Wer war der US-Journalist Melvin J. Lasky?

Vor 65 Jahren ‚sprengte’ ein junger Amerikaner den Ersten (gesamt-) Deutschen Schriftstellerkongreß in Ost-Berlin.

von Jürgen Koller

© Aufbau Verlag
Lebendige Geschichte

Vor 65 Jahren ‚sprengte’ ein junger Amerikaner
den 1. (gesamt-) Deutschen Schriftsteller-
Kongress in Ost-Berlin.
 
Wer war der US-Journalist Melvin J. Lasky
und wie kam es zum Eklat?
 
 
Der Schutzbund Deutscher Autoren und der kommunistisch gesteuerte Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands unter Federführung des Dichters Johannes R. Becher hatten Schriftsteller aus allen Besatzungszonen Deutschlands vom 4. bis 8. Oktober 1947 zum ersten (gesamt-) Deutschen Schriftstellerkongreß in die Kammerspiele des Deutschen Theaters in Ost-Berlin eingeladen. Über 300 Autoren, Publizisten und Verleger waren der Einladung gefolgt, aber auch ausländische Gäste gaben sich die Ehre, zwei Jahre nach Kriegsende mit deutschen Literaten darüber zu diskutieren, wie es mit der Literatur im zerstörten und ausgebluteten Deutschland weiter gehen solle.
Den beiden Veranstaltern ging es darum, die sich immer deutlicher abzeichnenden politischen und ideologisch-literarischen Gegensätze zwischen den Schriftstellern in den Westzonen und in der Sowjetzone nicht weiter eskalieren zu lassen. Auf dem Kongreß standen sich im Wesentlichen zwei Gruppen von Autoren gegenüber – zum einen die aus dem Exil zurückgekehrten, überwiegend kommunistisch orientierten Schriftsteller, wie Anna Seghers, Friedrich Wolf, Günther Weisenborn, Hans Mayer, Stephan Hermlin, Johannes R. Becher, Anton Kantorowicz und etliche andere, die einen linken, sowjetfreundlichen Block bildeten und den Kongreß dominierten, und zum anderen parteilose, den liberalen oder bürgerlichen Flügel repräsentierende Autoren, wie Elisabeth Langgässer, Axel Eggebrecht, Ernst Penzoldt, Ernst Rowohlt, Wilhelm E. Süskind, Benno Reifenberg, Marieluise Fleisser und andere. Die Brüder Heinrich und Thomas Mann, Bertolt Brecht und Stefan Heym waren noch im amerikanischen Exil, Arnold Zweig war noch nicht aus Palästina zurück. Einig war man sich auf dem Kongreß über die Wertschätzung, die Ricarda Huch als Alterspräsidentin des Kongresses genoß. Auch darüber bestand Konsens, daß Autoren, die sich als Propagandisten des Nazi-Regimes hervorgetan hatten, in einer neuen, demokratischen deutschen Literatur nichts zu suchen hätten.
 
Es ist Johannes R. Becher zugute zu halten, daß er in seinem Redebeitrag nicht nur den Weltfrieden beschwor, sondern daß er sich den Kampf um die Einheit der deutschen Nationalkultur und der deutschen Geisteswelt auf seine Fahne geschrieben hatte. Wesentlich war ihm auch, den tiefen Graben, der sich zwischen den aus dem Exil zurückgekehrten Autoren und den im inneren Exil verbliebenen Dichtern und Schriftstellern aufgetan hatte, zu glätten.
Der Verleger Wolf Jobst Siedler, der als junger Student an einigen Tagen am Kongreß teilgenommen hatte, schrieb in seinem Erinnerungsband „Wir waren noch einmal davon gekommen“ (2004), daß die Reden auf dem Kongreß „sehr gutwillig, voller Friedensliebe und voller Absage an die Barbarei der Nationalsozialisten“ gewesen seien.“ Und weiter meinte er, daß die „Zeit die Dokumente interessant (mache), nicht der Inhalt“.
Der Chef der Informationsabteilung der sowjetischen Militäradministration (SMAD), Sergeij Tulpanow, hatte im Vorfeld des Schriftstellerkongresses im Künstlerdorf Ahrenshoop mit den kommunistischen Autoren das Vorgehen bis ins Detail abgesprochen und festgelegt. So sollten auch die drei sowjetischen Autoren, Wsewolod Wischnewski, Autor des Films „Wir von Kronstadt“, Valentin Katajew, „Es blinkt ein einsam Segel“, und Boris Gorbatow, „Die Unbeugsamen“, die von den Sowjets überraschend den Kongreßteilnehmern präsentiert wurden, die kommunistische Ausrichtung des Schriftstellertreffens stärken. Wischnewski, mit Kampforden auf dem Zivilanzug, machte eine agitatorische Kampfansage im besten Sowjetstil, in der von den „reaktionären Kräften in Washington und London, die einen Eisernen Vorhang schaffen wollten“ und von „der schwarzen Reaktion auf der einen Seite“ und den „Millionen einfacher Menschen auf der anderen Seite, die für Frieden und Demokratie“ kämpfen, die Rede war.

Trug diese Rede von Wischnewski schon massiv dazu bei, den Ersten (gesamt-) Deutschen Schriftstellerkongreß 1947 zu politisieren, folgte mit dem Auftritt des 27-jährigen US-Amerikaners Melvin J. Lasky, der in perfektem Deutsch auf die mangelnde politische und künstlerische Freiheit sowie auf die gravierenden Demokratiedefizite in der Sowjetunion verwies, das „Aus“ des so auf Harmonie und Eintracht bedachten Kongresses. Lasky hatte auch die Namen von bedrängten und verfolgten Autoren genannt, so etwa Sergeij Eisenstein, Michail Soschtschenko oder Georgi Alexandrow. Etliche Zuhörer im Saal dachten wohl dabei auch an Isaak Babel, Autor von „Budjonnys Reiterarmee“, der von Stalin im Zuge der „Säuberungen“ liquidiert worden war. Keiner der Zuhörer kannte den jungen, aus einer polnisch-jüdischen Familie in New York stammenden Melvin J. Lasky, studierter Historiker und Journalist, Hauptmann der US-Army, der für die linken Zeitschriften „Partisan Review“ und „New Leader“ schrieb. Lasky, der den antikommunistischen Positionen der US-Regierung nahe stand und der als Offizier als einer der ersten Amerikaner das KZ Dachau aufgesucht hatte, war davon überzeugt, daß eine Einparteienherrschaft wie sie von den Sowjets praktiziert wurde, zutiefst demokratiefeindlich und totalitär sei. Jahrzehnte später bekannte Lasky , daß der liberale Diskussionsleiter Günther Birkenfeld ihn auf die „Rednerliste (des Kongresses) schmuggelte, um ein Gegengewicht“ zu den sowjetischen „Großschriftstellern“ zu bilden. Der spätere Leipziger „Literaturpapst“ Hans Mayer schrieb in seinen Memoiren, „ … das also hatte man vorbereitet (…) in Berlin war nichts mehr zu machen. Der Kongreß schleppte sich hin bis zu seinem Ende.“ Von Walter Ulbricht wird der Satz kolportiert, daß „Lasky der Mann gewesen sei, der den kalten Krieg“ begonnen habe.
 
Diese Rede machte Lasky so bekannt, daß er im Frühjahr 1948 von Lucius D. Clay, dem Militärgouverneur der amerikanischen Zone, in dieser politisch aufgeheizten Situation den Auftrag erhielt, ein Kulturmagazin zu gründen. Die erste Ausgabe der Zeitschrift „Monat“, mit knallrotem Einband, erschien in einer 20.000er Auflage am 1.Oktober 1948 während der Berlin-Blockade. Der „Monat“ wurde über die Jahre das Podium der „Renegaten“, ehemaliger Parteigänger der Kommunisten, aber das Kulturmagazin öffnete seine Seiten im gleichen Maße für die westdeutsche, europäische und amerikanische Geisteselite. Im Jahre 1966 hatten die „New York Times“ und andere Blätter publik gemacht, daß mit Geldern der CIA über die Ford- Foundation in verdeckter Form der „Monat“ und der „Kongreß für Kulturelle Freiheit“ (seit 1950 in West-Berlin als ständige Institution) finanziert worden seien. Das untergrub die Glaubwürdigkeit der Zeitschrift, renommierte Autoren zogen sich daraufhin zurück. Auch der strikte Antikommunismus als tragende Säule des kulturellen Kalten Krieges war in der von Lasky vertretenen stringenten Form nicht mehr gefragt. Der „Monat“ stand der neuen Ostpolitik der Bundesregierung unter dem späteren Kanzler Willi Brandt entgegen – im März 1971 erschien die letzte Ausgabe des Kulturmagazins.
 
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Eine ausführlichere Dokumentation der Ereignisse auf dem Ersten (gesamt-) Deutschen Schriftstellerkongreß 1947 - Autor Jürgen Koller - findet sich in der Internetausgabe der Zeitschrift Deutschland Archiv, unter www.bpb.de/geschichte/zeitgeschichte/deutschlandarchiv/132953/eklat-beim-ersten-deutschen-schriftstellerkongreß
 
Weitere Informationen zu Melvin J. Lasky in: COLD WAR POLITICS, Hrsg. von Charlotte A. Lerg / Maren M. Roth, Lasky Center for Transatlantic Studies, München, 2010
 
Protokoll und Dokumente des 1. Deutschen Schriftstellerkongresses, 4.- 8. Oktober 1947
© 1997Aufbau Verlag Berlin GmbH