Lustwandeln durchs Wunderland

Der Jugendclub der Wuppertaler Bühnen spielt „Taugenichts!“

von Martin Hagemeyer

Foto © Frank Becker
Lustwandeln durchs Wunderland
 
Taugenichts!

Produktion des Jugendclub I nach
„Aus dem Leben eines Taugenichts“ von Joseph von Eichendorff
 
Wuppertaler Bühnen, Premiere: 23.3.2012, Kleines Schauspielhaus
 
Inszenierung und Ausstattung: Markus Höller - Dramaturgie: Miriam Rösch - Regieassistenz: Janina Dorsch - Inspizienz: Finn Jäger
Besetzung: Taugenichts: Charlotte Eben -­ Aurelie: Jessica Steinbrink – Mond/elegante Dame: Rahel Paulig - Sonne/Discokugel: Roland Ngimbi – Erzähler Taugenichts: Jascha Markuse – Erzähler Aurelie: Madita Kretschmer – Schmetterling/elegante Dame: Paula Buchborn - Schmetterling/ eleganter Herr: Karlotta Harlan – Schlafmütze/elegante Dame: Laura Schmitz – Schlafmütze/elegante Dame/Regenbogen: Julia Groß – Schlafmütze/Gärtner/eleganter Herr: Steffi Wenderlich.
 
„…und es war alles, alles gut!“ So läßt Joseph von Eichendorff seine Novelle „Aus dem Leben eines Taugenichts“ enden. Am Ende von „Taugenichts!“, der diesjährigen Inszenierung des Jugendclub I der Wuppertaler Bühnen, könnte man problemlos das Gleiche sagen. Das ist aber gar nicht nötig; denn daß alles, alles gut ist, hat man ja nun gerade eine Stunde lang erlebt.
 
Das pure Wohlgefallen – schon der Klassiker der deutschen Romantik hat ja seit je mit einem unerschütterlichen Gemütsmenschen als Sympathieträger und einer Handlung von fast schon provozierender Unwahrscheinlichkeit die Herzen gewonnen: Ein Bursche wandert seines Wegs, der ihn durch bloßen Zufall bis nach Italien führt, und findet zwischen manchen Irrtümern und Geschlechterwechseln sein Glück, ohne dieses (genauer: ohne überhaupt irgend etwas) zu suchen.
Regisseur Markus Höller steht da nicht zurück in dieser Collage aus radikal gekürztem Eichendorff und Eigenbeiträgen des Ensembles. Im Gegenteil: Der Taugenichts im Kleinen Schauspielhaus lustwandelt quer durch ein Panorama aus Bildern, die harmonietrunkener nicht sein könnten. Die Bühne: ein endloses Rosenfeld; geturtelt wird auf weißer Bank am Lindenbaum – und still im Hintergrunde, da geht ein Mühlenrad. Mehr Romantik geht nicht.


v.l.n.r. Rahel Paulig, Paula Buchborn, Charlotte Eben, Jessica Steinbrink - Foto © pillboxs
 
Schwere Zeichen, sagt man da wohl. Ganz anders ist hingegen, was in diesem Über-Idyll die Figuren tun, und was sie bewirken damit: Sie geben dem Abend Leichtigkeit – und die braucht er auch. Charlotte Eben verkörpert anschaulich den Titelhelden und seine Offenheit für alles und jedes, das ihm auf seiner Reise über den Weg läuft – am meisten aber für den Charme von Aurelie, gespielt von Jessica Steinbrink. Ganz entzückend, wie dieser Taugenichts herbeigeschlendert kommt und seine eigene kleine Blumenwiese wie ein Badetuch ausrollt, um sich behaglich darauf auszustrecken – dabei müht ein Chor gestrenger Vernunftmenschen sich doch gerade sehr komisch, ihn mit einer typischen Litanei der Vernunftmenschen aller Epochen zu ermahnen: „Der frühe Vogel fängt den Wurm! Was du heute kannst besorgen… Üüübung macht den Meister!“ Der verbiesterte Gärtner als Trampel mit Heugabel (Steffi Wenderlich) läßt uns losprusten über den blinden Eifer all der Menschen, die immer nützlich aktiv sein müssen. Und Rahel Paulig, die mit staunenswertem Gleichmut minutenlang als Mond einherschreitet, sorgt ebenso fürs notwendige Schmunzeln wie Karlotta Harlan und Paula Buchborn, wie sie seelenruhig ihre Schmetterlinge flattern lassen.


v.l.: Jessica Steinbrink, Charlotte Eben - Foto © pillboxs
 
Leicht spielen ist sicherlich alles andere als leicht. Dafür gebührt allen Darstellern besonderes Lob. Denn: Auch Eichendorffs 19. Jahrhundert war ja kein Zeitalter des real existierenden Arkadien. Will sagen: Die heutige Entführung ins Wunderland braucht diese heitere Ironie, die auch bei Eichendorff zwischen den Zeilen ständig durchklingt. Bei den erwähnten, ganz ikonenhaften Kulissen ist davon aber wenig zu spüren. Ähnlich ist es beim Rahmengeschehen, in dem am Schluß der Poetenmantel mit großer Geste die Liebenden umfängt, und vielleicht auch bei der unablässigen Hit-Beschallung.
Aber möglicherweise ist das alles auch viel zu vernünftig gedacht. Jedenfalls hat der Abend einen einigermaßen gewichtigen Fürsprecher: Nehmen wir einmal an, der Taugenichts wäre Gastrezensent der Musenblätter. Ihm sei an dieser Stelle das Wort übergeben:
„In dem hellen Lichte vor mir gingen gar liebliche Dinge vor sich. Flöten, Gondeln, junge Menschen – alles seufzte: Ach, wie schön!! Mein armes Hirn wußte schon nicht mehr, wohin mit alledem Wunderbaren. Schier wollten sich die Äuglein mir schließen, so viel gab’s zu sehen … wo doch eigentlich nichts passierte. Aber dann sah ich bald doch wieder hin – und da war es grad so schön wie vordem. Und da war’s mir denn eigentlich auch recht lieb so.“
 
Redaktion: Frank Becker