Über den Wahnsinn des Lebens - und Fleischsoße

Aus dem Tagebuch

von Erwin Grosche

Foto © Frank Becker
Über den Wahnsinn des Lebens
und Fleischsoße

14.7.: Zum Schluß wollte ich mir an der Fleischtheke im Südring Sauerkraut kaufen. Ich kaufe dort gerne, die Frauen hinter der Theke sind sehr freundlich, kompetent und haben Ausstrahlung. Ich fragte nun eine dieser Frauen, wie man denn das Sauerkraut anmachen müsse, und sie empfahl mir, es in einer Fleischsoße (oder wie das heißt) vor sich hindümpeln zu lassen. Ich erklärte ihr daraufhin, daß wir Besuch bekommen würden und darunter auch jemand wäre, der kein Fleisch und keinen Fisch essen würde. Da sah mich die Frau von der Fleischertheke kurz an und kommentierte diese fremde Lebensform mit einem: „Wahnsinn!“ Was soll man dazu sagen. Leben ist natürlich „Wahnsinn“. Es ist nur auszuhalten, wenn wir nicht so schnell verzweifeln, auf der Suche nach dem Besonderen. 
 
15.7.: Oh, wie schnell Unordnung entsteht. Man muß nur mal nichts machen, und schon ist sie da.
 
16.7.: Heute war bei unseren Nachbarn eine Party. Ich habe mich kurz sehen lassen und mich mit meiner Nachbarin unterhalten. Sie trank eine Flasche immer noch so aus, als wisse sie nicht, wie sie dabei aussah.
 
18.7.: Ich stelle mir vor, ich werde wach und wäre sofort glücklich. Ich glaube, das könnte ich gar nicht annehmen. Was soll denn das für ein Tag werden, wenn ich aufwachen würde und wäre sofort glücklich? Ich nehme immer als Erstes eine Schmerztablette, ich lasse mich doch nicht vom Sonnenschein provozieren.
 
21.7.: In unangenehmen Situationen tu ich immer so, als würde ich mir umständlich den Pullover ausziehen, damit man für eine Zeit mein Gesicht nicht sehen kann und mich nicht mehr ins Gespräch mit einbezieht.


© 2012 Erwin Grosche - Erstveröffentlichung in den Musenblättern