicht, um die jeweiligen Argumente, stichelige seitens Faxburgers, empfindliche seitens Kochmüllers, auf einen Hieb, so der Freiherr wörtlich, rüberzubringen, da sowohl auf Seiten Faxburgers als auch auf Seiten Kochmüllers die Fülle der Argumentationen den jedweden Vorrat an Faxrollen gesprengt habe, was ihn, den Freiherrn, oft länger als ihm lieb in die Rolle eines Betrachters gezwungen habe. Faxburgers Eintreten für Borchert habe Kochmüller schier zur Weißglut gebracht, erinnert sich von Faxstatt. Diese Einwortsätze!, habe Kochmüller damals an M.F. gefaxt, das habe doch nichts mit Literatur zu tun. Schließlich reiche es doch auch ihm, also Faxburger, nicht, die Fünfte (gemeint war eine Sinfonie Beethovens) lediglich in der Vorstellung des ersten Themas zu hören, womöglich reduziert auf die Einfingermethode, mit der er, Kochmüller, seine Faxe gestalte. Der Freiherr erinnerte sich weiter, daß Faxburger diesen Angriff mit einem Kurzfax gekontert habe: Wer ist denn dieser Beethoven? So dumm sei Kochmüller allerdings nicht gewesen, auf diese Erfrechung zu antworten. Vielmehr habe er seinen „Zauberberg“ ohne weitere Erwähnung an Faxburger und ihm, dem Freiherrn, vorbei veröffentlicht, und er, von Faxstatt, erinnere sich noch gerne an das Literarische Quartett, eine kabarettistische Literatursendung im ZDF, die er gemeinsam mit Faxburger angeschaut habe und in welcher Manns Zauberberg Kochmüllers Zauberberg vergleichend gegenübergestellt worden sei, konkordierend, so der Freiherr wörtlich. (Kochmüller sei bei diesem Treffen zwar anwesend, jedoch infolge enormen Weinkonsums bereits der Länge nach auf Faxburgers Chaiselonge um sein Leben schnarchend gewesen). Zwar habe sich Manns Zauberberg nicht in einem Wort von Kochmüllers Zauberberg unterschieden, so wie sich ja auch Goethes Werther nicht in einem Wort von Kochmüllers Werther unterscheiden lasse, weil es nämlich keine Abweichung gebe, weder beim Werther in Bezug auf den Olympier, noch beim Zauberberg in Bezug auf Mann. Aber Kochmüllers Genie sei den Herren und der Dame im Literarischen Quartett aufgefallen, sie hatten es bemerkt gehabt, und der Freiherr habe beinahe, also um ein Haar, Kochmüller geweckt, doch da sei Faxburger vor gewesen, denn auch er habe Kochmüllers Genialität damals zum ersten Mal in aller Eindringlichkeit verstanden, und er habe ihn, den Freiherrn, zurückgehalten, als der den gemeinsamen Faxbruder habe wecken wollen, ihm vielmehr zu verstehen gegeben, er, Kochmüller, halte es womöglich gar nicht aus, dergestalt gelobt zu werden, schlußendlich wolle man ja keinen Abheber, so Faxburger damals. Abgehoben hätte nämlich der Schnarchende indes gewiss, denn Marcel Reich, der sich nicht leicht zu einem Lob verleiten läßt, habe Manns Zauberberg vorsichtig gelobt, indes Kochmüllers Zauberberg in wesentlich höheren Tönen, wie man sagt, als seien Bässe nichts wert, gelobt. Als Kochmüller auf Faxburgers Chaiselonge erwachte, sei die Sendung bereits vorbei gewesen, habe bereits ihr Ende gehabt, und Faxburger, der immer schon ein Medienmann gewesen war, habe seine Cleverness mit einem Telefonat zur Schau gestellt vor dem noch nicht ganz wieder bei sich Seienden und dem Freiherrn. Er (Maximilian) habe trotz spätester Tages- im Grunde schon Nachtzeit seine Sekretärin an den Apparat befohlen und vor aller (unserer) Augen, so der Freiherr, und vor aller (unserer) Ohren, ebenfalls Zitat von Faxstatt, einen Text, den sie sofort zu tippen und am darauffolgenden Morgen per Expreß an den Rowohlt Verlag zu senden habe, diktiert. Es habe sich, so der Freiherr, um Borcherts „Nachts schlafen die Ratten doch“, gehandelt, was er, der Freiherr, aber auch Kochmüller, allmählich vom Erwachen ernüchtert, sofort erkannt gehabt hätten. Die Sekretärin, die Faxburger vor des Freiherrn und Kochmüllers Augen und Ohren aus dem Bett getrommelt habe, sei gewiß keine Mann-Kennerin gewesen, indes, so habe sowohl Kochmüller als auch er aus Faxstatts Bemerkungen schließen können, ebenfalls den Borchert sofort erkannt, was kein Wunder sei, weil fast alle Schüler, denen die Literatur im Grunde ein Graus ist, sich auf Borchert berufen, wenn es um ein Prüfungsthema geht, weil man das Gesamtwerk Borcherts ja innerhalb weniger Minuten internalisieren kann, zur Gänze quasi. Kaum ein Autor, so der Freiherr, habe ein dermaßen komprimiertes Gesamtwerk hinterlassen, so seine Meinung, die Kochmüller aufgebracht und zu der gereizten Replik veranlasst habe, dass es kein langer Weg sei von Komprimieren zu Kompromittieren. Allenfalls Büchner, so der Freiherr, aber mit Büchner habe er sowohl bei Faxburger als auch bei Kochmüller stets vergebens angeklopft. Seine Büchnerfaxe seien sowohl von Faxburger als auch von Kochmüller stets mit Nichterwiderung quittiert worden. Über den Büchner seien sich Faxburger und Kochmüller immer schon einig gewesen, wenn auch aus unterschiedlichsten Gründen. Die Sekretärin jedoch habe, das sei aus Faxbugers Gegenrede herauszuhören gewesen, den Borchert trotz eigener Verpenntheit erkannt und das Diktat aufgenommen und ausgeführt, was man ihr aufgetragen habe, so Kochmüller. Er jedoch, Faxburger, habe die aus der Nachtruhe Aufgestörte mit einer Bemerkung abgefrühstückt, die sowohl Kochmüller, der keine Sekretärin gehabt habe, als auch ihm, dem Freiherrn, der sich zwar vermöge seines Einkommens eine Sekretärin hätte halten können und dies heute sogar allmählich erwöge, damals jedoch ein strikter Verfechter des Selfmaking gewesen sei, brüsk vorgekommen seien: „Dumme Gans! Merken Sie denn nicht, wie ich jedes Wort anders meine?“


© Christian Oelemann  - Veröffentlich mit freundlicher Genehmigung des Autors

Christian Oelemann ist Buchändler, Jazzmusiker und Verfasser einer umfang- und erfolgreichen Reihe Kinder- und Jugendbücher. 1997 erschien im Atelier Verlag Wuppertal sein Roman "Totmann - Ein schwebendes Verfahren", der einzige gültige Schwebebahnroman. Restbestände sind im Handel noch aufzutreiben. Eine Empfehlung. Seine Kochmüller-Geschichten lassen die Erinnerung an den großartigen Hanns Dieter Hüsch und dessen Hagenbuch- Geschichten aufleben, die wie das Werk Thomas Bernhards in Oelemanns Prosa ihre Spuren hinterlassen haben. Christian Oelemann lebt mit seiner Familie in Wuppertal.

Weitere Informationen unter: www.christian-oelemann.de