Pochende Herzen

"Momo" im „Kinder- und Jugendtheater“ Wuppertal

von Martin Hagemeyer
… und das Leben wohnt im Herzen
 
Beim „Kinder- und Jugendtheater“
handelt Endes „Momo“ sehenswert von Nutzdenken
 
Nach dem Roman von Michael Ende.
 
Inszenierung: Lars Emrich – Ausstattung: Laurentiu Tuturuga – Musik: Andreas Grimm.
Besetzung: Momo: Elvin Karakurt – Gigi Fremdenführer: Tom Raczko – Beppo Straßenkehrer: Michael Karp – Meister Hora: Udo Dülme – Kassiopeia: Marie Speckmann – Agent XYQ-384-b/ Polizist: Tim Neuhaus – Friseur Fusi/ Grauer Agent 4: Patrick Wasserscheid – Maurer Nicola/ Grauer Agent 2: Ralf Stallmann – Gastwirt Nino/ Grauer Agent 3: Dino Capozza – Ninos Frau Liliana/ Grauer Agent 1: Anna Rauhaus – Ninos Tochter Maria/ Grauer Agent 6: Charlott Hoebel – Bibigirl/ Managerin/ Grauer Agent 7: Miriam Wunder – Kundin Friseursalon/ Grauer Agent 5: Claudia Wunder – Franco: Clemens Redeker – Paolo: Daniel Hasenmayer – Giulia: Alyson Hille
 
Das Kinder- und Jugendtheater bringt „Momo“ auf die Bühne, den Kinderbuchklassiker von Michael Ende zum Phänomen Zeit. Eine Schlüsselszene in Lars Emrichs schöner und sehenswerter Inszenierung ist vielleicht diese: Einer der grauen Agenten, die die Menschen zum Zeitsparen überreden, will von dem gefährlichen Mädchen schon sichtlich nervös wissen, was Bibigirl, der vollkommenen Puppe, denn jetzt noch fehlt. Und Momo, das Mädchen, das deswegen gefährlich ist, weil es sich viel mehr für Märchenspiele mit ihren Freunden interessiert als für Puppen mit „endlos“ viel Zubehör, gibt sofort zurück: „Ich glaub‘, man kann sie nicht liebhaben.“ Den grauen Agenten bringt das um den Verstand.
 

v.l.: Patrick Wasserscheid, Tim Neuhaus - Foto © Karola Brüggemann

Wichtig für diese Inszenierung der berühmten Geschichte um die Zeit ist das deshalb, weil es in dieser Szene ja gar nicht so sehr um Zeit geht. Sondern, grundsätzlicher: um ökonomisches Denken. Die Manie, alles nach Nutzwert zu berechnen, gegen den Wert menschlicher Qualitäten: Das ist das Thema des Abends, und die Ware Zeit eher nur ein Beispiel dafür. Hast gegen Bedächtigkeit, still stehende Zeit: Solche Aspekte des Romans könnte man auch spannend auf die Bühne bringen, doch der Regie geht es um anderes. So sind hier auch beim weisen Meister Hora (Udo Dülme) in seiner geheimen Zeit-Zentrale weniger tickende Uhren zu hören als pochende Herzen. (Die Szene, in der er Momo zu ihren leuchtenden Stunden-Blumen führt, ist dabei wohl einer der schönsten und spektakulärsten Momente des Abends.)
 
Auch sind die grauen Agenten heute in erster Linie Geschäftsleute; Branche: zweitrangig – bis hin zu ihrer schneidigen Chefin (von Anna Rauhaus stark gespielt). Dem armen Beppo Straßenkehrer (Michael Karp) wird weniger Zeitmangel zum Verhängnis als die Tatsache, daß er nichts Einträgliches zu bieten hat, und seinem eloquenten Freund Gigi Fremdenführer (Tom Raczko mit genau dem richtigen jungenhaften Elan) das Umgekehrte: eben daß er einträglich ist. Ökonomisierung hier wie dort.


v.l.: Tom Raczko, Elvin Karakurt - Foto © Karola Brüggemann

Last not least, im Gegenteil: Auch Elvin Karakurt in der Titelrolle ist in diesem Sinne eine sehr passende Besetzung. Sie gibt strahlend eine vitale Momo, der man auch lautes Lachen gern abnimmt, und hat wenig von dem scheuen Sonderling mit Kulleraugen, als den Radost Bokel aus der Achtziger-Verfilmung die Figur in so manchem Kopf bis heute in Beschlag hält.
Zur Stückidee „lebensvoll statt kalkulierend“ paßt das gut. Schwieriger wird es allerdings, wenn es um die besondere Fähigkeit geht, für die Momo allseits so geliebt und gebraucht wird: das Zuhören. Wenn zwei Streithähne wie Maurer Nicola und Wirt Nino (zwei tolle Charakterköpfe: Ralf Stallmann und Dino Capozza) sich allein dank Momos stiller Aufmerksamkeit versöhnen – und auch die hier so impulsive Momo zu diesem Zweck fast unvermittelt verstummen muß: Damit das so recht einleuchtet, bräuchte es wohl doch ein wenig Kulleraugen.

Weitere Informationen: www.kinder-jugendtheater.de