Venedig sehen...

Thommie Bayer – „Vier Arten, die Liebe zu vergessen“

von Jürgen Kasten
Kraftvoll, gradlinig,
von großer Empathie
 
Emmi Buchleitner war gestorben. An ihrem offenen Grab fand sich eine große Trauergemeinde ein. Gute, persönliche Reden wurden gehalten und es wurde musiziert. Emmi war eine begnadete Musikpädagogin und außergewöhnliche Lehrerin an einem teuren Privatinternat.
Auch Michael, Bernd, Thomas und Wagner, der keinen Vornamen hat, fanden sich, aus unterschiedlichsten Richtungen angereist, in München ein. Als Kinder wurden sie von ihren Eltern in das Internat abgeschoben, als Jugendliche von Emmi zu einer Acapella Gesangsgruppe zusammengeschweißt und als junge Erwachsene gelangten sie so zu einiger Berühmtheit. Dann drifteten sie auseinander. Jetzt, zwanzig Jahre später, sehen sie sich zum ersten Male wieder und sind sich fremd.
Michael lebt inzwischen in Venedig. Er kommt auf die absurde Idee, die er kurz darauf schon bereut, aber nicht zurücknimmt, seine ehemaligen Freunde für einige Tage zu sich einzuladen. Alle nehmen an und es kommt zu einem vorsichtigen bis aggressiven Abtasten ihrer Lebensentwürfe. Niemand öffnet sich wirklich. Lügen, Vorwürfe und Desinteresse beherrschen das Klima, und immer wieder das Thema Liebe. Die damalige Vertrautheit scheint unwiderruflich verloren zu sein.
 
Thommie Bayer erzählt mehrere Handlungsstränge parallel. Das Leben der Jugendlichen im Internat, ihr jetziges Zusammentreffen und den beruflichen Aufstieg Michaels. Das wird so spannend zusammengeführt, daß man das Buch nicht aus der Hand legen möchte.
Kaum ein Autor ist in der Lage, weibliche Gefühlswelten in einem Roman wirklich darzustellen. So oder ähnlich höre ich es immer wieder. Ich sage: Doch, Thommie Bayer kann es, und männliche sowieso.
Seine Geschichte zeugt von großer Empathie, die mit keiner Zeile ins Seichte abgleitet. Kraftvoll, gradlinig, mit einer wundervoll flüssigen Sprache zeichnet er das Bild, das einem als Leser vor Augen steht. Man fühlt sich mitgerissen in diesem Strudel der erzählten Enttäuschungen, unnütz verschenkter Lebensjahre, der Suche und dem Verlust nach Liebe und Freundschaft.
Überdies gelingt es Thommie Bayer, ein Venedig zwischen Touristenrummel, Kunst, Architektur und Atmosphäre  darzustellen, das Lust auf eine (erneute) Reise macht.
Ein grandioses Stück deutscher Literatur.
 
Thommie Bayer – „Vier Arten, die Liebe zu vergessen“
© 2012, Piper Verlag, 288 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag - ISBN: 978-3-492-05480-5
€ 19,99 (D), € 20,60 (A), sFr. 28,90 (CH)
 
Weitere Informationen: www.piper.de