Abende von Berlin – Rheinländer und Westfalen

Ein Hauptstadtfeuilleton

von Jörg Aufenanger

Jörg Aufenanger - Foto © Frank Becker
Abende von Berlin -
Rheinländer und Westfalen
 
Einmal im Jahr, zumeist im Sommer, dieses Mal zu Anfang des Herbstes, treffen sich die rheinischen und westfälischen Exilanten von Berlin. Die Landesvertretung von Nordrhein-Westfalen lädt in die Hiroshimastraße Menschen aus Wirtschaft, Politik, Gesellschaft ein und einige aus der Kultur, zu denen auch ich zu zählen scheine. In dieser erst seit der Wende aufgewerteten Straße im ehemaligen Berliner Botschaftsviertel des Tiergartens liegen nicht nur die Botschaften Italiens und eines arabischen Landes, sondern eben auch die Berliner Landesvertretungen von Bremen und NRW.
Diese und auch alle anderen Vertretungen sind stetiges Ziel der Berliner Eventisten. Das sind nicht Mitglieder einer Sekte, sondern eine Art von Nomaden, die nirgendwo seßhaft zu sein scheinen und vor allem anderswo nichts zu essen bekommen. Denn bei den Treffen zu Geschichte, Politik und Kultur des jeweiligen Bundeslands gibt es immer ein mehr oder weniger reichhaltiges Büffet, und nur das scheint diese Eventisten herzulocken, das Programm der Berliner Abende weniger.
 
Auch beim NRW Fest gab es eine wahre Freßmeile. Ich habe sie nicht gezählt, aber sicherlich an zehn Ständen, wenn nicht mehr, gab es mal Gnocchi, Octopussalat mit getrockneten Tomaten, Quiches, Suppen, Zanderfilet, Schweinbraten mit Pilzen, Bouletten, in NRW Frikadellen genannt, Waffeln bergischer Art, Rievkoken rheinischer Art, eine Irrsinnsbatterie an Süßspeisen. Auf jeden Fall von allem zu viel, selbst für die zahlreichen Eventisten, die Bürokraten aus Ministerien und Lobbyverbänden, die großen und kleinen Parteienstrategen, für die Politiker, die sich da bei Gelegenheit natürlich auch dem Fußvolk zeigen müssen. Den Lammert, die Höhn, den Laumann, die Nahles habe ich erkannt, andere sicherlich nicht und stets wundere ich mich, wie klein oder groß, wie dick oder dünn diese Menschen von einem anderen, dem öffentlich rechtlichen Fernsehstern sind, wenn man sie hautnah vor sich hat.
Kultur gab es auch bei diesem Herbstfest. Ein Streichertrio einer Musikschule, aus dem Sauerland war es wohl, spielte derart falsch, daß man versucht war, wenn man an ihnen vorüberging, sich die Ohren zuzuhalten. Doch man ist ja ein freundlicher Zeitgenosse und so nickt man ihnen doch wohlwollend zu. Stets grüße ich alle Politiker, die ich als solche erkenne, diese grüßen zurück, denn es könnte ja sein, daß ich ihnen schon einmal begegnet bin. Obwohl ich nie wählen gehe. Im letzten Jahr kam mir auf einer Treppe, die Kraft, die Hannelore entgegen. Ich grüßte auch sie. Sie stellte sich vor, ich war geneigt zu sagen, ich kenne Sie, und sie gab mir die Hand. Dennoch habe ich sie am nächsten Tag gewaschen. Bei Marianne Rosenberg tue ich das nicht. Als ich in den großen Veranstaltungssaal trat, sang da eine Frau, die sah aus wie die Rosenberg und sang auch so. Eine gute Kopie dachte ich. Und ich hörte weiter ihren Songs zu und bald gab es keinen Zweifel mehr. Es war sie selbst. Die Rosenberg! Hochgeschlossen im roten zu eng anliegendem Mantel, stand sie ein wenig steif da und sang. Hinter ihr die Backgroundsängerinnen, zwei, tief dekolletiert, viel wollte da hinaushüpfen, blieb aber knapp gebändigt. Dann huschte noch eine Männerriege hinein, mit nacktem Oberkörper, tanzend, die versammelten Politiker- und Bürokratenfrauen im schicken Kleid, stöhnten auf und dann sangen sie mit. „Du gehörst zu mir, wie der Name...“ und „Ich bin wie Du“ oder „Lieder der Nacht.“
 
Die arme Marianne dachte ich, seit Jahrzehnten muß sie dieselben Lieder singen, wobei sie doch mehrfach versucht hat, auch als Sängerin anspruchsvoller Lieder aufzutreten, so zu Texten von Marianne Enzensberger. Aber immer wieder “Du gehörst zu mir...“ Das Publikum tobte und toste, flippte fast aus. Vor allem die Frauen, manche Männer auch, und die Schlipse flatterten. Das politisch-bürokratische Berlin am Rande des Exzesses. Rechtzeitig gab die Rosenberg dann die Bühne wieder frei, und die Kleider wurden glatt gestrichen, die Krawatten wieder gerichtet. Alles hatte wieder die Berliner Sittsamkeit, die in die Stadt durch die „Bonner“, wie sie von den Ureinwohnern, die aber zumeist auch Zugezogene sind, pauschal betitelt werden, nach `89 eingebrochen war.
Ich bin dann zu der Rosenberg gegangen, habe ich doch 1991 mal für drei Wochen in derselben WG wie sie gewohnt, hallo Marianne, kennste mich noch, und sie gab mir die Hand, konnte sich aber wohl nicht erinnern.
Später sangen dann noch die Bläck Föös, für die Rheinländer, die Westfalen guckten reserviert, fast beleidigt. Genauso wie die Düsseldorfer, es gab zwar Kölsch, aber wo bleibt denn mein Altbier, bin doch nicht im Wald hier, sondern in der Landesvertretung von Nordrhein: Und: Westfalen.
Auch Pfefferpothast habe ich nicht gefunden. Immer schon, seit der Gründung des Bundeslands waren die Westfalen benachteiligt. Nun auch in Berlin. Es gibt zwar mehrere rheinische Kneipen an der Spree, aber eine westfälische kenne ich nicht, außer der „Milchbar“, wo die Fans des BVB hocken, ich auch mit meinen Fußballkumpels Hans und Peter, schließlich sind die beiden wie ich in Dortmund zur Schule gegangen, der BVB als einzige Verbindung, die ich noch zur Stadt meiner frühen Jugend habe. Nachdem die Bläck Föös nicht nur das Lied von der „Kaffebud“ und „Drink doch eene mit“ gesungen und die Kölner und ihre Adepten mitjesungen und jeschunkelt haben, habe ich den gläsernen Palast verlassen, nicht ohne zuvor noch einmal einen Blick in den Garten geworfen habe, wo an den Bierbuden weiterhin heftig mitgetrunken wurde. Draußen vor der Tür reichte man mir einen knallgrünen Schirm als Werbegeschenk, ich glaube es war von der Region Westfalen Süd, ich habe ihn dann im Bus liegen lassen, als Geschenk an alle Berliner.
Ach übrigens, der nächste Eventabend in der NRW-Botschaft am 29. Oktober gilt doch den Westfalen, man zeigt den Film „Die Bielefeldverschwörung.“ Doch spätestens zu Weiberfastnacht ist alles wieder in rheinischer Hand und man singt: „Mer losse d’r Dom in Kölle, den do jehöt hä hin, wat soll dä dan woanders“ oder so ähnlich.
 
 
 
© 2012  Jörg Aufenanger für die Musenblätter