Literaturbiennale Wuppertal (2)

Tagebuchnotizen

von Jürgen Kasten

Jürgen Kasten - Foto © Frank Becker
Tagebuchnotizen (2)

von der
 
Literaturbiennale Wuppertal, 6.-16. Juni 2012



Donnerstag, 14. Juni 2012, dann in der Viertelbar des Luisenviertels
Literatur für das (Luisen)-Viertel in der Viertelbar. Diese Veranstaltungsreihe des Katholischen Bildungswerkes gibt es schon länger. Heute liest und spricht Abbas Khider im Rahmen der Literatur Biennale aus und über seine beiden bisher auf Deutsch veröffentlichen Bücher. 1973 in Bagdad geboren, hat Khider schon einiges hinter sich. 11 Gefängnisaufenthalte und drei miterlebte Kriege prägten ihn. Seine Erfahrungen fließen in seine Erzählungen ein, sind gleichwohl nur in Teilbereichen autobiographisch. Nach drei Jahren als illegaler Flüchtling in Europa, landete er 2000 in Deutschland, lebt mittlerweile in Berlin und besitzt einen Deutschen Paß. „Das macht mich frei, zu reisen, wohin ich will“, sagt er und erntet Widerspruch aus dem Publikum, „denn die Deutschen Botschaften kümmern sich nicht um im Ausland festgenommene Deutsche Staatsbürger, wenn sie Exilanten sind“.
An anderer Stelle widerspricht Khider der These, in Ägypten habe sich nach dem „arabischen Frühling“ nichts an den politischen Verhältnissen geändert. Er sei selber während der Revolution längere Zeit in Kairo gewesen und habe aktiv mitgewirkt, erzählt Abbas Khider. Die Menschen, vor allem die jungen, hätten begriffen und erfahren, daß man gegen Diktatoren aufbegehren kann und auch etwas bewirken kann, wenn man das geschlossen öffentlich artikuliert. Die Menschen in Ägypten seien nun freier im Denken und Handeln, daß sei ein echter Schritt zur Freiheit hin, allerdings noch lange nicht abgeschlossen.  

Abbas Khider - Foto © Jacob Steden
Die Freiheit und Unfreiheit des Geistes und des Körpers sind auch Khiders literarische Themen. Sein erster Roman „Der falsche Inder“ behandelt das Leben in der Illegalität und als Flüchtling. Ein Leseabschnitt schildert einen Gefangenentransport im Konvoi Richtung Wüste (Übersetzte Bedeutung des Wortes Wüste: „Hinter der Sonne“). Der geschlossene Bus des Icherzählers hat unterwegs eine Panne. Nach langer Reparatur muß er umkehren. Im Gefängnis zurück, stellt der Erzähler fest, daß nur 20 der ursprünglich über 200 Gefangenen übrig sind. Seine Frage nach den anderen, beantwortet ein Wärter lapidar: „Erschossen. Euch hat die Panne das Leben gerettet.“ („Der falsche Inder“, Edition Nautilus, ISBN: 978-3894015763).
Das aktuelle Buch „Die Orangen des Präsidenten“ spielt Anfang der 80er Jahre im Irak.
Der 28. April war seinerzeit für politische Gefangene ein hoffnungsvolles Datum. An diesem Geburtstag des Diktators Saddam Hussein wurden üblicherweise einige von ihnen amnestiert. In der Zelle starren alle auf das Holzkästchen, das ein Wärter bedeutungsvoll herein trägt und langsam öffnet. Es werden Zettel mit Namen der Glücklichen erwartet. „Ein Geschenk eures Präsidenten“, grinst der Wärter und öffnet den Blick auf den Inhalt des Kästchens: Blutorangen, die Orangen des Präsidenten.
(„Die Orangen des Präsidenten“, Edition Nautilus, ISBN: 978-3894017330).
Ernste Themen, erschütternde Szenen erlittener Qual und Folter und doch mit einer großen Portion Humor geschrieben, engagiert und gestenreich vorgetragen. Abbas Khider strömt eine Lebensfreude und Energie aus, die mitreißt.
„Warum der Humor in den doch eher traurigen Geschichten?“, fragt Diana Zulfoghari (WDR, Funkhaus Europa), die den Abend engagiert moderierte.
„Gegen reale Waffen ist schwer anzugehen“, sagt Abbas Khider, „aber mit Lachen und Humor kann man die diktatorischen Mächtigen der Lächerlichkeit preisgeben. Das sind unsere Waffen.“
Ein spannender Abend, der viel Zuspruch in der viel zu kleinen Viertelbar fand.
 
Freitag, 15. Juni 2012, City Kirche Elberfeld
„Die Farben des Lebens“ hieß die Überschrift zu Margriet de Moors Lesung. Hell und weiß präsentierte sich die gut gefüllte City Kirche jedoch und wurde zunächst erfüllt von wohlklingenden Melodien des 17. Jahrhunderts, dargeboten von Gudrun Fuß (Viola da Gamba), Zorro Zin (Theorbe und Barockgitarre), Kaung-Ae Lee (Cembalo). Die jetzt 70jährige Margriet de Moor studierte Gesang und Klavier, bevor sie 1988 erstmalig als Schriftstellerin bekannt wurde. Anne Linsel führte kurz in die Vita der Autorin und die Geschichte des Buches ein.
„Der Maler und das Mädchen“ schildert im 17. Jahrhundert einen Tag im verblassenden Leben des Malers Rembrandts, obwohl sein Name nicht erwähnt wird und es eigentlich nicht seine Geschichte ist, sondern die der 18-jährigen Else, die an diesem Tag in Amsterdam hingerichtet wird.
Else kam aus Skandinavien und war erst seit 14 Tagen in die Stadt, bevor sie zur Mörderin wurde. Ihre Lebensgeschichte wird in Rückblicken erzählt. Dabei stellt Margriet de Moor das Mädchen als

Margriet de Moor (rechts) mit Anne Linsel  - Foto © Jürgen Kasten
unschuldiges Wesen dar, das nicht einmal das Wort „Prostitution“ kannte, der sie zugeführt werden sollte.
De Moor las, wie der Maler von der Hinrichtung erfuhr, den Abschnitt mit dem Mord und dem letzten Kapitel, in dem Rembrandt die erschütternde Beschreibung der Hinrichtung von seinem Sohn erfährt und wie er schließlich zu dem Platz außerhalb Amsterdams fährt, an dem der Leichnam des Mädchens ausgestellt ist. Dort fertigt er kleine Skizzen der Getöteten an und „seine Augen sehen ein unschuldiges Mädchen“. So malte er sie und so sind die Skizzen heute im MomA (Museum of modern Art in New York) zu sehen.
Der Plot des Romanes basiert also auf eine tatsächliche historische Begebenheit. Spannend war, wie bei fast allen Veranstaltungen, was die Autorin zwischen den Leseabschnitten erzählte. Margriet de Moor schilderte die Entstehung des Buches, die Idee und Beginn des Schreibens, die aufwändige Recherche in alten Archiven und ihre Arbeitsweise.
Ein aufregend, anregender Abend, der von dem vorzüglichen Musiktrio beschlossen wurde.
(„Der Maler und das Mädchen“, Hanser Verlag, ISBN: 978-3446236387; Deutscher Taschenbuch Verlag, ISBN: 978-3423141901)
 
Samstag, 16. Juni 2012, Immanuelskirche.
Krönender Abschlußabend der Wuppertaler Literatur Biennale mit heute rund 500 Zuhörern, der stolz von Kulturdezernent Matthias Nocke anmoderiert wurde, bevor Ernest Wichner zusammen mit seiner alten Freundin Herta Müller die Bühne betrat.
Beide kennen sich aus ihrer gemeinsamen Schulzeit und Studium in Temeswar, der nach Bukarest zweitgrößten Stadt in Rumänien. Dort im Banat lebten seit dem 17. Jahrhundert die sogenannten Banater Schwaben, eine deutschsprachige Minderheit.

Herta Müller, Ernest Wichner - Foto © Jürgen Kasten
Herta Müller kam in Kontakt mit der Aktionsgruppe Banat, einer Studentengruppe, die sich sehr für Literatur interessierte. Um aus ihrer Sicht an lesbare Bücher zu kommen, mußten sie rund 800 Kilometer bis nach Bukarest fahren, um sich beim dortigen Goethe-Institut kofferweise die Bücher auszuleihen. In dieser Zeit wurde Herta Müller auch politisiert und stand seitdem unter Beobachtung der Securitate, dem Geheimdienst.
Arbeiten durfte sie anfangs nur als Übersetzerin in einer Maschinenfabrik, sollte dort jedoch entldaßen werden, weil sie sich weigerte, der Securitate als Informantin zu dienen. Andere, auch Freunde von ihr, konnten sich nicht entziehen, wie sie Jahrzehnte später aus ihrer Geheimdienstakte entnehmen konnte. Herta Müllers Stimme drückt noch heute bittere Enttäuschung aus, wenn sie darüber berichtet.
Ernest Wichner (heute Leiter des Literaturhauses Berlin) gab ihr dazu die Stichpunkte, wie überhaupt sein Part nicht die Moderation war, sondern er mehr als Gesprächspartner Herta Müllers fungierte.
Herta Müller, der kleinen, ernsten, zierlichen Frau, ganz in schwarz gekleidet, war sogar ab und an ein Lächeln zu entlocken, wenn das begeisterte Publikum Zwischenapplaus spendete.
Aus vier verschiedenen Werken las Herta Müller Ausschnitte und erzählte zwischendurch aus ihrem Leben, was praktisch eins ist. Ihre Sprache ist einfach, klar und eindeutig. In ihr schwingt Melancholie, Verbitterung; aber auch Humor mit.
Als erstes trug Herta Müller aus dem Erzählband „Niederungen“ von 1982 vor, für den sie damals den „Aspekte Literaturpreis“ erhalten hatte. Es folgten Ausschnitte aus „Herztier“ und natürlich der „Atemschaukel“. Dabei erzählte sie, daß sie 2009, nachdem ihr der Literatur-Nobelpreis zugesprochen wurde, von einem einstigen Securitate Chef und jetzigem Versicherungsdirektor aufgefordert wurde, die Hälfte des Preisgeldes an Securitate-Hinterbliebene zu spenden, da diese ja schließlich den Stoff für ihre Erzählungen lieferten.
Als Abschlußschmankerl präsentierte Herta Müller Collagen aus ihrem im Herbst erscheinenden Buch „Vater telefoniert mit den Fliegen“, Gedichtzeilen voller Poesie und Humor. (Herta Müllers Bücher erscheinen beim Verlag Hanser und als Taschenbücher bei Fischer).
Das war ein würdiger und fulminanter Abschluß der 1. Wuppertaler Literatur-Biennale, die gemessen am Zuhörerinteresse als voller Erfolg angesehen werden muß. Auch Mitglieder des örtlichen Schriftstellerverbandes waren begeistert ob des Zuspruches und glauben, daß viele neue Literaturhungrige hinzugewonnen werden konnten.
 
Glückwunsch!