Von Wien, Wienern und Kaffeehaus-Literaten

Konrad Beikircher serviert Kaffeehausgeschichten

von Frank Becker

Von Wien, Wienern und Kaffeehaus-Literaten  - Reminiszenzen an eine bessere Zeit

Das Kaffeehaus, zumal das Wiener ist vielleicht der atmosphärischste Aufenthaltsort für einen empfindenden Menschen - mittlerweile aber beinahe ein einer besseren Vergangenheit angehörender Anachronismus. Noch gibt es sie, das Central, das Hawelka, das Demel, das Sperl, das Griensteidl oder das Kramer und den Bräunerhof - noch. Das leise Klappern von Kaffeetassen auf  Marmortischen, das feine Klirren der Kaffeelöffel, der Moment, wenn der Kellner, der hier immer ein Herr ist, das Tablett mit der Melange, dem Einspänner, dem Braunen, dem Fiaker oder dem Kleinen Schwarzen (es gibt in Wien viele Möglichkeiten, einen Kaffee zu bestellen) serviert, sind mit ihren traditionellen Bühnen (denn was anderes als eine Bühne ist das echte Kaffeehaus?) von klugen Leuten in die Gegenwart gerettet worden.

Doch die großen Zeiten der K.u.K.-Kaffeehaus-Kultur und derjenigen der Ersten Österreichischen Republik sind mit dem Verschwinden der legendären Kaffeehaus-Literaten vorüber, wie das bläuliche Rauchfähnchen einer Zigarette verweht. Das literarische Wien hat sich vom Wahnsinn des Dritten Reichs, das  Österreich nicht nur unendlich viele Menschenleben gekostet, sondern auch die Creme seiner Literatur blindlings geraubt hat - mindestens 70 Prozent der Intelligenzia waren Juden - nicht mehr erholt. Was man heute noch tun kann, ist über die herrlichen, eleganten oder bodenständigen Texte der Dichter, welche diese Kultur geprägt haben, die Erinnerung zu bewahren und still zu hoffen, daß es einmal eine Renaissance geben werde. Gut, die Hoffnung mag nur sehr gering sein, doch allein sie bringt schon einen gewissen Glanz zurück.

Konrad Beikircher hat sich der Kaffeehausliteratur angenommen und einige Feuilletons und Auszüge aus den Prosawerken Peter Altenbergs, Roda Rodas, Karl Kraus´, H.C. Artmanns, Fritz von Herzmanovsky-Orlandos und überwiegend des genialen Plauderers Anton Kuh für seine neue CD "Kaffeehausgeschichten" gelesen. Es ist eine stimmungsvolle Einführung in die unerschöpflichen literarischen Schätze, die auf neue Leser warten und die alten aufs Neue erfreuen - und sie macht neugierig. Neugierig auf die, welche oben genannt sind und auf ihre Zeitgenossen, die Egon Friedell, Alfred Polgar, Friedrich Torberg, Joseph Roth oder Rudolf Weys heißen.

Beikircher, ein Flaneur wie seine literarischen Helden, dreht die Zeit zurück, greift zwischendurch auch mal zur Geige oder zur Gitarre, um sich überleitend zu Gustav Picks "Wiener Fiakerlied", zum Feuerzeug-Lied im Tonfall Hans Mosers oder zum "K. und K. Infanterieregiment" zu begleiten. Das vergnügliche und in vielen Zungen gesprochene Kompendium - Beikircher erweist sich, obwohl kein Wiener, nicht nur als Beherrscher dieses Zungenschlags einschließlich Schmäh - ist ein einziges Vergnügen, auf das Hörer, die sein H.C. Artmann-Programm kennen, schon lange gewartet haben. Nun warten sie auf eine Fortsetzung mit, na ja: Egon Friedell, Alfred Polgar, Friedrich Torberg, Joseph Roth Rudolf Weys, Hans Weigel oder Friedrich Schlögl...


Übrigens: Heute, am 1. Oktober, wird in Wien der Tag des Kaffees begangen.
Beispielbild

Kaffeehausgeschichten
serviert von Konrad Beikircher

Sprecher:  Konrad Beikircher
Piano, Geige und Gitarre:
Konrad Beikircher

(P) + © 2005 Patmos Verlag
©  Thomas Sessler Verlag (Anton Kuh und Roda Roda)
©  Langen-Müller (Herzmanovsky- Orlando)
©   Residenz Verlag (H.C. Artmann)
©   Suhrkamp Verlag (Karl Kraus)

Kaffehausgeschichten von Peter Altenberg, H.C. Artmann, Fritz von Herzmanovsky-Orlando, Karl Kraus, Anton Kuh und Roda Roda

Titel:
1. Kaffeehaus (Altenberg)  2:10
2. Lärm vor dem Hause (Kuh)  3:21
3. Die Parkbank am Abend (Kuh) 4:00
4. Praterausrufer (Kuh)  6:25
5. Der Anschluß (Kuh)  5:50
6. Der Schöffe ist unbestechlich!
    (Kuh)  4:16
7. Schweigen ist Gold (Roda Roda) 
    9:21
8. Das Reise-Visavis (Kuh)  5:31
9. Pater Knjakals erbauliche Predigt 
    (Herzmanovsky-Orlando)  10:50
10. Preciosen und Effekten (Artmann)
      8:25
11. Fast erraten (Kraus)  3:11

Gesamtzeit:  1:03:26


Weitere Informationen unter:
www.patmos.de
www.beikircher.de